Jüdische Altertümer. Flavius Josephus

Jüdische Altertümer - Flavius Josephus


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hierher gekommen, um jemand unrecht zu tun, noch um dem Könige Schaden zuzufügen, sondern nur um Hilfe für unser eigenes Leid zu erlangen, und wir hoffen bei eurer Menschenfreundlichkeit Zuflucht zu finden in der Not, die über unser Vaterland hereingebrochen ist. Denn wir haben vernommen, dass ihr nicht bloß euren eigenen Leuten, sondern auch Auswärtigen Getreide verkauft, und dass ihr allen helfen wollt, die der Hilfe bedürfen. Dass wir aber Brüder sind und Blutsverwandte, geht schon daraus hervor, dass wir an Gestalt einander in hohem Grade ähnlich sind. Unser Vater ist Jakob, ein Hebräer, dem wir zu zwölf Söhnen von vier Frauen geboren wurden. Solange wir nun alle noch am Leben waren, waren wir glücklich; seitdem aber unser Bruder Joseph umgekommen ist, hat sich unsere Lage mehr und mehr verschlimmert. Denn der Vater trauert beständig um ihn, und auch wir beklagen das Unglück seines Todes und das Leid des alten Vaters gar sehr. Und nun kommen wir hierher, um Lebensmittel zu kaufen, und haben unseren jüngsten Bruder Benjamin zur Pflege des Vaters und zur Verwaltung des Hauswesens daheim gelassen. Um die Wahrheit unserer Worte zu erproben, kannst du Boten in unsere Heimat schicken und dich erkundigen lassen.«

      4. Mit diesen Worten versuchte Rubel dem Joseph eine günstigere Meinung von ihnen beizubringen. Joseph aber ließ, da er gehört, dass Jakob noch am Leben und Benjamin nicht umgekommen sei, seine Brüder in Gewahrsam bringen, als wolle er sie bei Gelegenheit einem Verhör unterziehen. Am dritten Tage jedoch ließ er sie vor sich führen und sprach zu ihnen. »Da ihr behauptet, ihr wäret nicht gekommen, um dem König zu schaden, und ihr wäret Brüder und stammtet von dem Vater ab, den ihr genannt, so könnt ihr mir die Wahrheit dieser Behauptung dadurch beweisen, dass ihr einen von euch bei mir zurücklasst, dem kein Leid widerfahren soll; ihr anderen aber bringt das Getreide eurem Vater und kehrt dann hierher zurück mit dem Bruder, den ihr eurer Angabe gemäß zu Hause gelassen habt. Daran werde ich erkennen, ob ihr mich nicht belogen habt.« Darüber gerieten sie in ein noch schlimmeres Leid; sie vergossen Tränen und beklagten heftig Josephs Schicksal, als ob ihnen wegen des an ihm begangenen Unrechtes diese Drangsal von Gott als Strafe geschickt worden sei. Rubel aber hielt ihnen eindringlich vor, dass ihre Reue dem Joseph doch nichts mehr nützen könne, und er beschwor sie, alle Leiden starkmütig zu ertragen, da sie von Gott als Strafe für das an ihrem Bruder verübte Unrecht ihnen geschickt seien. Also sprachen sie zueinander in dem Glauben, Joseph verstehe ihre Sprache nicht. Auf Rubels Vorstellungen hin aber ergriff sie Trauer und Reue, weil sie eine Tat verübt, für die Gott sie gerechterweise büßen lasse. Da nun Joseph sie in solcher Not sah, weinte er sehr; weil er aber nicht wollte, dass sie dies sähen, entfernte er sich eine kleine Weile von ihnen. Dann kam er zurück, hielt den Simeon als Bürgen für die Wiederkehr seiner Brüder fest und hieß die anderen nach Hause ziehen, sobald sie Getreide auf dem Markt eingekauft hätten. Einem Knechte aber befahl er, er solle das Geld, das sie zum Ankauf des Getreides mitgebracht hatten, heimlich wieder in ihre Säcke legen, und dieser vollzog den Befehl.

      5. Als Jakobs Söhne nun nach Chananaea gelangten, erzählten sie dem Vater, was sich in Ägypten mit ihnen zugetragen habe. Sie seien für Spione gehalten worden und ihrer Angabe, sie seien Brüder und hätten den elften beim Vater zurückgelassen, sei kein Glaube beigemessen worden. Den Simeon aber hätten sie dem Landpfleger als Bürgen stellen müssen, bis Benjamin selbst dorthin kommen und die Wahrheit ihrer Aussagen beweisen würde. Sie baten also ihren Vater, er möge ohne Angst den Bruder ihnen mitgeben. Jakob aber war mit ihrem Beginnen unzufrieden und ärgerlich darüber, dass Simeon in Ägypten festgehalten worden war; für Torheit erklärte er es, den Benjamin auch noch dahin bringen zu wollen. Und selbst als Rubel ihm für diesen seine beiden Söhne als Pfand bot, die er töten könne, wenn dem Benjamin auf der Reise etwas zustoße, ließ er sich nicht dazu bewegen. Bei dieser üblen Lage wurden sie ängstlich und unruhig; noch mehr aber verwirrte sie der Umstand, dass sie das Geld in ihren Säcken versteckt fanden. Als nun später der mitgebrachte Weizen verbraucht war und die Hungersnot immer drückender wurde, gab Jakob nach und entschloss sich, den Benjamin mit seinen Brüdern zu schicken, weil sie nicht nach Ägypten zurückkehren konnten, ohne ihn mitzubringen. Denn da die Hungersnot von Tag zu Tag heftiger wütete, und die Söhne ihn inständig baten, blieb ihm nichts anderes zu tun übrig. Namentlich sprach Judas, der von Natur heftig war, eindringlich mit dem Vater: Er brauche sich nicht um ihren Bruder zu quälen und zu ängstigen, denn ohne den Willen Gottes könne ihm nichts zustoßen; übrigens könne das, was ihm bestimmt sei, ihn auch zu Hause treffen. Er möge sie doch nicht dem offenbaren Untergang überantworten und ihnen nicht aus törichter Angst um seinen Sohn die notwendigen Lebensmittel vorenthalten, die ihnen Pharao gewähren wolle. Auch müsse er das Wohlergehen Simeons bedenken und dürfe nicht zulassen, dass dieser vielleicht umkommen werde dadurch, dass er Benjamins Reise verweigere. Er möge also seinen Sohn Gott befehlen, denn er selbst werde ihn entweder wohlbehalten wieder nach Hause bringen oder zugleich mit ihm zugrunde gehen. Hierauf gab Jakob endlich nach und überließ ihnen den Benjamin. Auch gab er ihnen den doppelten Preis für Getreide mit sowie für Joseph Geschenke aus den Produkten Chananaeas: Balsam, Myrrhenharz, Terebinthen und Honig. Darauf vergossen sowohl der Vater als die scheidenden Söhne bittere Tränen: denn jener war in Sorge, ob er seine Söhne noch einmal wohlbehalten wieder sehen würde; die Söhne aber fürchteten, sie möchten den Vater nicht mehr wieder finden, da er vielleicht der Trauer um ihre Abwesenheit erliegen könnte. In dieser Bekümmernis brachten sie einen ganzen Tag zu. Dann begaben sich die Söhne auf den Weg nach Ägypten und suchten ihren Schmerz mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu lindern; der Greis aber blieb tief gebeugt zu Hause.

      6. In Ägypten angekommen, wurden sie gleich zu Joseph geführt. Sie hatten aber nicht geringe Furcht, es möchten ihnen Vorwürfe wegen des Getreidepreises gemacht werden, gleich als hätten sie denselben betrügerischerweise wieder mitgenommen. Daher entschuldigten sie sich bei Josephs Hausverwalter mit den Worten, sie hätten das Geld zu Hause in ihren Säcken gefunden und es jetzt wieder mit zurückgebracht. Als dieser aber entgegnete, er verstehe nicht, wovon sie redeten, verschwand ihre Angst. Simeon ward nun aus dem Gefängnis entlassen und gesellte sich seinen Brüdern bei. Unterdessen kam auch Joseph vom Dienste beim König zurück, und sie überreichten ihm die Geschenke. Als er sich nun erkundigte, wie sich ihr Vater befinde, sagten sie, sie hätten ihn wohlbehalten angetroffen. Dann fragte er, da er den Benjamin erkannt hatte, ob das ihr jüngster Bruder sei. Und da sie ihm diese Frage bejahten, sprach er: Gott lenkt alles, und er fing vor Bewegung an zu weinen und entfernte sich, damit seine Brüder dies nicht merkten. Alsdann lud er sie zu Tische, und sie setzten sich in derselben Reihenfolge wie zu Hause. Joseph behandelte sie alle freundlich, den Benjamin aber ehrte er mehr als die anderen Tischgenossen und ließ ihm von den Speisen doppelt so viel geben als den Brüdern.

      7. Als sie sich nun nach der Mahlzeit zum Schlafe niederlegten, befahl er dem Verwalter, er solle ihnen das Getreide zumessen und den Preis dafür wieder heimlich in die Säcke legen, in Benjamins Gepäck aber solle er seinen silbernen Becher verstecken, aus dem er zu trinken pflegte. Auf diese Weise wollte er seine Brüder erproben, ob sie ihrem Bruder beistehen würden, wenn er, wegen Diebstahls angehalten, in Gefahr schwebe, oder ob sie ihn im Stiche lassen und, als wenn die Übeltat sie selbst nichts anginge, zu ihrem Vater zurückkehren würden. Der Verwalter vollzog den Befehl, und ohne Ahnung von alledem zogen die Söhne Jakobs bei Tagesanbruch mit Simeon ab, doppelt erfreut, einmal, weil sie den Simeon wieder bei sich hatten, dann aber auch, weil sie den Benjamin wieder mit nach Hause brachten, getreu dem ihrem Vater gegebenen Versprechen. Da umringten sie auf einmal Reiter, die den Diener bei sich führten, welcher den Becher in Benjamins Gepäck getan hatte. Erschreckt ob des plötzlichen Angriffes, fragten sie nach der Ursache, warum sie so überfallen würden, da sie noch kurz zuvor von Joseph ehrenvoll seien bewirtet worden. Jene entgegneten, sie seien nichtswürdige Menschen, da sie ohne Erkenntlichkeit für die gastliche, freigebige und freundliche Aufnahme, die Joseph ihnen habe angedeihen lassen, sich nicht gescheut hätten, Unrecht zu begehen und den Becher mitzunehmen, aus dem er ihnen wohlwollend zugetrunken. Für unrechtmäßigen Gewinn hätten sie Josephs Freundschaft verscherzt und sich selbst in die Gefahr begeben, ertappt zu werden. Doch würden sie dafür büßen müssen; denn vor Gott könne es nicht verborgen bleiben, dass sie mit dem geraubten Gut entflohen seien, wenn es ihnen auch gelungen sei, den Knecht zu betrügen. Und nun fragten sie auch noch, weshalb die Reiter da seien, da sie doch wohl wüssten, dass sie bald ihre Strafe erhalten würden. Mit diesen und noch mehreren Worten schalt sie der Diener aus. Sie aber hielten, da ihnen ein Betrug fern gelegen hatte, seine


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