Krebs beim Hund. Kerstin Piribauer

Krebs beim Hund - Kerstin Piribauer


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immer verlassen hatte und ihre ältere Schwester Braganza wegen eines Osteosarkoms (ein Tumor, der vom Knochengewebe ausgeht) zur gleichen Zeit in eine umfassende onkologische Therapie ging und meine ganze Aufmerksamkeit und Fürsorge benötigte, war ich unendlich dankbar, eine scheinbar grenzenlose Energie in mir spüren zu dürfen. In jedem Moment war mir vollkommen bewusst, dass die unerschütterliche Motivation und tiefe emotionale Basis all dessen, was ich dachte und tat, die Liebe war. Diese Überzeugung vermochte mir selbst in diesen Wochen der sich überschlagenden Ereignisse ein beständiges Lächeln zu schenken, wenn Braganza und ich an der Universitätsklinik in Wien oder im heimatlichen Garten in der Steiermark gemeinsam auf der Wiese saßen und die wärmenden Sonnenstrahlen spürten, die uns aus einem tiefblauem Himmel trafen. Voller Geborgenheit und Harmonie lebten wir jeden einzelnen dieser so wundervollen und einzigartigen Momente und fühlten uns sicher und geborgen.

      Verbiete Dir die Liebe nicht! – Diese Momente voller Vertrauen und Liebe, die wir in diesen Situationen leben, sind einzigartig und auch für uns, die wir eines Tages allein zurückbleiben, eine wertvolle Erfahrung, die uns niemand nehmen kann und die für immer in unserem Denken und Tun präsent bleiben wird. Die Liebe wird in diesen Tagen der Krankheit zur wichtigsten Kraftquelle für unseren vierbeinigen Partner und für uns selbst, und diese Energie benötigen wir, um unserem geliebten Freund auf vier Pfoten während dieser Zeit zur Seite zu stehen – und gleichzeitig bewusste, das heißt rational bestimmte und ethisch verantwortbare Entscheidungen für ihn und sein Leben zu treffen. So entstand dieses Buch, das keinerlei Anspruch auf wissenschaftliche oder medizinische Vollständigkeit erhebt, sondern ein Ratgeber für Besitzerinnen und Besitzer von an Krebs erkrankten Hunden sein möchte, um ein Verständnis für Krebserkrankungen und ihre Behandlungsmöglichkeiten zu schaffen.

      Mein besonderer Dank gilt heute …

      … meinen Boxern, deren Umgang mit ihren Erkrankungen mich unendlich viel lehrte und die mir Erfahrungen schenkten, die mein Leben veränderten und reicher machten.

      … der Veterinärmedizinischen Universität Wien, wo ich in den unterschiedlichsten Vorträgen und Veranstaltungen sowie in der Therapie meiner eigenen Hunde immer wieder erkennen durfte, was Ambition und Leidenschaft in der modernen Tiermedizin bewegen können.

      … Herrn Dr. med. vet. Michael Willmann (Onkologische Abteilung der Internen Klinik für Kleintiere der Veterinärmedizinischen Universität Wien) für das Vertrauen, mich bei der Arbeit an diesem Buch von Beginn an zu unterstützen.

      Ottendorf, im Februar 2021

      Kerstin Piribauer

      Mitte Oktober. Die letzten warmen, farbenfrohen Tage des Jahres schienen bereits Vergangenheit. Kalt war es geworden und dichtes Nebelgrau hing über dem oststeirischen Hügelland. Dennoch spielten zwei unserer Boxer – Mutter und Sohn – fröhlich und ausgelassen auf einer großen Wiese. Anna, gerade sieben Jahre alt geworden, und der knapp dreijährige Apoll waren wie immer ein Herz und eine Seele, und der aufgeweckte junge Boxermann wusste seine Mutter im Spiel stets ordentlich herauszufordern.

      In diesen Tagen begann Anna zu husten. Litt sie eventuell an einer Erkältung? Angesichts der Jahreszeit und des nasskalten Wetters in den zurückliegenden Tagen schien dieser Gedanken keineswegs abwegig. Am nächsten Tag stellten wir Anna dem Tierarzt vor. In der klinischen Untersuchung zeigten sich keinerlei nennenswerte Auffälligkeiten, aber angesichts des Hustens bestätigte der Tierarzt unsere Vermutung einer Infektion der oberen Luftwege und verordnete Anna ohne eine weitere und genauere diagnostische Abklärung der Symptome ein Antibiotikum. Eine wirkliche Besserung war trotz dieses Therapieversuchs in den kommenden Tagen nicht erkennbar, im Gegenteil, Anna hustete bald zunehmend blutigen Schleim aus. Vier Tage später wirkte sie zudem sehr müde und lustlos, zeigte einen merkwürdig aufgeblähten Bauch. Bei einer neuerlichen Vorstellung in der Tierklinik führte nun eine Ultraschalluntersuchung des Bauchraums zu der vagen Äußerung, dass die Leber „etwas komisch“ aussähe. Das sei „kein schönes Gewebe“. Wir sollten die Antibiotika weiterhin geben.

      Während der Autofahrt nach Hause kam mir der Gedanke, Anna an der Veterinärmedizinischen Universitätsklinik in Wien vorzustellen. Was konnte sie an der Leber haben? Was heißt „komisches Gewebe“? Könnte das eine Umschreibung für „Krebs“ sein? Aber selbst, wenn Anna einen Tumor haben sollte, gäbe es an der großen Universitätsklinik sicherlich die Möglichkeit einer Operation. Ich rief in Wien an. Leider war es schon spät am Nachmittag und an der Kleintierklinik niemand mehr für eine Terminvereinbarung erreichbar. Ich möge doch bitte am nächsten Morgen wieder anrufen, bat mich eine freundliche Stimme in der Telefonvermittlung.

      Abends verweigerte Anna ihr Essen, sie schien zunehmend apathisch. Wieder rief ich in unserer Haustierklinik an, und eine halbe Stunde später waren wir dort. Zur Ergänzung der Ultraschalluntersuchung vom Nachmittag wurde nun ein Röntgenbild des Bauchraums angefertigt, und wir warteten auf dessen Entwicklung. Was dann zu sehen war, ließ den diensthabenden Tierarzt und damit auch uns den Bauch und die Leber allerdings erst einmal vollkommen vergessen. Ein kleiner Teil der Lunge war auf dem Bild noch zu sehen: nicht schwarz, wie sich die Luft in einer gesunden Lunge am Röntgenbild darstellt, sondern weiß gefleckt. Viel Weiß mit kleinen schwarzen Zwischenräumen. Der Tierarzt machte ein besorgtes Gesicht, sprach von „Lungenkrebs“ und fertigte eine zweite Röntgenaufnahme an, diesmal nur von der Lunge.

      Dieses Bild zeigte nun sehr viel Weiß in Annas Lunge. Das alles seien Krebszellen, erklärte uns der Tierarzt und fügte korrekterweise den Hinweis hinzu, dass das, was er gerade mache, im Grunde keine Tumordiagnostik sei, aber die Sache sei klar. – „Was tun?“ – „Keine Chance! Gar nichts tun!“ – „Wie lange noch?“ – „Vielleicht drei Wochen, vielleicht vier.“ – „Es muss doch eine Möglichkeit geben! Ich habe heute Nachmittag ohnehin beschlossen, morgen in Wien an der Universitätsklinik einen Termin zu vereinbaren, um Anna dort vorzustellen.“ – „Warum? Warum wollen Sie dem Hund die vielen Kilometer antun? Machen Sie ihr lieber eine schöne Zeit.“ – Noch ließ ich nicht locker. „Aber vielleicht gibt es noch eine Chance! Vielleicht gibt es die Möglichkeit einer Chemotherapie?“ – „Chemotherapie? Aber ich bitte Sie! Wollen Sie Ihrem Hund das wirklich ANTUN?“

      Auf diesem Röntgenbild von Annas Lunge sind die Metastasen überdeutlich erkennbar.

      Warum blieb damals nur dieser eine Satz in mir hängen? Warum ließ ich mich davon derart lähmen und habe nicht die Kraft gehabt, bei meinem Vorsatz vom Nachmittag zu bleiben, am nächsten Tag wie vereinbart in Wien anzurufen? Warum habe ich nichts getan, was Anna vielleicht noch hätte helfen können, was uns eventuell noch einige Wochen, Monate, vielleicht ein Jahr Leben geschenkt hätte? Ob dem so gewesen wäre – niemand kann mir heute darauf eine Antwort geben. Mit Sicherheit aber hätten weitere diagnostische und therapeutische Schritte zumindest mehr Klarheit in die gesamte Situation und eine eindeutige Diagnose gebracht. ANTUN?! Nein, ANTUN wollte ich Anna sicher nichts, aber es entsprach auch nicht meinem Naturell, gar nichts zu tun. Das war ausgeschlossen für mich.

      Die in unserer Haustierklinik damals ohne weitere Diagnostik, Diskussion und Abwägung noch am späten Abend sofort eingeleitete Kortisontherapie schien mir schon seinerzeit eine mehr oder weniger hilflose Alibiaktion, von der ich mir keinerlei Besserung versprach – zu Recht, wie ich heute weiß. Also begann ich, genauso wie unzählige andere Hundebesitzer dies auch heute noch tun, „Doktor Google“ zu befragen und im Internet nach alternativen Tumortherapien zu suchen. Dabei stieß ich auf ein Mistelpräparat, das ein angeblicher Tumorspezialist anbot, der sogar in unserer Nähe praktizierte.


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