Krebs beim Hund. Kerstin Piribauer
wort- und farbenreich die Wirkungsweise, die Vorteile und „Risiken“ einer Misteltherapie darstellte, für die wir uns dann auch entschieden. Aus heutiger Sicht eine reine Ersatzhandlung! Statt 175 Kilometer nach Wien nur knapp 50 Kilometer, statt einer genauen diagnostischen Abklärung mit den Möglichkeiten der modernen Veterinärmedizin und statt einer eventuell noch sinnvollen Therapie nur eine komplementärmedizinische Misteltherapie! Noch heute macht mich der Gedanke, damals so entschieden zu haben, fassungslos. Seinerzeit war ich zumindest sicher: Damit konnte und würde ich Anna nichts ANTUN! Heute ist mir klar, dass die in Zusammenhang mit Tumorerkrankungen oftmals empfohlene Misteltherapie ihren Sinn unter anderem in einer unspezifischen Aktivierung des Immunsystems findet, indem die natürlichen Inhaltsstoffe der Mistel die körpereigene Abwehr verstärkt motivieren können, um dann vielleicht auch gegen Tumorzellen im Organismus vorzugehen. Heute weiß ich auch um den geistigen Hintergrund und das Gedankengerüst des anthroposophischen Heilungsansatzes der Misteltherapie. Das mag eventuell als unterstützende und begleitende – eben komplementärmedizinische – Maßnahme hilfreich sein, es ernsthaft als Ersatz oder Alternative zu einer etablierten evidenzbasierten Behandlungsform zu betrachten und anzubieten, erscheint mir persönlich heute durchaus als ethisch bedenklich.
Zumindest aber brachte dieser zweite Tierarzt damals so viel Licht in die Gesamtsituation, dass er nicht an einen bei Hunden eher seltenen primären Lungentumor glaubte, sondern uns erklärte, dass das, was das Röntgenbild zeige, Metastasen seien, wahrscheinlich von unentdeckten Mammatumoren. Er tastete Anna ab und machte mich auf eine kaum spürbare und sehr versteckt liegende steinharte Verdickung neben einer ihrer hinteren Zitzen aufmerksam, gerade einmal so groß wie ein Stecknadelkopf. Beim weiteren Abtasten fand er im Bereich des vorletzten und letzten Milchdrüsenkomplexes drei solche Gebilde und erklärte diese für die Ursache des Ganzen. War es wirklich so? Ich erinnere mich noch ganz genau, wie sich die Verhärtungen anfühlten. Steinhart. Wenig größer als ein Stecknadelkopf. Sehr gut abgegrenzt. Passte das wirklich zu der These, dass es sich hier um bösartige Mammatumoren handeln sollte, die in die Lunge metastasiert hatten? Noch hatte ich meine Zweifel, und im Grunde meines Herzens bin ich vielleicht noch immer auf der Suche nach einer Antwort auf all diese Fragen …
Wir ließen das Mistelpräparat bestellen. Es sollte in unsere Haustierklinik geliefert und dann den Angaben des zweiten Arztes entsprechend verabreicht werden. Anna verstarb wenige Tage später, noch bevor das Medikament in der Klinik eingetroffen war. Sie war sehr schwach an jenem letzten Morgen, hatte nahezu weiße Schleimhäute und wollte kaum aufstehen. Während Anna in der Klinik eine Infusion erhielt, die den Organismus eigentlich stärken sollte, verschlechterte sich ihr Zustand zusehends. Aber auch jetzt erfolgte kein zielgerichteter Versuch, um herauszufinden, was aktuell in ihrem Körper vorging. Keine Diagnose, kein Ansatz einer Lösungsmöglichkeit, und so stimmte ich seinerzeit zu, ihrem Leben ein Ende zu setzen – angesichts der damaligen Gesamtsituation zwar nachvollziehbar, aber bis heute trage ich das gefühlte Wissen in mir, dass dies eine der großen Fehlentscheidungen meines Lebens war.
Vieles hat sich seither verändert, und während ich heute – über ein Jahrzehnt später – Annas Geschichte niederschreibe, schäme ich mich noch immer ob meiner damaligen Tatenlosigkeit, meiner Mutlosigkeit und Unentschlossenheit. Unsere vierbeinigen Freunde legen ihr Leben vertrauensvoll in unsere Hände, und es ist unsere Aufgabe, für jeden von ihnen die richtigen Entscheidungen zu treffen. In meinem Denken sind das Entscheidungen, die den medizinischen Möglichkeiten und dem wissenschaftlichen Kenntnisstand unserer Zeit entsprechen. Entscheidungen, die uns erlauben, unseren Hunden ins Gesicht zu schauen – auch über ihren Tod hinaus!
Anna ist damals im Alter von sieben Jahren, einem Monat und sechs Tagen für immer von uns gegangen. Sie hat mich unendlich viel gelehrt in ihrem viel zu kurzen Leben, und die Erinnerungen vermischen sich noch immer mit Schuldgefühlen, nicht alles für sie getan und zu früh aufgegeben zu haben. Vielleicht hätte Anna mit allem, was ich inzwischen lernen durfte, noch einige schöne Wochen oder Monate auf dieser Welt verbringen können – geschenktes Leben! Wie auch immer – zumindest hätten eine vollständige Abklärung ihrer Erkrankung und eine gesicherte Diagnose sowie eine begründete und fundierte Abschätzung der eventuell noch gegebenen therapeutischen Möglichkeiten mir den Umgang mit Annas frühem Ende enorm erleichtert.
Auf dem Weg zu neuen Perspektiven
Etwa zehn Tage nach Annas Tod fiel mir seinerzeit der Hinweis auf eine Veranstaltung an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien in die Hände: ein Seminar unter dem Titel „Mein Hund hat Krebs! – Was kann heute für ihn getan werden?“. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, meldete ich mich sofort zu dieser Veranstaltung an. Auch die gut gemeinte Warnung einer Freundin, ob ich mir dieses Thema wirklich schon so kurze Zeit nach Annas Tod antun wolle, hielt mich nicht davon ab. Im Gegenteil! Mich beherrschte der Gedanke, so viel wie möglich über diese Krankheit erfahren und lernen zu müssen.
Ich erinnere mich noch gut: Wie gefangen saß ich damals in dem Hörsaal, saugte jedes Wort der Vortragenden in mich ein, die wie immer an der Vetmeduni voller Leidenschaft und Engagement von den Möglichkeiten der modernen Tiermedizin sprachen. Zu spät für Anna, aber rechtzeitig genug, um ihren Nachkommen die Chance auf eine optimale Therapie zu geben. Damals verspürte ich plötzlich die Gewissheit in mir, beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation die besseren, die richtigeren und die angemesseneren Entscheidungen zu treffen – und heute weiß ich nur zu gut um die weitreichenden Konsequenzen dessen: Dass der schnelle Tod meiner Cordelia zumindest keine quälenden offenen Fragen hinterließ, sondern das sichere Wissen, alle medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft und in jedem Moment im vollen Bewusstsein der Verantwortung gehandelt zu haben, wurde mir zu einer der wertvollsten emotionalen Stützen in der Trauer um meine junge Hündin. Zur gleichen Zeit verdankten Braganza und ich der chirurgischen, strahlen- und chemotherapeutischen Behandlung ihres axialen Osteosarkoms, dass wir unsere Liebe noch einen glücklichen gemeinsamen Sommer lang LEBEN durften …
Anna vom Zugspitzblick. Ihr viel zu früher Tod nach einem nicht ausdiagnostizierten und somit auch nicht adäquat behandelten Tumorgeschehen wies mir den Weg, für ihre Nachkommen und Nachfolger informierte und damit bessere und verantwortungsvollere Entscheidungen zu treffen.
Mit der Diagnose „Krebs“ beginnt für uns und unseren vierbeinigen Freund ein neuer LEBENSabschnitt, in dessen Mittelpunkt die Auseinandersetzung mit der Erkrankung, das LEBEN mit dem Tumor stehen wird. Alle Beteiligten stehen nun am Beginn eines wichtigen Lernprozesses: LEBEN mit der Krankheit!
Bei unserem besten Freund auf vier Pfoten steht eine Krebsdiagnose im Raum. Ob es sich dabei zunächst nur um eine Verdachtsdiagnose handelt oder die Erkrankung bereits bestätigt ist: Unsere Aufgabe besteht nun darin, ihn bestmöglich durch diese Zeit zu führen, an deren Ende die Heilung stehen kann oder aber auch eine – mehr oder weniger lange – intensiv gelebte lebenswerte Zeit. Beides ist ein Erfolg und hängt von vielerlei Faktoren ab. Um diesen Erfolg für unseren geliebten Vierbeiner sicherzustellen, müssen wir die neue Situation zunächst einmal so annehmen, wie sie ist, und uns mit dieser Realität auseinandersetzen. Dabei wenden wir eine der wichtigsten Erfolgsstrategien an, die auch sonst im Leben Gültigkeit hat: Wir stellen nicht das Problem, sondern die Lösung in den Mittelpunkt unseres Denkens! Einer der unverzichtbaren Faktoren dafür ist eine eigene mentale Stärke, die es uns ermöglicht, in jeder Situation bestmöglich zu handeln und zu reagieren.