Krebs beim Hund. Kerstin Piribauer
Um Fehler im Aufbau des Proteins zu vermeiden, muss die Reihenfolge der Basen als genetische Bauanleitung für die Proteine im Zellkern genauestens abgelesen werden. Fehler in der Übertragung führen genauso wie Mutationen zu veränderten Aminosäuresequenzen und damit zu veränderten Proteinen, die in der Folge eventuell nicht mehr in der Lage sind, ihre Aufgabe für den Organismus korrekt zu erfüllen.
Der genetische Code und seine Aktivierung
Der gesamte genetische Code eines Lebewesens, das Genom, beinhaltet mit den einzelnen Gensequenzen aber nicht nur die Baupläne der Proteine, sondern reguliert zugleich auch deren Produktion. Dabei bestimmen Steuerungs- oder Schalterfunktionen auf der DNA, welche Gene aktuell aktiviert werden und welche blockiert bleiben. Diese Schalterfunktionen orientieren sich unter anderem an den Nachrichten, die die Rezeptoren an der äußeren Zellmembran empfangen und in das Innere der Zellen weiterleiten. Sie bestimmen somit die Genexpression und damit die entscheidende Frage, welches Gen aktuell in ein Protein übersetzt wird und welches nicht. Der größte Teil des Genoms codiert nicht die Produktion von Proteinen, sondern bestimmt, ob und in welcher Menge diese Proteine produziert werden.
Schalterfunktionen und Steuerungsmechanismen der DNA bestimmen, ob ein Gen aktuell aktiviert wird und ob somit das von ihm codierte Protein produziert wird oder nicht.
Diese regulierenden Abschnitte der DNA sind nicht nur in Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung der Zellen für ihr spezifisches Aufgabengebiet von großer Bedeutung – nicht jede Zelle benötigt für ihre Aufgabe im Organismus jedes Protein –, sondern sie unterliegen darüber hinaus zahllosen anderen Einflüssen. Beispielsweise dienen sie als Bindungsstellen für sogenannte Steuerproteine, deren Präsenz und Funktion durch epigenetische Mechanismen bestimmt werden. Auch die Umwelt kann in der Interaktion mit dem Organismus über verschiedene biochemische Umwege hinweg derart regulierende Spuren in der DNA hinterlassen. Wir werden in Kürze sehen, wie bedeutend diese Aktivierungen oder Blockaden bestimmter Gene für die Entstehung eines Tumors sein können.
Gene beinhalten mit ihren Codes die Baupläne der Proteine. Wann und in welchem Umfang diese Baupläne aber realisiert und die entsprechenden Proteine tatsächlich gebaut werden, bestimmen die vielfältigen Steuerungsmechanismen und Schalterfunktionen der DNA.
Tumoren und ihre biologische Vielfalt
Tumoren verfügen über eine schier grenzenlos erscheinende biologische Vielfalt und Variabilität. Jeder Tumor zeigt dabei ein individuelles biologisches Verhalten, das von zahlreichen Faktoren abhängig ist und die Wahl der Therapie bestimmt. Ein umfassendes Wissen um diese Zusammenhänge ist die Basis jeder verantwortungsbewussten Entscheidung für den Tumorpatienten.
Jeder Tumor zeigt ein individuelles biologisches Verhalten. Je mehr der behandelnde Tierarzt über dieses Verhalten weiß, desto genauer wird seine Prognose über den Verlauf der Erkrankung sein und desto besser kann er eine effiziente und auf den einzelnen Patienten abgestimmte Therapie vorschlagen. In der Humanmedizin wurde die Onkologie längst zum Vorreiter einer personalisierten Medizin, die sich an den molekularen Mechanismen der Erkrankung des einzelnen Patienten orientiert, und einige dieser wegweisenden Möglichkeiten sind heute auch bereits in der Tiermedizin verfügbar.
Zahlreiche relevante Fragen müssen beantwortet werden, um einen Tumor umfassend zu charakterisieren und sein biologisches Verhalten zu beschreiben.
•Ist der Tumor gut- oder bösartig?
•Von welchem Ursprungsgewebe stammen die Tumorzellen ab?
•Wie aktiv ist der Tumor und wie hoch ist seine Zellteilungsrate?
•Setzt die Tumorzelle Botenstoffe frei, die die Ausbildung von neuen Blutgefäßen initiieren? Kann eine Blutgefäßbildung, die Angiogenese, stattfinden? Diese Gefäße, deren einzige Aufgabe die Nährstoffversorgung des Tumors ist, sind für den Tumor lebensnotwendig.
•Können die Tumorzellen über die Blut- oder Lymphgefäße ausgeschwemmt werden? Die Antwort auf diese Frage ist wesentlich für die Metastasensuche und gibt Hinweise, welche Körperregionen gegebenenfalls vorrangig auf Metastasen untersucht werden sollten.
•Haben die Tumorzellen überhaupt die Fähigkeit, in anderes Gewebe einzuwachsen? Das Ausschwemmen allein sagt noch nichts über die Metastasierungsfähigkeit eines Tumors aus, das heißt über die Fähigkeit eines Tumors, Tochtergeschwülste zu bilden. Entscheidend ist die Frage, ob die über die Transportwege des Organismus in den Körper gelangten Zellen die biologischen Voraussetzungen mitbringen, über die Gefäßwände wiederum in das Gewebe hineinzuwachsen und somit eine Metastase zu bilden. Dazu sind bestimmte Enzyme notwendig, die die Gefäßwände sozusagen vorbereiten und sie für die Tumorzellen durchlässig machen.
•Verfügt der Tumor über molekulare Besonderheiten, die eine zusätzliche prognostische Information geben oder eine zielgerichtete Therapie sinnvoll erscheinen lassen?
All diese Fragen betreffen das biologische Verhalten eines Tumors, und die entsprechenden Antworten sind die Voraussetzung, um zu einer individuell auf den jeweiligen Patienten und seinen Tumor abgestimmten und damit effizienten und sinnvollen Therapie zu gelangen.
Um alle Fragen hinsichtlich des biologischen Verhaltens eines Tumors zu beantworten und damit sinnvolle und effiziente Therapien gewährleisten zu können, ist eine genaue diagnostische Abklärung der Tumorerkrankung ebenso unverzichtbar wie spezielles onkologisches Fachwissen des behandelnden Tierarztes.
Unterscheidungsmerkmale gutartiger und bösartiger Tumoren
Ein Tumor kann gutartig (benigne) oder bösartig (maligne) sein. Diese Unterscheidung gehört zu den ersten grundlegenden Fragestellungen in der Onkologie. Benigne Tumoren verdrängen mit ihrem Wachstum das umliegende Gewebe und schieben es sozusagen vor sich her, dringen aber nicht in gesunde Gewebestrukturen ein. Sie wachsen zumeist langsam und zeigen sich gegenüber dem umgebenden Gewebe gut abgegrenzt. Oft ist in derartigen Fällen nach einer sicheren diagnostischen Abklärung überhaupt keine weitere Therapie notwendig. Manchmal sollten allerdings auch benigne Tumoren chirurgisch entfernt werden, beispielsweise dann, wenn das Größenwachstum des Tumors die Bewegungsfähigkeit des Hundes einschränken könnte und seine Lebensqualität damit beeinträchtigen würde. Nach der in den weitaus meisten Fällen einfachen und problemlosen chirurgischen Entfernung eines benignen Tumors ist der Patient geheilt. Einer der häufigsten benignen Tumoren des Hundes, der eine derartige Vorgangsweise rechtfertigt, ist das Lipom, ein oftmals in der Unterhaut anzutreffendes tastbares Gebilde, das aus Fettgewebszellen besteht.
Maligne Tumoren haben im Vergleich zu benignen Umfangsvermehrungen eine höhere Zellteilungsrate und wachsen daher wesentlich schneller. Außerdem dringen sie in das umliegende Gewebe ein: Sie infiltrieren, wie es in der medizinischen Fachsprache heißt. Damit sind sie schlecht abgrenzbar und zerstören ihre gesunde Umgebung. Ihre operative Entfernung erfordert einen in der Tumorchirurgie erfahrenen Chirurgen, um eine möglichst vollständige, in jedem Fall aber großzügige Entfernung des Tumors zu gewährleisten. Auch bei einem malignen Tumor kann eine Operation unter optimalen Bedingungen den Patienten heilen. Deshalb gehört die chirurgische Entfernung maligner Tumoren wie beispielsweise von Karzinomen, Sarkomen oder Mastzelltumoren immer in die Hände von erfahrenen Tumorchirurgen, denn das Risiko, dass der Tumor an dieser Stelle erneut auftritt und ein Rezidiv bildet, ist insbesondere dann gegeben, wenn das Tumorgewebe nicht restlos entfernt werden konnte, der Sicherheitsabstand zum gesunden Gewebe zu gering war und in diesen Fällen auch keine weitere ergänzende onkologische Therapie erfolgte. Zudem können maligne Tumoren sich im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung über die Blut- oder Lymphgefäße im gesamten Organismus ausbreiten, um an anderen Stellen des Körpers Metastasen zu bilden.