Krebs beim Hund. Kerstin Piribauer
genauen diagnostischen Verfahren basierend – die Worte „wahrscheinlich ein Tumor“ … „warten wir ab, ob die Hautveränderung größer wird“ … „ein Tumor, den zu behandeln keine Chance mehr besteht“ … „machen Sie ihm die letzten Wochen so schön wie möglich …“ – Sprechen diese Sätze, die wir wie undeutliche, ferne Wortgebilde aus einer anderen Welt zu vernehmen glauben, wirklich von unserem Freund hier neben uns, mit dem wir große Bereiche unseres Lebens teilen? Wir verlassen die Praxis, steigen ins Auto. Nichts ist mehr so wie noch vor einer Stunde. Die Welt ringsum scheint sich innerhalb weniger Minuten komplett verändert zu haben. Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Unsicherheit und Verständnislosigkeit begleiten uns, wenn wir mit Tränen in den Augen den vierbeinigen Partner neben uns betrachten, streicheln und liebkosen … Wie lange wird er noch bei uns sein und uns begleiten? Wie viel Zeit bleibt uns noch? Plötzlich stehen Gefühle des Abschiednehmens im Vordergrund, und die bedrückende Ahnung, nur noch eine begrenzte Zeit miteinander auf dieser Welt verbringen zu dürfen, verschafft sich Raum …
Aber Achtung! Nur den Raum, den wir zulassen! Nur den Raum, den wir bereit sind zu geben, den wir selbst der Hoffnungslosigkeit zugestehen! Schon jetzt – in diesem Moment – beginnt unsere neue und künftig wichtigste Aufgabe, die aus unzähligen Facetten und kleinen Schritten bestehen wird und die ein manchmal schwieriges Nebeneinander von sachlichen Entscheidungen und Emotionen sein wird: Wir müssen ab sofort mit der neuen Realität LEBEN!
Ab dem ersten Moment, in dem der Verdacht einer Krebserkrankung gegeben ist, beginnt unsere Aufgabe, bewusst und zielführend zu handeln und die Chance auf LEBEN, solange sie gegeben ist, niemals aus den Augen zu verlieren.
Der Freund an unserer Seite lebt, und wir werden einen Weg finden, die kommenden Wochen, Monate, vielleicht Jahre gemeinsam mit seiner Krebserkrankung zu leben! Solange keine klare und unzweifelhafte medizinische Beurteilung das widerlegt und solange nicht alle Möglichkeiten der Behandlung, die uns zur Verfügung stehen, ausgeschöpft sind, dürfen wir niemals daran zweifeln! Mit der Krankheit gleich das Ende zu verbinden und zu akzeptieren, ist einfach – zu einfach! Die Krankheit anzunehmen und ebenso bewusst wie gezielt nach einer LEBENSform zu suchen, die den veränderten Gegebenheiten für unseren Vierbeiner und für uns gerecht wird, das ist jetzt die größte Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Diese LEBENSform muss zur Grundlage für die mentale Kraft und Stärke werden, die wir nun brauchen, um das geliebte Wesen an unserer Seite durch diese Zeit der Krankheit zu begleiten. Mentale Stärke lässt sich durchaus trainieren. Die Kraft der inneren Bilder spielt dabei eine ebenso wesentliche Rolle wie eine bedingungslose Konzentration auf das Hier und Jetzt. Achten wir darauf, unsere Visualisierungskraft nicht in eine endlose Spirale von Sorgen, sondern in positive Bilder, Empfindungen und Wahrnehmungen zu investieren. Bleiben wir mit unseren Gedanken in der Gegenwart und fokussieren wir uns auf das, was unser bester Freund auf vier Pfoten jetzt braucht: unsere Zuwendung, unsere Sicherheit, unser Da-Sein – und das bedeutet nicht zuletzt auch, die stille Zweisamkeit einer einsamen Waldwiese bewusst zu leben und zu einem neuen Zeitmanagement zu finden, bei dem auch der Anruf der besten Freundin und ganz sicher der letzte aktuelle Eintrag in der Facebook-Gruppe warten können. Ja, auch unsere eigene Lebensqualität wird sich merklich steigern, wenn wir konsequent an der Lebensqualität unseres vierbeinigen Begleiters arbeiten.
Unsere wichtigsten Partner, diese Erfolgsstrategie umzusetzen, sind die behandelnden Tierärzte unseres Patienten. Ein Hund mit einer Tumorerkrankung gehört im Idealfall nicht allein in die Hände des Haustierarztes, sondern braucht eine interdisziplinäre Betreuung und die kompetente Unterstützung der veterinärmedizinischen Onkologie. Neben diesen fachlichen Aspekten dürfen wir die menschliche Seite dieser Kommunikation, die Basis eines unverzichtbaren Vertrauens ist, nicht unterschätzen.
Der vierbeinige Tumorpatient benötigt für die Planung und Durchführung einer effizienten und zielführenden Therapie nun die Hilfe wirklicher Spezialisten!
Machen wir uns die wichtigsten Inhalte dieses neuen LEBENSabschnitts, in den unser Freund und wir mit seiner Krebsdiagnose eingetreten sind, bewusst: Zuerst streichen wir die Vokabeln Angst, Sinnlosigkeit und Aufgeben, die wir nicht einmal mehr denken dürfen, aus unserem Wortschatz! An ihre Stelle treten die Worte Vertrauen, Geborgenheit und Liebe! Angst ist immer der schlechteste Ratgeber und weist lediglich darauf hin, dass wir es mit etwas Unbekannten zu tun haben. Ängste entstehen immer dort, wo Fragen offenbleiben und uns Antworten fehlen. Beginnen wir also, konsequent nach diesen fehlenden Antworten zu suchen, um so unsere rational oft nicht begründeten und auch nicht begründbaren Ängste zu überwinden.
Unser Partner auf vier Pfoten hat es mit Sicherheit nicht verdient, dass wir jetzt die Augen verschließen und aufgeben. Das würde seinem Wesen, mit dem er uns über Jahre hinweg so manch fröhliches Lachen, manch stilles Lächeln, immer aber Lebensfreude und Glück geschenkt hat, nicht entsprechen. Nehmen wir also die Herausforderung an und machen wir uns gemeinsam mit unserem Freund auf den Weg, seine Erkrankung anzunehmen, uns mit ihr auseinanderzusetzen und sie unter Kontrolle zu bringen, in jedem Fall aber mit ihr zu LEBEN! – wie mit jeder anderen chronischen Erkrankung auch.
„Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“
Václav Havel
Wenn wir vor der Aufgabe stehen, den besten Freund an unserer Seite durch eine Tumorerkrankung zu begleiten, ist es sinnlos und für die eigene mentale Einstellung geradezu kontraproduktiv, die Krankheit zu einem Feindbild zu stilisieren, gegen das es anzukämpfen gilt. Vermeiden wir auch diese mit unzähligen negativen Emotionen vorbelasteten martialischen Metaphern in unserem Vokabular, und nehmen wir stattdessen die Erkrankung unseres Hundes schlicht als Teil seines Lebens an – als einen Teil dessen, was wir lieben, und als Herausforderung, die es gemeinsam zu bestehen gilt! Wenn wir uns bewusst entscheiden, dem Leben eine Chance zu geben, werden Angst und Unsicherheit sich schnell in Verständnis und Vertrauen wandeln und die Basis dafür legen, den vierbeinigen Freund an unserer Seite erfolgreich durch die Zeit seiner Erkrankung zu führen.
Manchmal kann die notwendige und möglicherweise auch kurative Therapie einer Krebserkrankung zu einer dauerhaften Veränderung führen, beispielsweise wenn ein Osteosarkom die Amputation einer Gliedmaße notwendig macht. Diese therapeutischen Möglichkeiten in Betracht zu ziehen und anzunehmen, kann unserem Freund eventuell Jahre voller Energie und Lebensfreude schenken. Orthopädische Hilfsmittel erleichtern den Alltag mit Hunden, deren Tumor zu einer bleibenden Behinderung führte, und steigern die Lebensqualität. So können auch Hunde mit vollständigen Lähmungen der Hinterextremitäten dank eines Rollwagens Mobilität zurückgewinnen und ihren Aktionsradius entscheidend erweitern. Die Skepsis derartigen Hilfsmitteln gegenüber liegt nur allzu oft in der menschlichen Eitelkeit begründet, während unsere vierbeinigen Partner selbst meist ab der ersten Probefahrt Gefallen an ihrem Gefährt finden und die Unterstützung problemlos annehmen.
Meist haben wir uns bis zu jenem Tag, an dem der Tierarzt bei unserem geliebten vierbeinigen Freund eine Tumorerkrankung diagnostiziert, nur wenig oder auch nur am Rande mit dieser Thematik beschäftigt. Auch wenn das Thema Krebs in den Medien einen breiten Raum einnimmt und zahlreiche Informationen zu Therapien, möglichen Ursachen und vorbeugenden Maßnahmen für jeden Interessierten zugänglich sind, stehen wir nun plötzlich am Tag der Diagnose in unserem engsten Umfeld scheinbar einem großen Unbekannten gegenüber. Die Thematik scheint uns fremd, und es ist Teil der menschlichen Natur, dass alles Fremde zunächst einmal Gefühle der Angst und Unsicherheit weckt. Wir aber stehen jetzt vor der Aufgabe, mit diesem Unbekannten namens „Krebs“ zu leben und ihn in unser Denken und unseren Alltag zu integrieren. Also müssen wir ihn kennenlernen und uns mit ihm auseinandersetzen. Es bleibt uns keine andere Wahl, wenn wir unserer Verantwortung dem uns anvertrauten Leben gegenüber gerecht werden wollen und bewusste und richtige Entscheidungen für unseren vierbeinigen Freund treffen möchten. Diese