Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung. Klaus Stieglitz
entwickelte Menschenbild, das auch als Leitbild für Hilfsorganisationen ohne religiösen Bezug trägt. Zu den Helfern aus dem Ausland zählt auch Hoffnungszeichen | Sign of Hope. Die in Konstanz am Bodensee ansässige deutsche Nichtregierungsorganisation ist eine überkonfessionelle Menschenrechts- und Hilfsorganisation.
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Anfang Juni 1994 reiste Reimund Reubelt, Mitarbeiter von Hoffnungszeichen, in den südlichen Sudan. Im bürgerkriegsgeschundenen Land landete er mit einem kleinen Flugzeug voller Hilfsgüter, die er vorher in Kenia organisiert hatte. Der Pilot war unsicher gewesen, ob die Landepiste, die er ansteuerte, in Rebellenhand oder von Regierungstruppen gehalten wurde: »Wenn die Leute auf uns zu rennen, dann ist das ein schlechtes Zeichen, und wir müssen sofort wieder starten.« Die großgewachsenen und hageren Gestalten schritten langsam, fast feierlich auf die Buschpiste zu.
Diese Reise war der Beginn der seit zwanzig Jahren andauernden Arbeit in dem Land mit einer Analphabetenrate von mehr als 75%, in dem über die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt. Hoffnungszeichen organisierte nun regelmäßige Hilfstransporte in die gefährliche Krisenregion und begann, insbesondere mit kirchlichen Partnern vor Ort zusammenzuarbeiten.
Reimund Reubelts Kollege Klaus Stieglitz erinnert sich noch genau an die Begegnung mit einem älteren Herrn bei einem der regelmäßigen Besuche im südlichen Sudan ein paar Jahre später: »Die einfache Kleidung des Mannes mit schohweißen Haaren wirkte fast schäbig. Der alte Mann, ein ehemaliger Lehrer, erzählte uns aus seinem Leben, und wir hörten gespannt zu. Nach einer Weile fragte er uns, woher wir kämen. Deutschland kenne er gut, meinte er – aus dem Radio. Jahrelang hatte er sich durch den Kurzwellensender der ›BBC‹ auf dem Laufenden gehalten. Besonders traurig gestimmt habe ihn, dass 1961 eine Mauer quer durch Deutschland gebaut worden sei, die die Menschen trennte. Bis 1989 habe er täglich für den Fall dieser Mauer gebetet, die er nie gesehen hat. Dieser Mann im hintersten Winkel des heutigen Südsudans hat uns gezeigt, dass ihm das Unrecht, dessen Symbol diese Mauer war, nicht gleichgültig ist. Und er hat getan, was er konnte, um seinen Mitmenschen im reichen Europa beizustehen: Er hat gebetet. Wir fühlten uns in diesem Moment von dem alten Mann auf eine tiefe Art geliebt. Es war ein eindrücklicher Moment, der uns unser persönliches Credo vor Augen führte: den Menschen helfen, mit ihnen arbeiten und ihre Rechte schützen.«
Zu humanitärer Hilfe für den Südsudan kamen im Laufe der folgenden Jahrzehnte Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit sowie der Einsatz für Menschenrechte hinzu. Aus der Kombination zwischen humanitärer Hilfe, Entwicklungsund Menschenrechtsarbeit in Krisenregionen entsteht eine Spannung: Sich für die Rechte von Menschen einzusetzen, bedeutet, die Stimme gegenüber den Mächtigen zu erheben. Gleichzeitig sind es in Afrika wie in anderen von Potentaten geführten Ländern gerade die Machthaber, die darüber entscheiden, ob man überhaupt mit ihren Bürgern sprechen darf. Dennoch ist es für Hoffnungszeichen wichtig, den Menschen nicht nur mit Nahrung, Wasser, Medizin oder dem Bau von Schulen zu helfen, sondern auch zu versuchen, das Übel – die Verletzung von Menschenrechten –, an der Wurzel zu packen. Reimund Reubelt und Klaus Stieglitz sind deshalb überzeugt: »Wenn wir mit den einfachen Leuten vor Ort zusammenarbeiten wollen, wenn wir auf Augenhöhe eine Entwicklung benachteiligter Personengruppen erreichen möchten, müssen wir uns auch um deren Rechte kümmern. Es gilt, die Würde der Menschen zu schützen.«
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2006 erhält Hoffnungszeichen Beraterstatus im Wirtschaftsund Sozialrat der Vereinten Nationen und macht auf Menschenrechtsverletzungen im Südsudan aufmerksam.
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Ende 2007 wurde Hoffnungszeichen auf Probleme mit dem Trinkwasser in einigen Regionen des südlichen Sudan hingewiesen. Erste Tests bestätigten die Vermutung, dass die Verunreinigungen im Zusammenhang mit der Ölförderung stehen. Hoffnungszeichen gab eine umfassende Studie in Auftrag, die diesen Zusammenhang wissenschaftlich bestätigte.
Die Geschichte, die dieses Buch erzählt, ist die Chronik der Bemühungen von Hoffnungszeichen, die Verantwortlichen in den Ölfirmen zu bewegen, sich an international geltende Standards zu halten. Es geht darum, 180 000 betroffenen Menschen zu ihrem Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser zu verhelfen. Es geht auch darum, eines der größten Feuchtgebiete der Erde mit einem einzigartigen Artenreichtum zu erhalten. Und es geht darum, Herrschaftsmechanismen eines jungen Staats zu zeigen, die die Ölvorkommen zum Fluch für die Bevölkerung werden ließen. Was diese Chronik aber auch zeigt: Es gibt Hebel, um von außen Einfluss auf Entscheidungen der Schädiger zu nehmen. Sie müssten nur konsequent angewendet werden.
2008
Ein Verdacht
Der heutige Südsudan bildet seit über 20 Jahren den Schwerpunkt der Arbeit von Hoffnungszeichen. Hilfe vor Ort in einem derart krisengeschüttelten Gebiet zu leisten erfordert eine sorgfältige Auswahl der Partner, die auch in schwierigen Zeiten noch in der Lage sind, Projekte zu betreuen. Als eines der ärmsten Länder der Welt benötigt der Südsudan (vormals Teil des Sudans) unsere Hilfe in vielen Bereichen: bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser, beim Aufbau medizinischer Infrastruktur wie Buschkliniken und Unterstützung in Bildungsprojekten. Um langfristig eine nachhaltige Struktur aufbauen zu können, muss man eigene Mitarbeiter vor Ort einsetzen, die mit lokalen Akteuren zusammenarbeiten. Bis zu 80 Mitarbeiter von Hoffnungszeichen sind im Einsatz: Sie unterstützen Mutter-Kind-Projekte, helfen bei der Errichtung von Dorf-Kindergärten sowie beim Betrieb zweier Buschkliniken.
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Ende 2007 erhält Hoffnungszeichen einen Brandbrief aus dem Südsudan. Einem lokalen Vertrauensmann wurde in den vergangenen Wochen und Monaten immer häufiger und in alarmierender Weise berichtet, dass das Trinkwasser in der Umgebung der Ölförderanlagen um Thar Jath nicht mehr in Ordnung sei. Besorgte Mütter beklagten bitteren Geschmack, teilweise sei das Wasser wohl auch so salzig, dass Kinder sich sofort übergäben. Magen- und Durchfallerkrankungen hätten insgesamt sehr zugenommen. Außer den Kindern seien alte oder geschwächte Personen betroffen. Und auch ungewöhnliche größere Viehsterben würden von den Hirten auf schlechtes Wasser zurückgeführt. Als Grund vermuteten die Menschen Abfälle aus der Ölindustrie. Dort würden Chemikalien zum Einsatz kommen und wohl einfach in die Umwelt entsorgt. Genaues wisse man aber nicht. Die Kontaktleute richten einen fast verzweifelten Appell an uns. Sie hätten weder Mittel noch Möglichkeiten, Untersuchungen anzustellen und Beweise zu erbringen. Aber Hoffnungszeichen müsse doch von Deutschland aus etwas ausrichten können?
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Bei Hoffnungszeichen sind die Mitarbeiter des Sudan-Projekts genauso alarmiert. Wasser ist das große und übergreifende Thema vieler Menschenrechtler in dieser Zeit. Am 23. Dezember 2003 hat die 58. Generalversammlung der Vereinten Nationen die zehn Jahre dauernde Internationale Aktionsdekade »Wasser für das Leben« ausgerufen.1 Sie begann am Weltwassertag, dem 22. März 2005, und endete am 22. März 2015.2 In diesem Zeitraum sollen weltweit Entscheidungsträger und die breite Öffentlichkeit für Wasserthemen sensibilisiert und darauf hingewirkt werden, dass bereits eingegangene Verpflichtungen umgesetzt werden.3 Bis 2015 soll die Anzahl der Menschen, die keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser und zu angemessener sanitärer Versorgung haben, halbiert werden.4 Nicht nachhaltige Wassernutzungsformen sollen beendet werden.5
Noch ist das Recht auf sauberes Trinkwasser nicht verbrieftes Recht. Die Weltgemeinschaft arbeitet allerdings mit zunehmender Kenntnis der bestehenden Notlagen und der immer absehbareren dramatischen Folgen daran. Für Menschenrechtsaktivisten wie Hoffnungszeichen steht außer Frage, dass es ein Menschenrecht auf sauberes Wasser gibt.
Was wir von Hoffnungszeichen im Sudan vorfinden werden ist ungewiss. Vielleicht sind es nur Gerüchte, das kam schon vor. Allerdings bewertet unser Kontaktmann, dessen Urteil unser volles Vertrauen genießt, die Situation als sehr ernst. Deshalb gibt es nur eine richtige Entscheidung: Wir müssen den Befürchtungen auf den Grund gehen. Aber wie? Man könnte nach den möglichen Quellen von Verunreinigungen suchen und Proben nehmen. Unsere nächste Menschenrechtserkundungsreise in den Sudan ist schon in Vorbereitung, die Ölfördergebiete