Swiss Paradise. Rolf Lyssy

Swiss Paradise - Rolf Lyssy


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Marti und Reni Mertens mit mir einig, daß der nächste Film, den wir zusammen realisieren wollten, unbedingt ein Spielfilm sein mußte. Es war naheliegend, den Trend zu nutzen und es auch mit einem Episodenfilm zu versuchen. Die Vorteile lagen auf der Hand. Das Wagnis, fiktive Geschichten mittels Kurzfilmen umzusetzen, würde das Risiko eines Erstlingsfilms erheblich mindern, nicht zu reden von den Produktionskosten, die man bei diesem Genre besser unter Kontrolle hätte. Marti mobilisierte die Kollegen aus der französisch- und der deutschsprachigen Schweiz, die ähnliche Absichten wie wir hatten, und so kam es zu einem ersten Treffen mit Goretta, Tanner und Seiler in Zürich. Alle waren sich einig, daß man die Chance für einen gemeinsamen Schritt hin zum Spielfilm unbedingt nutzen sollte. Auch der Vorschlag, es mit einem Episodenfilm zu versuchen, erregte keinen Widerspruch. Es zeigte sich dann aber schnell, daß schon im Ansatz die Vorstellungen, wie ein Kinofilm in dieser Form aussehen sollte, diametral auseinanderliefen. Ich plädierte gleich zu Beginn für ein gemeinsames Thema, das jeder auf seine eigene Art behandeln würde, und war der Meinung, daß ein gemeinsamer thematischer Nenner unabdingbar war. Außer bei Walter Marti und Reni Mertens fand ich jedoch keine Zustimmung. Ich hatte den Verdacht, daß man mir als jüngerem Protegé von Marti, der sich zwar als Kameramann und Cutter, nicht aber als Autor und Regisseur bewiesen hatte, wenig bis kein Vertrauen entgegenbrachte. Vielleicht betrachteten sie es auch als erschwerend und nicht unbedingt wünschenswert, daß – sollte auch ich mitmachen – mit fünf Filmen gerechnet werden mußte. Das hätte bei einer Gesamtlänge von hundert Minuten pro Episode zwanzig Minuten ergeben. Bei vier Episoden hingegen würde jedem mehr Spielzeit zur Verfügung stehen. Diese Gedanken drehten sich in meinem Kopf, aber weil ich nicht kampflos aufgeben wollte, ging ich in die Offensive und machte den Vorschlag, als gemeinsames Thema »Hochzeit in der Schweiz« festzulegen. Auf den Gesichtern zeigte sich wenig Begeisterung. Eigentlich gar keine. Da jedoch niemand in der Runde eine bessere Idee hatte, wurde beschlossen, zuerst einmal darüber nachzudenken und sich in Kürze zu einer nächsten Runde zu treffen. Dann sollte jeder eine konkrete Ideenskizze zum vorgeschlagenen Thema mitbringen. Daß Goretta und Tanner die lange Reise von der Rhonestadt nach Zürich nochmals machen würden, gab zu Hoffnungen Anlaß. Einige Wochen später fand das zweite Treffen tatsächlich statt. Allerdings ohne Claude Goretta, aber das war zu verschmerzen, immerhin waren wir noch zu viert. Marti und Mertens galten als eine Person, denn Reni würde keinen eigenen Film realisieren, sondern für die Produktion verantwortlich sein. Und so präsentierte jeder seine Idee. Vom gemeinsamen Nenner konnte allerdings keine Rede mehr sein: Tanner trug eine Geschichte vor, die absolut nichts mit dem Thema zu tun hatte; Seilers Entwurf handelte von einer jungen Babysitterin und war meilenweit entfernt von der Vorgabe und Marti hatte gar keine Geschichte. Ich hatte ein Exposé geschrieben, in dem die Geschichte von Eugen erzählt wird, einem jungen Mann, der sich mit Hilfe einer Heiratsvermittlungsagentur eine passende Frau sucht. Eugen will auf Nummer Sicher gehen und hofft, durch die Agentur, die hocheffizient mit Computern arbeitet, die perfekte Frau fürs Leben zu finden. Es sollte eine Komödie werden. Vielleicht gerade deswegen hielt sich die Zustimmung der Kollegen in Grenzen. Ich hatte bereits während der ersten Gesprächsrunde gemerkt, daß besonders Tanner ein vehementer Gegner jeglicher Verbindung von Autorenkino und Kommerz war. Nur schon das Liebäugeln mit dem Publikum interpretierte er als Verrat an der Filmkunst. Meinen Intentionen lief das zuwider. Was das Thema Kunst und Kommerz betraf, so hatte ich schon damals keine Berührungsängste.

      Für mich war und ist Filmemachen untrennbar mit Geld und demzufolge auch mit kommerziellen Überlegungen und Zwängen verbunden. Das eine Element funktioniert nicht ohne das andere. Film ist das aufwendigste und teuerste künstlerische Medium. Die gestalterische Arbeit und die materielle Verantwortung bedingen einander. Was kann man sich denn, auch als Autor, für einen Film Besseres wünschen als möglichst viele Zuschauer. Natürlich, und da war ich mit Tanner einig, durften Kompromisse, die sich nur noch nach irgendeinem nebulösen Publikumsgeschmack orientieren, nicht auf Kosten der künstlerischen, sprich inhaltlichen Substanz eines Films gemacht werden. Daß er sich allerdings grundsätzlich um die Zuschauer foutierte, wie er mir einmal während der gemeinsamen Arbeit an seinem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm Les apprentis gestand, habe ich bis heute nicht begriffen.

      Beim dritten Treffen fehlte Tanner. Seiler war die Lust an einer Geschichte zum Thema Heirat offensichtlich auch vergangen. Das Episodenfilmprojekt hatte sich bereits im vorgeburtlichen Stadium von selbst erledigt. Was blieb, war Martis und meine Überzeugung, daß die Geschichte von Eugen das Potential für einen Kinofilm enthielt. Wir beschlossen, den Weg alleine zu gehen. Aus meiner Episode wollte ich eine abendfüllende Geschichte schreiben. Marti erklärte sich bereit, den Film zu produzieren und mit dem Geld, das Reni und er durch den Kinoerfolg von Ursula oder das unwerte Leben verdient hatten, auch vollauf zu finanzieren. Einen andern Weg gab es nicht. Wer aus der Privatwirtschaft würde das Risiko eingehen und einem unbekannten Filmemacher für seinen Erstlingsfilm 150’000 Franken hinblättern? Auf diesen Betrag hatten wir die Produktionskosten veranschlagt. Die Bundesfilmförderung zu jener Zeit sprach nur Dokumentarfilmprojekten Beiträge zu. Man scheute sich damals noch, Gelder der öffentlichen Hand für Spielfilmproduktionen auszugeben. Fiktion war in jeder Hinsicht suspekt und wenn es sich um eine Komödie handelte erst recht. Bei näherer Betrachtung ist das hierzulande bis heute in vielen Köpfen so geblieben.

      Mit einer Mini-Equipe, wenigen Schauspielern und einer Anzahl Laien wagten wir im Frühling des schicksalhaften Jahres 1968 das Experiment. Und ein Experiment war es auf der ganzen Linie. Der Schweizer Spielfilm der vorangegangenen Generation sollte allerdings noch ein letztes Mal bemerkenswert aufblühen, als Kurt Früh 1971 die berührende Komödie Dällebach Kari realisierte und ein Jahr später mit Der Fall seinen letzten Kinofilm auf die Leinwand brachte. Bis auf diese zwei Filme von Kurt Früh hatte mich der alte Schweizerfilm nie sonderlich interessiert. Insbesondere bereitete mir die Sprache große Mühe. Einerseits war Dialekt meine Sprache, unsere Sprache, die Sprache dieses Landes, anderseits empfand ich die Dialoge in den Dialektfilmen als zu papieren, zu gestelzt, zu sehr dem Kabarett verbunden. Das lag zum einen zweifellos an den Drehbüchern, aber auch an den Darstellern, die größtenteils aus der Kabarettszene kamen, dort außerordentlich erfolgreich waren, aber ihren Sprechduktus für die Leinwand nicht änderten. Es war die Zeit, als bei uns in den damals noch spärlichen Studiokinos besonders die Filme aus der Tschechoslowakei Aufmerksamkeit erregten. Die bescheidenen und doch anspruchsvollen Schwarzweißkomödien Die Liebe einer Blondine und Schwarzer Peter von Milós Forman, Kleine Margueriten von Vera Chytilova oder Scharf beobachtete Züge von Jiri Menzel und andere mehr nährten meine Überzeugung, daß es doch möglich sein müßte, solche Geschichten auch bei uns auf die Leinwand zu bringen. Und so wurde mein erster Spielfilm Eugen heißt wohlgeboren eine vom tschechischen Film inspirierte Komödie deutschschweizerischer Provenienz. Das Drehbuch bestand aus einer lockeren Szenenfolge ohne Dialoge. Um die Darsteller eine möglichst natürliche Alltagssprache sprechen zu lassen, erklärte ich ihnen genauestens den Szenenablauf und gab ihnen, ausgehend vom Charakter der Figuren, Anhaltspunkte, wie ich mir den Dialog vorstellte. Dann bat ich sie zu improvisieren. Die Resultate waren nicht durchwegs befriedigend. Einerseits kamen die meisten Improvisationen meinen Vorstellungen vollauf entgegen, anderseits bestand aber immer wieder die Gefahr, daß sich die Dialoge, welche die Schauspieler spontan erfanden, sozusagen verselbständigten und nicht unbedingt den Humorcharakter hatten, wie er mir vorschwebte. Gesamthaft gesehen war jedoch eindeutig herauszuhören, daß sich die Tonalität der gesprochenen Dialoge wohltuend von den früheren Dialektfilmen unterschied. Im August 1968 war der Film fertiggestellt. Die Studentenunruhen[ und Globuskrawalle [Demonstration für ein Jugendhaus an der Bahnhofbrücke in Zürich] in den Monaten Mai und Juni waren unbeachtet an mir vorbeigegangen. Die Bild- und Tonmontage an meinem Spielfilm hielt mich vollumfänglich in Beschlag.

      Die mit Spannung erwartete Premiere im Kino Bellevue in Zürich ist mir unvergeßlich in Erinnerung geblieben. Es geschah, was niemals hätte geschehen dürfen: Während der Vorführung gab es unfreiwillige Unterbrüche, als die Kopie dreimal riß. Einmal wäre schon schlimm gewesen, dreimal, das war zuviel und vernichtend. Die Unzulänglichkeiten der Technik hatten mir einen fürchterlichen Streich gespielt, und das Mitleid, das ich nach der Vorführung auf den Gesichtern der Premierengäste las, war schlimmer als der schlimmste Verriß. Und der ließ nicht lange auf sich warten. Zwei Tage später bolzte der Kritiker einer großen Tageszeitung Eugen gnadenlos in den Boden. So gnadenlos, daß sich Leute fragten, ob der Schreiber etwas


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