Elton John. Mark Bego
war Elton jedoch mit anderen Dingen beschäftigt, vor allem damit, genug Material zusammenzutragen, das stark genug für ein zweites Album war. Er war immer noch ein glühender Musikfan und verfolgte mit großem Interesse alles, was sich in den Charts bewegte. Im Musicland, dem Plattenladen, in dem er arbeitete, hörte er stets die neuesten Songs gleich nach ihrem Erscheinen. Außerdem war er ständig unterwegs, um sich andere Musiker in den Clubs vor Ort anzusehen, und er ging zu den Konzerten der großen Stars der damaligen Zeit: Die amerikanische Folkrock-Legende Bob Dylan erlebte er bei einem Gig auf der Isle Of Wight, The Who im September in Croydon. Inzwischen waren die Songs, die er mit Bernie schrieb, von einem ganz neuen Sound geprägt. Und am Montag, den 27. Oktober 1969, setzte sich Elton ans Klavier und komponierte in nur zehn Minuten die Musik zu einem von Taupins Texten – „Your Song“.
Während die beiden das Material für die neue Platte zusammenstellten, dachten sie auch darüber nach, mit welchem Produzenten sie im Studio arbeiten wollten. Und wieder kreuzten sich die Wege von Elton John und David Bowie. „Space Oddity“ war inzwischen ein Riesenhit geworden. Da Gus Dudgeon den Sound dieses Titels geschaffen und Paul Buckmaster die Arrangements dazu geschrieben hatte, waren beide als Mitstreiter äußerst interessant für Elton, der seine Songs gern mit derselben Dynamik ausstatten wollte.
Bei den neuen Titeln handelte es sich größtenteils um dramatische Balladen. Bernie und Reggie fanden den Gedanken traumhaft, dass Buckmaster eine üppige Orchesterbegleitung dazu schreiben könnte, und Buckmaster war, als man ihn darum bat, tatsächlich an einer Zusammenarbeit interessiert. Anschließend gingen sie auf die Suche nach einem Produzenten und hatten auch hier schon eine Traumbesetzung im Kopf: George Martin, der legendäre Soundtüftler, der die Beatles im Studio betreut hatte.
Daraus wurde jedoch nichts, und nun fiel Elton Gus Dudgeon ein, der zweite Mann hinter dem Sound von Bowies erstem großen Hit: „‚Space Oddity‘ war für mich eine der besten Platten aller Zeiten. Als ich erfuhr, dass Dudgeon das produziert hatte, war klar, dass wir ihn wegen der zweiten Platte ansprechen mussten.“(11)
Die Band, die Elton nun zusammenstellte, bestand aus verschiedenen Freunden und Bekannten, die auch im Musikgeschäft tätig waren. Den Kern stellte die Band Hookfoot, die ebenfalls bei DJM unter Vertrag stand, mit Eltons Freund Caleb Quaye an der Gitarre, Roger Pope am Schlagzeug und David Glover am Bass. Den Begleitgesang übernahmen unter anderem Tony Burroughs von der Band Edison Lighthouse („Love Grows Where My Rosemary Goes“), die Sängerin und Songwriterin Sandy Denny und die energiegeladene Madeline Bell von Blue Mink. Diana Lewis spielte Moog-Synthesizer auf „First Episode At Heinton“ und „The Cage“. Darüber hinaus wirkten verschiedene andere Sessionmusiker mit. Gus übernahm die Produktion, Paul Buckmaster das Arrangement, während Robin Geoffrey Cable als Toningenieur an Bord war und Steve Brown den Titel „Projektkoordinator“ erhielt.
Gus Dudgeon erinnerte sich später voller Stolz: „Das Album war damals bis ins kleinste Detail geplant. Jeder Streichereinsatz, jeder Trommelschlag, alles war vorher auf Papier notiert worden: ‚Hier Cello-Einsatz‘. Die Woche, in der die Platte entstand, war für mich wohl die aufregendste aller Zeiten. Ich würde mich sehr glücklich schätzen, wenn ich eine solche Zeit noch einmal erleben könnte. So etwas passiert einfach nicht sehr häufig. Es waren eine Menge Leute im Studio, und so gut wie Caleb Quaye kannte Elton nur die wenigsten. Ich hatte mir schon vorab überlegt, mit welchen Schlagzeugern ich gern arbeiten wollte, mit Barry Morgan und mit Terry Cox. Bei den Musikern handelte es sich überwiegend um Leute, die ich durch meine Arbeit als Toningenieur bereits gut kannte; mit einigen hatte ich auch schon als Produzent gearbeitet. Ein paar der Tracks waren live eingespielt worden, darunter auch ‚Your Song‘, vom Gesang einmal abgesehen. Als Elton ins Studio kam und sah, dass ein Orchester darauf wartete, seinen Song zu spielen, hat er so geschwitzt, dass er in fünf Minuten bestimmt fünf Pfund abgenommen hat.“(12)
Für Reggie und Bernie war das Album Elton John das Projekt, das über ihre ganze berufliche Karriere entschied: Wenn sie es jetzt nicht schaffen würden, dann vielleicht niemals. Es musste einfach ein Hit werden, schon allein, damit Dick James das Geld wieder reinbekam, das er investiert hatte. Das war jedenfalls das Ziel. Elton erklärte später rückblickend: „Es war das erste Album, bei dem mir ein größeres Budget zur Verfügung stand. Wir sprechen hier von ungefähr 7.000 Pfund – dafür hätte man sich in Pinner eine Doppelhaushälfte kaufen können. Ich bekam das Beste vom Besten – die Trident Studios, einen Arrangeur, Gus Dudgeon, ein Orchester. Wir hätten ursprünglich gern George Martin verpflichtet, aber für die Arrangements war schon Paul Buckmaster an Bord, ein Genie, von dem die Streicher für ‚Space Oddity‘ stammten. Das meiste Geld ging für das Orchester drauf – wir mussten drei Songs pro Session einspielen, weil das so teuer war. Es war verdammt Furcht einflößend! ‚I Need You To Turn To‘ war ein wirklich kitzliger Moment. Ich spielte Cembalo. Das Instrument sieht einem Klavier zwar ähnlich, aber durch den speziellen Mechanismus erklingen die Töne immer ein wenig verzögert, und es ist ziemlich leicht, mit dem Ding ein ganzes Stück zu versauen, wenn man nicht vorausdenkt. Der Song war stark von Leonard Cohen beeinflusst, den Bernie und ich ganz großartig fanden; so ein Songwriting gibt es heute gar nicht mehr. Es war ein Risiko, aber eine total echte, ehrliche Performance.“(13)
Als sie mit der Arbeit an „Border Song“ begannen, wurde klar, dass der Text nicht reichte, um aus Bernies Zeilen einen ganzen Song zu machen. Da Bernie gerade nicht greifbar war, setzte sich Elton hin und ergänzte ihn. „Die letzte Strophe ist von mir“, berichtete Elton, „weil der Titel nur zwei hatte, wir aber noch einen Vers brauchten. Deswegen klingt dieser letzte Teil sehr schnörkellos.“(14)
Für Elton waren die Aufnahmen dieses Albums eine sehr stressige Erfahrung – eine wahre Feuertaufe. Wenn er vom Klavier aufblickte und feststellte, dass professionelle Violinisten auf sein Zeichen für ihren Einsatz warteten, flippte er beinahe aus. Er, der 22-jährige Reginald Dwight, Schulabbrecher, Plattensammler, Möchtegernkomponist, saß da und seine eigene Streichergruppe beobachtete ihn dabei, wie er spielte. „Das Album Elton John wurde quasi live eingespielt – mit dem Orchester. Nur der Gesang wurde später hinzugefügt. Ich machte mir fast in die Hosen. Ich saß zwischen diesen ganzen Musikern, die alle Noten lesen konnten, und dachte, wenn ich jetzt einen Fehler mache … Diese Woche war ein Alptraum, aber es hat letztlich alles gut funktioniert.“(15) Glücklicherweise brachte die Angst sein musikalisches Talent nur noch stärker zum Vorschein, und er lieferte eine Performance ab, die alle Anwesenden beeindruckte.
Aber wie verwandelt man einen eher nach einem Außenseiter aussehenden Typen aus der Vorstadt in einen Rockstar? Zunächst einmal braucht man dazu herausragende Musik, aber natürlich auch ein aufregendes, sexy Image, um diese Musik der Öffentlichkeit zu verkaufen. Elton, der noch immer an seiner Buddy Holly-Brille festhielt, war alles andere als sexy. Zwar war er erst Anfang zwanzig, aber ihm ging bereits das Haar aus. Und obwohl er in der letzten Zeit etwas Gewicht verloren hatte, wirkte er immer noch ein wenig moppelig. Sein Gesicht konnte man allenfalls als unauffällig bezeichnen. Um seiner eher blassen Erscheinung etwas mehr Farbe zu verleihen, war er dazu übergegangen, hochmodische, grelle Kleidung zu tragen, hellrote Hosen, bunte Halstücher und andere ausgefallene Accessoires, die er in den Läden auf der Carnaby Street fand.
Als es um das Coverfoto ging, stellte Eltons Erscheinung eine kleine Herausforderung dar. Für die Hülle von Empty Sky hatte man im Jahr zuvor eine etwas billig wirkende Porträtzeichnung verwendet. Bei Elton John war es nun aber entscheidend, den Mann hinter der Musik zu präsentieren, und zwar so ansprechend und sexy, wie es überhaupt nur möglich war.
Die Aufgabe, für das richtige Layout zu sorgen, fiel dem Fotografen Stowell Stanford und dem Designer David Larkham zu. Interessanterweise ist das Cover von Elton John optisch stark an ein anderes, damals sehr erfolgreiches Album angelehnt – an Suitable For Framing von Three Dog Night. Da diese Platte der größte Verkaufsschlager war, an dem er bis dahin je beteiligt war, ob als Songwriter oder anderweitig, wieso sollte sich Elton nicht daran orientieren? Auf dem Cover von Suitable For Framing waren Danny Hutton, Cory Wells und Chuck Negron in schwarzen, kragenlosen Hemden vor einem schwarzen Hintergrund zu sehen, im Schatten, sodass nur ein kleiner Ausschnitt ihrer Gesichter sichtbar war. Auf der Vorderseite von Elton John sieht man den Sänger ganz in Schwarz, vor schwarzem Hintergrund im Schatten, und nur ein kleiner Ausschnitt