Elton John. Mark Bego
nur wenigen Wochen war der 17-jährige John Reid vom Hemdenverkäufer in Knightsbridge zum Promoter aufgestiegen, der Songs an interessierte Sänger verkaufte. Zunächst widmete er sich der Aufgabe, die Titel eines jungen amerikanischen Songwriters namens Neil Diamond an den Mann oder die Frau zu bringen, der damals hauptsächlich als Komponist des Monkees-Hits „I’m A Believer“ bekannt war.
1969 wurde eine Stelle beim EMI-Ableger Tamla Motown frei. John bewarb sich, ebenso wie ein junger Mann namens David Crocker, der damals im Plattengeschäft One Stop arbeitete. Zu einem der größten Kunden von Crocker zählte ein rundlicher Junge aus der Nachbarschaft, Reggie Dwight.
Zunächst bekamen weder Reid noch Crocker den Job bei Tamla Motown, aber 1970 wurde die Stelle erneut frei. Dieses Mal erhielt der 19-jährige Reid den Posten. Crocker hingegen ging zu Harvest Records, die ihr Büro ebenfalls bei EMI hatten. Reid stand plötzlich vor der Aufgabe, die 1970er-Besetzung der Supremes zu bewerben, zu der damals Mary Wilson, Jean Terrell und Cindy Birdsong gehörten. Wenn Stevie Wonder nach London kam, dann holte John ihn vom Flughafen ab. Wenn die Four Tops in die Stadt kamen, dann unternahm er alles Mögliche mit ihnen, um ihre Musik zu promoten.
Reid berichtete: „Alle Motown-Künstler liebten England. Dort waren die Fans treuer, und das verlängerte die Karriere. Für die Musiker war es wie eine zweite Heimat – sie flogen gern für zwei oder drei Wochen herüber, um die Platten vorzustellen und mit den Auftritten ein bisschen Geld zu verdienen. 1970 kamen Stevie Wonder und die Temptations nach London und nahmen die Live At The Talk Of The Town-Alben auf. Jimmy Ruffin hatte damals eine Wohnung in der Curzon Street; ihn wurden wir gar nicht mehr los. In einem Jahr hatten wir drei Top-Ten-Hits mit Jimmy – mehr, als er je zu Hause verbuchen konnte. Martha & The Vandellas lieh ich einmal sogar Geld, damit sie ihre ‚Uniformen‘ wieder aus der Wäscherei abholen konnten, sie waren immer pleite. Aber damals herrschte ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl.“(18)
Da Elton oft in der Gegend war, dauerte es nicht lange, bis er Reid, dem Ein-Mann-Vertreter von Tamla Motown, einmal über den Weg lief. „Ich hatte ein Büro im ersten Stock eines Eckhauses am Manchester Square, und außerdem bekam ich ein Jahresgehalt von 1.650 Pfund“, berichtete John Reid. „Das war verdammt gut. Ich war drei oder vier Jahre jünger als die anderen Labelmanager, mal abgesehen von David Crocker, der das Büro neben mir hatte und dort Harvest Records leitete. Eines Tages kam er zu mir rein und sagte: ‚Das ist mein Freund Reg.‘ Und so lernte ich Elton kennen. Er leierte mir ein paar amerikanische Motown-Singles aus dem Kreuz, was genau, weiß ich heute nicht mehr. Jedenfalls erzählte er, dass er selbst auch eine Platte gemacht hatte, und gab mir ein Weißmuster [eine Testpressung] von dem, was einmal das Album Elton John werden sollte.“(19)
Im März 1970 wurde der alte Vertrag, den Elton mit Dick James Music hatte, aufgelöst und durch einen neuen ersetzt. Darin war festgelegt, dass Elton in den nächsten fünf Jahren jedes Jahr zwei komplette Alben abliefern musste – genauer gesagt: sechs Albumseiten, damit auch genügend Material zur Auswahl und für B-Seiten von Singles zur Verfügung stand. Zunächst erschien es Elton und Bernie, als sei ein Traum wahr geworden, da sie noch so viele Songs auf Halde hatten. Das dritte Album, das später den Titel Tumbleweed Connection erhalten sollte, war schon komplett fertig.
Als sie an Elton John gearbeitet hatten, waren sie alle Songs mit Dick James und Gus Dudgeon noch einmal durchgegangen, und Elton und Bernie hatten schließlich vor allem die ganz persönlichen Nummern für dieses Album ausgewählt. Bernies Songs über den Wilden Westen und die Pioniere des späten 19. Jahrhunderts, über Cowboys, Revolver und Americana hatten sie für Tumbleweed Connection aufgehoben. Es war eine weise Entscheidung, denn so bekamen beide Alben ein einheitliches Thema und einen ganz eigenen Sound. Die Tracks für Tumbleweed Connection entstanden im März 1970 in den Trident Studios, erneut unter der Ägide von Gus Dudgeon.
Die Platte wurde zunächst kaum beachtet, als DJM Elton John am 10. April 1970 in Großbritannien veröffentlichte. „Sie verkaufte vielleicht um die 4.000 Exemplare“, berichtete Elton, „und kam nicht in die Charts. Und wir saßen da und fragten uns: Warum? Schließlich beschlossen wir, dass ich das Album mit ein paar Musikern live auf der Bühne vorstellen sollte, wogegen ich mich zuvor lange entschieden gewehrt hatte. Aber mir war klar geworden, dass es keine andere Möglichkeit gab.“(20)
Er brauchte unbedingt eine Band. Zuerst beschränkte er sich darauf, zu seinem Klavier nur zwei weitere Instrumente hinzuzuholen. Elton ging die Liste der befreundeten Musiker durch. „Nigel Olsson war damals der Schlagzeuger von Plastic Penny, als ich ihn engagierte“, erinnerte er sich, „und Dee Murray, der Bassist, war in einer Band namens The Mirage. Wir gingen als Trio auf Tournee.“(21)
Sie spielten fünfzehn Gigs und traten unter anderem beim Krumlin Festival, in der Universität von Leeds, im Mothers und im Speakeasy auf. Jeder Auftritt, den Elton mit seinen beiden neuen Mitstreitern absolvierte, gab ihm mehr Selbstvertrauen. Olsson und Murray sollten ihm in seiner weiteren Karriere zwei treue, langjährige Begleiter bleiben.
Etwa zur gleichen Zeit, im April 1970, erschien die Single „From Denver To L.A.“ in den USA auf dem Label Viking. „Die Platte wurde später wieder zurückgezogen“, erklärte Elton, „und deswegen sind Exemplare dieser Single heute ein Vermögen wert. Der Song entstand bei einer Session in den Olympic Studios für 25 Pfund. Ich sang ihn für den Film The Games von Michael Winner ein. Als der Film erschien, dachte man wohl: ‚A-haa!‘ und brachte ihn schnell als Single auf den Markt, aber wir schritten mit einer gerichtlichen Verfügung dagegen ein.“(22) DJM wollten schließlich nicht, dass diese eine Session ihre Chancen ruinierte, Elton bei einer größeren amerikanischen Plattenfirma unterzubringen.
Wie heißt es so schön: Auf das Timing kommt es an. Das traf auch auf die Pläne zu, Elton und seine Musik auf dem amerikanischen Markt unterzubringen. In jenem Jahr hatte sich schon eine ganze Reihe neuer Künstler und Komponisten in den Charts etabliert – Leon Russell, James Taylor, Eric Clapton, Stephen Stills, John Sebastian und sogar Paul McCartney veröffentlichten 1970 ihre ersten Soloalben. Außerdem boten inzwischen die zahlreichen UKW-Sender, die sich neu in der amerikanischen Radiolandschaft abseits des Popdiktats der Mittelwellenfrequenzen etablierten, ein Forum für jene introvertierten, nachdenklichen und persönlichen Songs, wie Elton und Bernie sie auf Elton John vorgestellt hatten. Es war schnell klar, dass auf der anderen Seite des Atlantiks ein ganz neuer Markt auf den Sänger und seine Songs wartete.
Für Elton war es ein Glück, dass amerikanische Plattenfirmen damals aktiv nach neuen Künstlern suchten, die sie aufbauen und formen konnten. Nachdem die Originalsongs für Elton John im Kasten waren, gab es bereits erste Gespräche zwischen Dick James Music und verschiedenen US-Labels. Dabei kontaktierten die Briten im Januar 1970 auch Russ Regan von UNI Records, einem Label, das zum MCA-Konzern gehörte.
Russ Regan erinnerte sich an das erste Gespräch mit DJM-Mitarbeiter Len Hodes, der ihm damals erklärte: „Pass auf: Wir sind so von diesem Künstler überzeugt, dass wir ihn euch umsonst geben, wenn ihr ihn wirklich mögt und etwas für ihn tun könnt und wollt.“(23) Das war ein so gutes Angebot, dass Regan kaum ablehnen konnte.
Das Treffen fand im Continental Hyatt House auf dem Sunset Boulevard in Los Angeles statt. Hodes gab Regan, nachdem er ihm das Angebot unterbreitet hatte, ein Exemplar von Empty Sky und Eltons eigene Version der Single „Lady Samantha“.
Regan kehrte danach in sein Büro bei UNI Records zurück und legte Eltons Aufnahmen eine Weile beiseite. „Ich packte sie auf ein Regal, bis ich mich um fünf Uhr nachmittags wieder daran erinnerte. Dann hörte ich mir das Material an und stellte fest, dass ich Elton sehr gut fand. Außerdem gefiel mir der Song ‚Skyline Pigeon‘. Gegen sechs Uhr dämmerte mir dann plötzlich: ‚Verdammt, die sind hier, um diesen Künstler irgendwo unterzubringen. Was ist, wenn er von einer anderen Plattenfirma unter Vertrag genommen wird?‘“ (24)
Er wollte nun nur noch das demnächst erscheinende, zweite Album hören, also meldete er sich noch einmal bei DJM. „Schon am nächsten Tag hatte ich die Platte aus England vorliegen“, berichtete Regan. „Das Album warf mich total um. Es war ein unglaublicher Moment, einen solchen Künstler und ein derart phantastisches Album zu entdecken.“(25)
Regan wusste sofort, dass er einen Hit in Händen