Elvis - Mein bester Freund. George Klein
Als Rufus Thomas Elvis endlich ankündigte, musste er ihn buchstäblich auf die Bühne zerren. Sobald ihn die Menge erblickte, begann der Saal zu toben. Ich glaube nicht, dass Elvis bewusst war, dass er damit eine Rassengrenze überschritt, denn in solchen Dimensionen dachte er nicht. Er war einfach nur zur »Goodwill Revue« gegangen, weil er Ray Charles und all die anderen Künstler hören wollte. Freilich muss es ihm gutgetan haben, dass man ihn dort so freundlich und begeistert empfing. Elvis erwiderte das stürmische Willkommen mit einer seiner kleinen Beinbewegungen, woraufhin die Menge in ein Geschrei ausbrach, dass die Wände erzitterten. Junge schwarze Mädchen drängten sich vor die Bühne, wie es bei anderen Auftritten die weißen Mädchen taten.
Im Radio hatte Dewey Phillips die Frage der Hautfarbe ignoriert und einfach »gute Musik für gute Leute« gespielt. Ich hatte seinem Beispiel zu folgen versucht, indem ich großartige Rock’n’Roll-Musik auflegte, ohne mich darum zu kümmern, ob der jeweilige Künstler oder sein Publikum nun schwarz oder weiß waren. Nun führte Elvis ganz locker sämtliche dummen Vorurteile ad absurdum, welche die Menschen angeblich voneinander trennten: Er musste nur auf der Bühne des Ellis Auditorium mit dem Bein wackeln.
Ja, es waren »unkontrollierte Gefühle« damit verbunden. Aus dem Geschrei zu schließen, das diese Mädchen von sich gaben, waren auch »sexuelle Inhalte« nicht ganz von der Hand zu weisen. Vielleicht war Elvis tatsächlich eine Bedrohung für die etablierten gesellschaftlichen Normen und Werte, aber vielleicht war das gar nicht so schlecht. Vielleicht hatten die Leute, die sich so sehr vor dem Rock’n’Roll fürchteten, ja Recht: Er besaß tatsächlich die Macht, die Welt zu verändern.
Soweit ich weiß, bin ich der einzige Mann, der je mit Elvis Presley geschlafen hat. Und ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass er der einzige Mann war, mit dem ich je geschlafen habe.
Ich glaube, das sollte ich jetzt aber besser erklären.
Als der Frühling 1957 vor der Tür stand, war Elvis längst keine lokale Berühmtheit mehr, sondern ein waschechter Superstar. Er hatte gerade seinen zweiten Hollywoodfilm Loving You fertiggestellt, und sein dritter, der den Titel Jailhouse Kid tragen sollte, war bereits in Planung. Außerdem schickte er sich an, mit »All Shook Up« erneut den ersten Platz der Charts zu erobern. Im Januar hatte er seinen dritten und letzten Auftritt in der Ed Sullivan Show gehabt, an deren Ende es sich Ed nicht hatte nehmen lassen, den amerikanischen Fernsehzuschauern mitzuteilen, dass Elvis ein »richtig netter Junge« sei. Sogar durch die Kameralinse – und vielleicht gerade durch die Kameralinse – sah Elvis genauso aus wie seine Musik klang: stark, sexy, cool und ein bisschen verrückt. Er hatte das Geheimnisvolle von Brando, die Intensität eines James Dean und konnte singen wie kein anderer. Er war die vollkommene Verkörperung des Rock’n’Roll. Es gab immer noch Diskussionen darüber, welche Wirkung er auf die Jugend der Nation haben könnte, und manch einer äußerte laute Zweifel an seinen musikalischen Fähigkeiten. Doch praktisch alles, was Elvis nun machte, wurde am Ende populärer und erfolgreicher als das, was er zuvor gemacht hatte.
Es lief bestens für Elvis, und, wie ich fand, auch für mich. Mit meiner Sendung George Klein’s Rock’n’Roll Ballroom auf WMC war ich immer noch einer der beliebtesten Nachmittags-DJs von ganz Memphis. Es machte mir einen Riesenspaß, für meine Zuhörer die heißesten neuen Rock’n’Roll-Platten zu spielen – von »My Prayer« von den Platters über »Blueberry Hill« von Fats Domino bis hin zu Elvis’ neuesten Singles.
Ende 1956 wurde ich erneut Teil eines kleinen Abschnitts der Rock’n’Roll-Geschichte, als mir zwei Mitarbeiter des Produzenten Sam Phillips – der A&R-Beauftragte Jack Clement und der für Sun tätige Studioschlagzeuger J.M. Van Eaton – eine frischgepresste, noch unveröffentlichte Platte vorbeibrachten. Die Scheibe war ein paar Tage zuvor in Louisiana von einem Pianisten aufgenommen worden, der nach vielen Absagen in Nashville schließlich bei Sun gelandet war. (Clement erzählte mir, der Pianist und dessen Vater hätten Eier von ihrem Hof nach Memphis zum Verkauf mitgenommen, damit der Ausflug wenigstens nicht ganz umsonst wäre.) Es war eine Coverversion von Ray Prices »Crazy Arms«, eingespielt mit der Energie des Rockabilly und einem subtilen Country-Feeling, begleitet von einem äußerst kraftvollen Piano.
Ich bemerkte sofort, dass dieser neue Pianist Talent hatte, sah in dem Song aber nicht unbedingt einen Hit. Trotzdem spielte ich ihn in meiner Sendung, um zu sehen, was die Hörer dachten. So wurde ich der erste Diskjockey der Welt, der jemals Jerry Lee Lewis auflegte. (Der Vollständigkeit halber: Die Hörer flippten bei »Crazy Arms« nicht gerade aus, aber es sollte nicht mehr lange dauern, bis Jerry Lee mit »Whole Lotta Shakin’ Goin’ On« seinen Durchbruch schaffte.)
Das Leben war prima: Elvis hatte ausverkaufte Konzertsäle und Kinos und behauptete sich an der Spitze der Charts, ich hatte eine tolle Zeit beim Radio, und der Rock’n’Roll feierte einen unaufhaltsamen Siegeszug. Dann wurde ich eines Tages ins Büro des Geschäftsführers gerufen. Bill Grumbles hatte den Sender WMC verlassen, um einen Job bei RKO anzunehmen. Ich erwartete zwar, dass es unter der neuen Sendeleitung ein paar Programmänderungen geben würde, doch war ich keineswegs auf das vorbereitet, was ich im Büro des neuen Geschäftsführers zu hören bekam. Ich war fristlos gefeuert.
»Was ist denn los?«, fragte ich. »Was habe ich falsch gemacht?«
»Sie haben gar nichts falsch gemacht, George«, teilte man mir mit. »Das Problem sind nicht Sie, das Problem ist vielmehr die Musik.«
»Aber ich spiele die heißesten Rock’n’Roll-Scheiben im ganzen Land.«
»Das ist es ja gerade«, sagte der Geschäftsführer. »Es sind Rock’n’Roll-Platten. Heute sind sie angesagt, aber wir glauben nicht, dass diese Rock’n’Roll-Geschichte Zukunft hat. Es ist eine vorübergehende Modeerscheinung wie Mambo oder Calypso, und der Sender glaubt, dass das Ganze eine sehr kurze Halbwertszeit hat. Wir müssen aber an die Zukunft denken, daher müssen wir Ihre Sendung einstellen. Tut mir leid, George.«
Somit war DJ GK wieder nur der alte GK, und meine strahlende Zukunft verwandelte sich plötzlich in ein großes Fragezeichen. Nach diesem harten Tag brauchte ich ein wenig Abwechslung, und ich ging rüber ins Hotel Chisca, um Dewey im Studio von WHBQ ein wenig Gesellschaft zu leisten.
»Diese verdammten Erbsenzähler haben keine Ahnung, oder?«, wetterte er, als ich ihm von meiner Lage berichtete. Er hatte selbst ein paar Meinungsverschiedenheiten mit seinem Management gehabt, weil dieses fand, Deweys lockere Art passe nicht mehr ganz zu den streng abgegrenzten Formaten, die der Sender zunehmend bediente. Während er seine Platten spielte, unterhielten wir uns, und als ich ihm so bei der Arbeit zusah, begann ich mich langsam besser zu fühlen. Meine Laune besserte sich noch mehr, als gegen Ende von Deweys Sendung Elvis in der Tür des Regieraums erschien. Er war nach den Arbeiten an Loving You wieder in der Stadt und hatte beschlossen, ein wenig Zeit mit seinem alten Freund Daddy-O Dewey zu verbringen. Ich ging hinaus auf den Gang, um ihm hallo zu sagen und das Neueste zu erfahren.
»Na, Elvis, wie geht’s, wie steht’s?«
»Gut, richtig gut, GK.« Er sah mich mit einem leicht fragenden Blick an. »Mann, was ist denn mit dir passiert? Du warst ja heute gar nicht auf Sendung.«
»Tja, Elvis, du wirst es kaum glauben: Man hat mich gefeuert.«
»Gefeuert?« Er wirkte fast ein wenig wütend und beleidigt – genau wie ich.
»Ja. WMC stellt seine Rock’n’Roll-Sendungen ein, also haben sie mich gefeuert.« Ich glaube, ich versuchte ein kleines Lächeln, in der Hoffnung, mit Elvis über die ganze Angelegenheit lachen zu können. Sein ernster Gesichtsausdruck blieb jedoch unverändert. Er sah einen Augenblick zu Boden, dann blickte er mich wieder an.
»Du bist nicht mehr arbeitslos, GK.«
»Was meinst du damit?«
»Du arbeitest ab jetzt für mich.«
Ich war einen Moment lang sprachlos. Dann sammelte ich mich wieder und stellte eine ziemlich wichtige Frage. »Äh, Elvis, was genau soll ich denn für dich tun?«