Elvis - Mein bester Freund. George Klein
WDIA, dem wegweisenden Sender, der schwarze Diskjockeys einstellte und viele von uns weißen Jugendlichen auf den Geschmack für Rhythm and Blues brachte. Sämtliche Diskjockeys bei WDIA waren schwarz, doch die Techniker am Mischpult waren weiß. Diese Typen bedienten die Regler, während die DJs auf Sendung waren, und verlasen stündlich live die Nachrichten. Ich hatte ein paar Sprechproben im Studio abgegeben, und ein Programmleiter namens David James hatte offenbar befunden, dass ich eine Chance verdient hätte. Er ließ mich während Rufus Thomas’ Nachmittagssendung Hoot and Holler die Nachrichten lesen. Ich weiß bis heute nicht genau, ob ich nun zu jung, zu weiß oder nicht »nachrichtenmäßig« genug klang, aber am Ende des Tages sagte man mir, die Sendeleitung bedürfe meiner Dienste am kommenden Tag nicht mehr. Es war ein harter Schlag. Herr James tröstete mich ein wenig, als er sagte: »Nimm dir das nicht so zu Herzen, George. Du fängst ja gerade erst an, aber du hast Talent. Mach was draus, dann wird ganz bestimmt noch etwas aus dir.«
Ich verinnerlichte diese Worte. Nur wenige Wochen später bekam ich eine neue Chance, wenn es auch nicht gerade die Art von Radiosendung war, die mir vorgeschwebt hatte. Ein kleiner Sender namens KWEM stellte mich für ihr religiöses Sonntagsprogramm ein. Nach so vielen verrückten Nächten mit Dewey war es ein komisches Gefühl, früh am Sonntagmorgen in der Wellblechhütte aufzukreuzen, wo der Sender untergebracht war, religiöse Musik zu spielen, Übertragungen aus Kirchen zu überwachen und Predigten vom Band laufen zu lassen. Ich musste sogar Prediger in die Hütte einladen, die dort live über den Äther sprachen. Einer dieser Prediger finanzierte seine Radiozeit, indem er seinen Zuhörern »Gebetstücher« verkaufte. Ich erinnere mich noch gut, dass er einmal eine angeblich wahre Geschichte aus dem Koreakrieg erzählte. Er behauptete, von der Brust eines Soldaten sei eine Kugel abgeprallt, weil dieser sein Gebetstuch in seiner Hemdtasche nahe dem Herzen getragen habe. Ich hatte zwar meine Zweifel, der Prediger indes verkaufte daraufhin eine ganze Menge Tücher.
Als mir KWEM eine einstündige Country-Sendung am Samstag anbot, griff ich zu und hörte mich rasch in die einschlägige Musik ein. Zu dem Job gehörte auch, dass ich samstagnachmittags das Studio hütete, wenn praktisch jeder, der sich die Investition leisten konnte, für 25 Dollar eine Viertelstunde Sendezeit kaufen konnte. Eines Nachmittags klopfte es an die Tür des Studios, und herein trat ein großer, imposanter, dunkelhaariger Typ mit Gitarre, der sich höflich vorstellte. Er hieß Johnny Cash. Sein Arbeitgeber – die Home Equipment Company – hatte ihm das Geld gegeben, um mit seiner Band, den Tennessee Two (Luther Perkins und Marshall Grant), bei uns aufzutreten. Nicht lange, nachdem ich Elvis’ ersten Auftritt auf der Lastwagenladefläche angesagt hatte, war ich also Teil eines weiteren historischen Augenblicks in der Musikgeschichte: des ersten Radioauftritts von Johnny Cash.
Johnny und seine Gruppe spielten ein paar ihrer frühen Eigenkompositionen, etwa »Wide Open Road« oder »Belshazzar«. Zwischen den Stücken machte Johnny Werbung für die Markisen, Vordächer und Maschendrahtzäune, die es bei der Home Equipment Company zu kaufen gab. Noch vor Jahresfrist begegnete ich Johnny wieder, diesmal im Studio von Sam Phillips, als er begann, Aufnahmen für Sun Records zu machen. Johnny ließ mich wissen, wie dankbar er mir für meine aufmunternden Worte bei KWEM gewesen war.
Schließlich bekam ich das Angebot, die Rhythm-and-Blues-Sendung bei KWEM zu moderieren, die Jack the Bellboy Morning Show. Da ich Dewey bei der Arbeit zugesehen hatte, wusste ich, dass ich unbedingt etwas tun musste, das mich zu mehr als nur einer Stimme zwischen den Songs machte. Etwas, das mich als Persönlichkeit von anderen DJs abhob. Ich hatte genug Zeit mit Musikern verbracht, um ein paar Brocken des Szene-Slangs aufzuschnappen, der gerade in Mode kam – Phrasen wie »Alles cool, Baby« klangen damals noch ganz unverbraucht und hörernah. Ich fing an, auch in meiner Sendung so zu reden und stellte bald fest, dass ich eine Begabung für spontane Reime hatte: »Hey, hier ist der verrückte DJ GK, der sich jeden Montag mit frischen Platten zum Sender schwingt und die Szene mit seiner Rock’n’Roll-Maschine zum Kochen bringt. Das mach ich jetzt gleich, und auch nicht nur vielleicht, bleibt dran und zweifelt nie, ihr da draußen in Memphis, Tennessee –«
Man mag es glauben oder nicht, aber innerhalb von sechs Monaten galt ich als »heißer« Diskjockey. Mein Sender war zu klein und konnte es sich daher nicht leisten, seine Einschaltquoten zuverlässig messen zu lassen, doch wir maßen unseren Erfolg an der Menge der Post, die wir bekamen. Es dauerte nicht lange, da erhielt ich jeden Tag über 100 Briefe und dazu noch einen ganzen Stapel Telegramme. Ich musste ein paar Stunden früher da sein, nur um meine Post durchzusehen. Beim Verlesen der Musikwünsche während der Sendung entstand mein spezieller Radiospitzname. Viele Briefe waren mit »DJ GK« adressiert, aber wenn ich es in der Sendung laut vorlas, pausierte ich manchmal kurz, weil ich das Geschriebene überflog, um zu sehen, welcher Titel gewünscht wurde. Also kam das Ganze mit einem leichten Stottern heraus: »Lieber DJ – äh – GK.« Das geschah so häufig, dass die Hörer es irgendwann erwarteten, also versuchte ich gar nicht mehr, es korrekt zu lesen. So wurde »DJ – äh – GK« zu meinem Markenzeichen. (Wenn ich mich mit Elvis in der Stadt traf, verkürzte er diesen Spitznamen noch weiter und nannte mich nur noch »DJ Äh«.)
Meine Vormittagssendung machte mir großen Spaß, doch bald schon überstürzten sich die Ereignisse. Eines Morgens bekam ich einen Anruf von Bill Grumbles, einem Mann, der während meiner Zeit mit Dewey Geschäftsführer bei WHBQ gewesen war und mittlerweile WMC leitete, einen NBC-Sender auf der anderen Straßenseite des Hotels Chisca. »George, sind Sie sich bewusst, dass Sie heute Morgen die Nummer zwei sind?«
»Was meinen Sie mit ›Nummer zwei‹, Herr Grumbles?«
»Sie haben die Morgensendung mit den zweithöchsten Einschaltquoten von ganz Memphis – der ganzen Stadt. Glückwunsch.«
Er rief aber nicht nur an, weil er mir etwas Nettes sagen wollte. Er bot mir an, mir das doppelte Gehalt zu bezahlen, wenn ich die nachmittägliche Rock’n’Roll-Sendung auf WMC übernähme. Einen Namen für diese Sendung hatte er sich auch schon ausgedacht: George Klein’s Rock’n’Roll Ballroom. Das gefiel mir ausgesprochen gut.
Im Herbst 1955 war »Rock and Roll« eine große Sache. Der Begriff wurde in zunehmendem Maße als Etikett für die Musik von Künstlern wie Chuck Berry, Little Richard, Fats Domino und Bo Diddley verwendet und klang wesentlich moderner als »Rhythm and Blues«. Wenn eine Platte die Rock’n’Roll-Ära vollends einläutete, dann war es wahrscheinlich Bill Haleys »Rock Around The Clock«. Nachdem der Titel im Vorspann des Films Die Saat der Gewalt Verwendung gefunden hatte, wurde er 1955 zu einem Riesenhit. Es war der erste Rock’n’Roll-Song, der in den nationalen Charts auf den ersten Platz gelangte.
Freilich war nicht jedermann glücklich über den Siegeszug des Rock’n’Roll. Im ganzen Land verdammten konservative Professoren, Priester oder Bürgermeister den »primitiven Rhythmus«, die »unkontrollierten Gefühle« und »sexuellen Inhalte« des neuen Stils. Man hielt Rock’n’Roll-Musik für etwas höchst Unmoralisches und fürchtete, dass die Jugend durch sie auf die schiefe Bahn geriet. Hinter den Protesten verbarg sich aber auch die unausgesprochene Angst vor einer Vermischung der Rassen, was für viele eine vollkommen inakzeptable Vorstellung war.
Diejenigen, die im Rock’n’Roll den drohenden Niedergang der westlichen Zivilisation sahen, waren der Überzeugung, dagegen ankämpfen zu müssen, wo es nur ging. Die Schulen erließen Kleiderordnungen, Tanzveranstaltungen wurden abgesagt. Auf jeden neuen Rock’n’Roll-Hit in den Charts folgte in den Zeitungen eine Flut von Leitartikeln, die gegen den neuen Sound wetterten. In einem misslungenen Versuch, den Einfluss des Rock’n’Roll zu schwächen, lieferte die Musikindustrie sogar eine ganze Reihe weißer Coverversionen der bekanntesten Songs schwarzer Künstler. Es zeigte sich jedoch ziemlich schnell, dass die Jugendlichen »Ain’t That A Shame« in der Version von Fats Domino hören wollten – und nicht von Pat Boone. Offen gesagt, waren die meisten von uns viel zu beschäftigt mit dieser neuen Musik, um sich allzu viele Gedanken über ihre möglichen negativen Auswirkungen zu machen.
Elvis zählte natürlich zu den Pionieren des Rock’n’Roll und machte seinen musikalischen Standpunkt mit großartigen Sun-Singles wie »Good Rockin’ Tonight« unmissverständlich klar. Als er bekannter wurde, bezog er ständig Prügel dafür, dass er angeblich eine Gefahr für die Jugend der Nation sei. Im Jahre 1955 jedoch verband er in seinem Sound immer noch Country, Blues, Gospel und Pop und