Elvis - Mein bester Freund. George Klein
bisschen Blues, ohne tatsächlich etwas davon zu sein. Der kraftvolle Gesang zog mich stärker in seinen Bann als alles, was ich je zuvor gehört hatte.
Die Stimme begann gerade mit der zweiten Strophe, als Dewey ein bisschen breiter grinste und fragte: »Na, wer singt da?«
Als aufstrebender DJ war ich stolz auf meine Fähigkeit, eine Gruppe, einen Sänger oder einen Song sofort zu erkennen. Diesen Sänger jedoch konnte ich überhaupt nicht einordnen.
»Scheiße, keine Ahnung, wer das ist, Dewey.«
»Nun, du müsstest es aber wissen.« Sein Grinsen nahm nun fast sein ganzes Gesicht ein.
»Was soll das heißen, ich müsste es wissen?«
Dewey zuckte leicht mit den Schultern. »Naja … du bist mit ihm zur Schule gegangen.«
Es gab nur einen einzigen Typen, den ich aus der Humes High kannte, der das Zeug hatte, so zu singen. Ein Typ, der ein bisschen anders aussah, sich ein bisschen anders kleidete und zudem der einzige Mensch war, den ich je mit einer Gitarre unterm Arm in der Schule gesehen hatte. Ein Typ, der mir zwar immer sympathisch gewesen war, den ich in letzter Zeit aber kaum noch gesehen hatte. Es war der Typ, der in Fräulein Marmanns Unterricht gesungen hatte.
»Verdammt, Dewey – du meinst, das ist Elvis?«
Dewey nickte bloß.
Ich lauschte dem Stück nun noch aufmerksamer. Es war beinahe unvorstellbar, dass die Stimme, die hier beim größten Radiosender der Stadt aus den Studiolautsprechern kam, die Stimme dieses Typen war, den ich von der Humes kannte.
»Du möchtest damit sagen, dass Elvis Presley eine Platte rausgebracht hat?«, fragte ich Dewey.
Er lachte: »Da auf dem Plattenteller dreht sie sich. Sam Phillips hat sie vor zwei Tagen hier vorbeigebracht. Als ich sie spielte, liefen die Telefone heiß, also spielte ich sie immer wieder. Wir luden Elvis ins Studio ein und interviewten ihn, danach spielte ich die Platte noch ein paar Mal. Insgesamt lief sie an jenem Abend sieben Mal. Mann, die ist klasse. Die Leute fragen immer noch danach.«
Ich war noch neu beim Radio, aber ich wusste, dass es noch nie da gewesen war, dass eine Platte sieben Mal am selben Abend lief. Einen Smashhit konnte man vielleicht einmal pro Stunde spielen, aber Dewey hatte sämtliche Regeln gebrochen, um die Debütsingle meines alten Klassenkameraden Elvis Presley zu spielen.
»Mann, das ist ziemlich gut«, sagte ich. Es klang bereits wie eine schwere Untertreibung.
»Ja, ziemlich gut, da hast du wohl Recht«, lachte Dewey. »Ich finde, dieser Elvis macht da etwas total Neues. Hier …« Er gab mir ein Exemplar der Single von dem Stapel neben dem Plattenspieler. »Nimm die mit nach Arkansas, damit sie dort auf den Geschmack kommen.«
Ich nahm die Schallplatte und sah aufs Etikett. Da stand es, klar und deutlich. Es war sein Name.
Elvis Presley.
Mein Schulkamerad von der Humes High, Abschlussjahrgang 1953, hatte eine Platte aufgenommen.
»He, Dewey«, sagte ich.
»Ja, Mutter?«
»Lass sie noch mal laufen.«
Mein erster großer Moment hinter einem Mikrofon in Memphis war nicht gerade ein glanzvoller Auftritt: An einem sonnigen Herbstnachmittag des Jahres 1954 saß ich im Bauch eines riesigen Holzindianers, der auf dem Parkplatz von Katz’s Drug Store stand.
Der geräumige Sperrholzbauch des Indianers war in eine provisorische Sendekabine verwandelt worden, und von diesem privilegierten Ort aus begleitete ich die feierliche Eröffnung des Lamar Airways Shopping Centers im Osten von Memphis – des ersten großen Einkaufszentrums, das im Raum Memphis gebaut worden war. Ich hatte Osceola Ende des Sommers verlassen und war in meine Heimatstadt zurückgekehrt, um mein Studium an der Memphis State fortzusetzen. Zwar hatte ich nicht erwartet, dass sich die nächste berufliche Gelegenheit in Gestalt eines hölzernen Indianers bieten würde, doch stellte mich eine Werbeagentur ein, die Eröffnung des Zentrums als DJ live vor Ort zu begleiten. Es war ein Zweitagesjob, bei dem ich für die Kunden Platten auflegte und zwischen die Stücke Werbebotschaften für die neuen Geschäfte einbauen musste:
»Hallo, meine Damen und Herren, hier ist ›GK‹ George Klein, und das war Big Joe Turner mit ›Shake, Rattle And Roll‹ – und vergessen Sie nicht, schnell noch bei Jimmy Jones’ Farbengeschäft vorbeizurocken, wo heute Latexfarbe im Vier-Liter-Eimer im Sonderangebot zu haben ist …«
Für den zweiten Abend der Einweihungsfestlichkeiten war ein Live-Konzert geplant, bei dem mein Klassenkamerad Elvis Presley und seine Begleitmusiker, der Gitarrist Scotty Moore und der Bassist Bill Black, auftreten sollten. Ich hatte mein Exemplar von »That’s All Right« zwei Tage, nachdem ich das Stück bei Dewey gehört hatte, auch in Osceola aufgelegt (ich denke also, ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich der zweite Diskjockey war, der Elvis Presley im Radio spielte). Begeistert hatte ich mitverfolgt, wie Elvis’ zweite Single, »Blue Moon Of Kentucky«, die Country-Charts emporgeklettert war. Unlängst hatte ich gehört, dass er und seine Band in der Konzertmuschel im Overton Park in Memphis beide Titel zum Besten gegeben und das dortige Publikum ordentlich aufgemischt hatten. Nun gehörte es zu meinen Pflichten, Elvis vor seinem ersten öffentlichen Auftritt unter eigenem Namen anzukündigen. Ich konnte es kaum erwarten, meinen alten Freund aus der Humes High wiederzusehen.
An meinem Arbeitsplatz im Inneren des Indianers konnten mich die Zuschauer nicht sehen, ich hingegen hatte einen Spalt, durch den ich nach draußen blicken konnte. Als ich sah, dass Scotty und Bill draußen auf dem Parkplatz eintrafen, legte ich eine Pause ein. Ich ging die Stufen hinab, die aus dem Rücken meines Indianers ins Freie führten, um sie zu begrüßen (ich kannte Scotty flüchtig durch seine Studioarbeit für Sam Phillips bei Sun Records). Wir hatten gerade eine kleine Unterhaltung begonnen, als ich sah, wie sich ein bekanntes Gesicht näherte – ein Gesicht, dem man die Überraschung ansah, als es mich erblickte.
»GK – was machst du denn hier?«
»Ich bin hier, um ihnen von dir zu erzählen, Elvis. Ich habe den ganzen Tag schon von dir gesprochen.«
Wir lachten, schüttelten einander die Hände und brachten uns gegenseitig wieder auf den neusten Stand. Ich erzählte ihm, wie sehr ich seine Platten mochte, und er sagte, er habe gehört, dass ich mit Dewey zusammengearbeitet hätte. Man konnte uns immer noch nicht als enge Freunde bezeichnen, daher war es fast ein wenig seltsam, wie sehr ich mich freute, ihn zu sehen, und wie gut es tat, dass er sich ebenso sehr freute.
Ich war nicht der Einzige, der an jenem Tag unter ungewöhnlichen Umständen zu arbeiten hatte – statt auf einer Bühne mussten Elvis, Scotty und Bill auf der Ladefläche eines Lastwagens auftreten, der hinter dem Katz’s abgestellt war. Als sie bereit waren, kletterte ich auf den Laster und machte meine Ansage:
»Meine Damen und Herren, der Augenblick, auf den Sie gewartet haben, ist nun gekommen. Auf vielfachen Wunsch präsentieren wir nun das heißeste neue Talent aus den Billboard Charts, den Stolz der Humes High, den Mann, den sie Hillbilly Cat nennen – meine Damen und Herren, hier ist er, aus Memphis: Elvis Presley mit Scotty und Bill!«
Während ich die provisorische Bühne verließ, stimmte das Trio »That’s All Right« an, dem einige weitere Coversongs folgten, die sie einstudiert hatten. Zum Schluss spielten sie »Blue Moon Of Kentucky«. Der ganze Auftritt dauerte vielleicht 30 Minuten. Elvis bewegte sich weniger als sonst, weil er ja schließlich auf der Ladefläche eines Lastwagens stand, doch die Energie, die er und seine Jungs erzeugten, war phänomenal.
Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob ich bei Elvis’ Auftritt an jenem Tag bereits ahnte, dass er ein Star werden würde, aber es war klar, dass er die Musik zu seinem Beruf machen würde. Das allein erschien damals schon ganz schön viel. Das andere, was ich an diesem Tag mit Bestimmtheit wusste, war, dass es im Inneren eines hölzernen Indianers entsetzlich heiß wird. Ich wollte alles tun, um wieder in einem richtigen