Jahresabschluss nach dem Schweizer Rechnungslegungsrecht. Marco Gehrig
Physische Aufnahme durch Zählen, Messen und Wägen: für Geld, Vorräte, Geräte sowie Maschinen, Mobilien und Betriebseinrichtungen. Die jährliche physische Inventur ist im Rechnungslegungsrecht nicht mehr ausdrücklich verlangt. Ohne einwandfreie und umfassende Anlagekarteien und eine Lagebuchhaltung lässt sich jedoch kein zuverlässiger Bestandesnachweis erbringen, weshalb eine Inventur in der Regel notwendig ist.
• Konten und Depotauszüge, Saldobestätigungen: für Post- und Bankguthaben, Wertschriften im Bankdepot,84 Forderungen (Debitoren) und Verbindlichkeiten (Kreditoren) aus Lieferungen und Leistungen
• Auszüge aus öffentlichen Registern, Bestätigung von Amtsstellen: für Grundstücke, immaterielle Anlagen (Patente, Konzessionen)
• die Buchhaltung selbst, Belege, Verträge, Geschäftskorrespondenz: für Rechnungsabgrenzungsposten, Rückstellungen, Darlehen, Wertberichtigungen, Konten des Eigenkapitals.
Es gehört zu den Grundsätzen ordnungsmässiger Buchführung, dass die Vorräte mindestens einmal jährlich körperlich aufgenommen werden (PS 501/4).
Bei der permanenten Inventur erstreckt sich das Bestandesaufnahmeverfahren über das gesamte Geschäftsjahr. Jeder einzelne Bestand wird mindestens einmal körperlich aufgenommen und dabei ergeben sich aus den Aufzeichnungen der Lagerbuchführung die Bestände am Bilanzstichtag. In beiden Fällen spricht man von Vollinventur. Diese ist kostspielig, weshalb bei ordnungsmässiger Buchführung vermehrt die Stichprobeninventur angewendet wird.85
Mit der Stichprobeninventur werden die Vermögensbestände aufgrund anerkannter mathematisch-statistischer Methoden anhand von Stichproben ermittelt (Inventurvereinfachungsverfahren nach HGB 241I).
Mit den Inventursystemen wird der Zeitpunkt oder der Zeitrahmen der Bestandesaufnahme festgelegt. Die Stichtagesinventur erfolgt grundsätzlich am Abschlussstichtag (in der Regel nur in kleineren Verhältnissen möglich). Als zeitnahe Inventur gelten Bestandesaufnahmen von wenigen Tagen vor oder nach dem Abschlussdatum. Der zulässige Zeitrahmen für die Zuverlässigkeit von sog. vor- oder nachverlegten Inventuren86 ist in der Schweiz gesetzlich nicht festgelegt. Eine einwandfreie Fortschreibung oder Verrechnung auf den Bilanzstichtag ist bei diesem Verfahren jedoch unerlässlich.
Um die Qualität der Inventur zu gewährleisten, ist es empfehlenswert, schriftliche Weisungen zum Vorgehen zu erlassen.87
2.9 Aufbewahrungspflicht
Die Pflicht, Geschäftsbücher und damit eng verbundene Dokumente wie Belege, Geschäftsbericht und Revisionsbericht während zehn Jahren aufzubewahren (OR 958f III) auf Papier, elektronisch oder vergleichbare Weise, hängt mit den gesetzlichen Pflichten, wie das Recht von gewinn- und provisionsberechtigten Arbeitnehmern (OR 322a und 322c), von Gesellschaftern und Verwaltungsräten (OR 715a) und Gläubigern /OR 958e II) zusammen. GebüV 5 legt zusätzlich Grundsätze ordnungsmässiger Aufbewahrung fest. Diese betreffen die Sorgfalt »geordnet und vor schädlichen Einwirkungen geschützt«, Verfügbarkeit (Einsichtsrecht der Berechtigten), Organisation und Archivierung.
Neu ist die Pflicht, auch die Geschäftsberichte und die Revisionsberichte schriftlich und unterzeichnet aufzubewahren (OR 958f II), dagegen nicht mehr die gesamte Geschäftskorrespondenz. Jene Teile, welche als Buchungsbelege oder als Begründung, weshalb keine Buchung erfolgte, dienen, sollten jedoch gestützt auf die Grundsätze ordnungsgemässer Buchführung (Belegprinzip, Nachprüfbarkeit) aufbewahrt werden. Dies kann damit begründet werden, dass die Bedeutung der Korrespondenz für einen Geschäftsfall oder Sachverhalt nicht erkannt wird und selbst Jahre später bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung wesentlich wird.88
Auch für geschäftsrelevante Verträge gilt die Aufbewahrungspflicht, wobei die Aufbewahrungsfrist erst zu laufen beginnt, wenn diese Dokumente ans Ende ihrer Gültigkeit gekommen sind. Zu den aufzubewahrenden Dokumenten gehören auch die Generalversammlungs- und Verwaltungsratsprotokolle.89
2.10 Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung beim Einsatz von Informationstechnologie
Die GeBüV hält in den allgemeinen Grundsätzen fest, dass bei der Führung der Geschäftsbücher und der Erfassung der Buchungsbelege die Grundsätze ordnungsgemässer Buchführung einzuhalten sind.
Die Grundsätze der ordnungsgemässen Datenverarbeitung sind einzuhalten (GeBüV 2 II), wenn die Geschäftsbücher elektronisch oder auf vergleichbare Weise geführt und aufbewahrt und die Buchungsbelege elektronisch oder auf vergleichbare Weise erfasst und aufbewahrt werden (GeBüV 2 II).
Weil diese Bestimmung aktuell wohl bis auf verschwindende Ausnahmen auf alle buchführungspflichtigen Unternehmen anwendbar ist, stellt sich die Frage nach den Grundsätzen ordnungsmässiger Datenverarbeitung. Es besteht in dieser Beziehung eine Gesetzeslücke, welche durch die Lehre zu füllen ist, wenn staatliche an der Rechnungslegung interessierte Behörden oder Fachverbände keine entsprechenden Weisungen erlassen.90 Massgebend sind zurzeit RS 10 neu Expert Suisse91 und die Verordnung des eidgenössischen Finanzdepartementes.
Die Grundsätze ordnungsgemässer Buchführung bei der Informationstechnologie (IT) gestützter Buchführung und Rechnungslegung sind erfüllt, wenn das Buchführungssystem die Kriterien gemäss OR 957a bei der Erfassung, Verarbeitung, Ausgabe und Aufbewahrung der rechnungslegungsrelevanten Daten über die Geschäftsvorfälle sicherstellt.92
Expert Suisse hat den Begriff der ordnungsgemässen Datenverarbeitung gemäss GeBüV durch die folgenden Grundsätze beim Einsatz von Informationstechnologie (IT) präzisiert:
• Belegfunktion
Über die Belegfunktion wird die Existenz und die Verarbeitungsberechtigung eines Geschäftsvorfalls nachgewiesen. Sie stellt die zutreffende Abbildung der internen und externen Geschäftsvorfälle sicher und zwar häufig ohne konventionelle Papierbelege. Bei IT-gestützten Prozessen kann und soll der Nachweis oft nicht durch konventionelle Belege erbracht werden.93
• Journalfunktion
Diese hat den Nachweis der tatsächlichen und zeitkorrekten Verarbeitung der Geschäftsvorfälle in einem Journal (Grundbuch) zum Gegenstand. Sie ist erfüllt, wenn die gespeicherten Aufzeichnungen gegen Veränderungen oder Fälschung geschützt sind.
• Kontenfunktion
Diese verlangt, dass die im Journal in zeitlicher Reihenfolge aufgezeichneten Geschäftsvorfälle in sachlicher Ordnung auf den Konten abgebildet werden. Bei Buchungsverfahren mit IT-Einsatz werden Journal- und Kontenfunktion in der Regel gemeinsam wahrgenommen. Beim Ausdruck der Konten muss die Vollständigkeit der Kontenblätter später, beispielsweise über fortlaufende Seitennummern je Konto oder Summenvorträge, nachweisbar sein.
• Dokumentation
Auch in einer IT-gestützten Buchführung muss diese einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle vermitteln und die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen. Aus den Grundsätzen ordnungsgemässer Buchführung lässt sich der Grundsatz der Unveränderlichkeit ableiten. Korrekturen sind grundsätzlich durch Stornierungen und Umbuchungen vorzunehmen (Storno-Prinzip). Die ursprünglichen