Jahresabschluss nach dem Schweizer Rechnungslegungsrecht. Marco Gehrig
kommt das Verdienst, dem Konzept eines einheitlichen Kontensystems zum Durchbruch verholfen zu haben, Karl Käfer, zu. Er hat auf Initiative des Schweizerischen Gewerbeverbandes 1947 einen vom Schmalenbachschen Grundkonzept abweichenden »schweizerischen« Kontenrahmen ausgearbeitet.68 Das Nachfolgewerk ist der Kontenrahmen KMU.69 Im Gegensatz zu ausländischen Beispielen ist die Anwendung des Kontenrahmens freiwillig.70
Die nach dem dekadischen System aufgebaute Kontengliederung kann nach zwei unterschiedlichen Konzepten erfolgen:
• dem Prozessgliederungs- oder Abrechnungsfolge-Prinzip,
• dem Abschluss- oder Bilanzgliederungsprinzip.
Ein Vergleich des KMU Kontorahmen (Abschlussgliederung) und der DATEV71 (Prozessgliederung) zeigt folgendes Bild auf (
Tab. 1: Abschluss- und Prozessgliederung
Abschlussgliederung Kontenrahmen KMU KontenklassenProzessgliederung Kontenrahmen DATEV SKR 03 (2014) Kontenklassen
Die Konten sind im Kontenrahmen KMU nach fünf Ebenen gegliedert (
Der Detaillierungsgrad innerhalb der Gruppen ist hoch. Die Hauptgruppe Personalaufwand sieht beispielsweise 23 Gruppen und rund 50 Einzelkonten vor. Die nicht nummerierten Untergruppen dienen der Strukturbildung innerhalb einer Gruppe.
Die Führung eines Kontorahmens ermöglicht auch die Vergleichbarkeit von Unternehmen für die Finanzanalyse.
Tab. 2: Konzeption des KMU-Kontorahmens
KategorieNummerlogikBeispiel
2.7.3 Belegnachweis und Nachprüfbarkeit
Die primäre Funktion der Buchführung ist die Dokumentation der Geschäftsvorfälle.72 Damit liefert die Buchführung eine klare und sichere Grundlage für alle Zwecke der Rechnungslegung. Alle Aufzeichnungen sind zu belegen.
Als Buchungsbelege gelten schriftliche Aufzeichnungen auf Papier oder in elektronischer oder anderer Form, die notwendig sind, um einen der Buchung zu Grunde liegenden Geschäftsvorfall oder Sachverhalt nachvollziehen zu können.73
Belege geben Hinweise über den Zweck der Buchung und über das Geschäftsereignis und beweisen gebuchte Vorgänge oder Bestände.74 Sie enthalten Belegtext, Buchungsbetrag, Aussteller des Belegs und Ausstellungsdatum.75 Aus dem Grundsatz der Nachprüfbarkeit lässt sich in der Praxis die Anforderung der Unveränderlichkeit von Buchungen ableiten.76 Wenn eine Buchung nachträglich korrigiert werden soll bzw. muss, ist die ursprüngliche Buchung zu stornieren, so dass der Nachvollzug sichergestellt werden kann (GeBüV 3). Dabei kann unterschieden werden zwischen Eigenbelegen, welche vom Unternehmen stammen (z. B. Kopien von Ausgangsfaktoren, Lohnabrechnungen, Materialbezugsscheine) und internen Buchungsanweisungen (z. B. für Rückstellungen, Umbuchungen). Ersatzbelege werden verwendet, wenn das Original abhandengekommen ist.
Unabhängig von ausdrücklichen gesetzlichen Vorschriften ist die Nachprüfbarkeit der Buchungen bis zum Ausgangspunkt einer Buchungstatsache für die Ordnungsmässigkeit der Buchführung unerlässlich (Prüfspur). Die Nachprüfbarkeit nach OR 957a II Ziff. 5 muss sowohl progressiv vom Beleg bis zu den Abschlussbuchungen wie retrograd von Bilanz und Erfolgsrechnung über die Buchungen zum Urbeleg verfolgt werden können.77
2.7.4 Klarheit und Zweckmässigkeit
Der Grundsatz der Klarheit fordert die Übersichtlichkeit und Lesbarkeit für unternehmungsinterne und -externe fachkundige Leser. Klarheit bedeutet auch eindeutige Bezeichnung der Konten, Verweis auf die Belege im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit ebenso wie klare Kennzeichnung von Korrekturen.78
Eine dem Zweck der Rechnungslegung und ein den nach Umfang, Grösse und Wirtschaftszweige des Unternehmens differenzierten Informationsbedürfnissen entsprechender Ausbau der Buchführung war auch im bisherigen Buchführungsrecht eine unbestrittene Forderung. Der Grundsatz der Zweckmässigkeit verlangt angemessene organisatorische Voraussetzungen wie technische Hilfsmittel, Zuständigkeiten, Arbeitsanweisungen und nach GebüV einen zweckentsprechenden Detaillierungsgrad des Kontenplans sowie das Hauptbuch ergänzenden Hilfsbücher (Lohnbuchhaltung, Debitoren- und Kreditorenbuchhaltung zur fortlaufenden Führung der Warenbestände bzw. der nicht fakturierten Dienstleistungen).
2.8 Inventarpflicht
2.8.1 Begriffe und Bedeutung des Inventars
Inventar ist einer der ältesten Begriffe der Buchführung. Er stammt aus dem römischen Recht und hat die Bedeutung »Das Vorhandensein«.79 Das bisherige Recht von 1936 hielt die Pflicht zur Aufnahme eines Inventars bei Eröffnung des Geschäftsbetriebs und bei Schluss eines jeden Geschäftsjahres fest (aOR 958 I), verzichtete jedoch auf eine Legaldefinition. Diese wäre umso wichtiger, als in der Praxis der Begriff im Allgemeinen unzutreffend für ein Verzeichnis der Vorräte (Rohmaterial, Halb- und Fertigfabrikate) verwendet worden ist und wohl noch immer verwendet wird.
Das Rechnungslegungsrecht 2011 präzisiert daher im Gegensatz zum bisherigen Recht ausdrücklich, dass die Inventarpflicht den Bestand »der einzelnen Positionen der Bilanz und des Anhangs« umfasst.
Inventar im Sinne des Rechnungslegungsrecht (OR 958c II) ist eine Aufzeichnung aller in der Bilanz und im Anhang wesentlichen Positionen des Vermögens und der Schulden nach Gattung, Menge und Wert auf einen bestimmten Zeitpunkt.80
Im Rechnungslegungsrecht wird die Pflicht zur Erstellung von Eröffnungs- und Schlussinventaren nicht mehr ausdrücklich festgehalten, da diese Tatsache als selbstverständlich angenommen wird. Hingegen wird die Inventarpflicht gegenüber dem bisherigen Recht (aOR 958) klarer formuliert und auf alle wesentlichen Vermögenspositionen ausgedehnt (OR 958c II).81 Das Inventar ist sachlich in die Buchführung einzuordnen als Brückenschlag zur Rechnungslegung.82
Als Inventur wird die Tätigkeit des Aufnehmens der Bestände bezeichnet. Die Art und Weise, wie sich der Nachweis erbringen lässt, richtet sich nach dem Inhalt der betreffenden Bilanzpositionen.
2.8.2 Inventur und Inventursysteme
Die Inventur erfolgt nach