H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2. S. T. Joshi

H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2 - S. T. Joshi


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Er kehrte daraufhin nach Providence zurück. Ich besuchte ihn lange Zeit später.

      H. P. wohnte damals in einer großen Einzimmerwohnung, deren Küche er mit zwei anderen Mietern teilte. Seine Tante, Mrs. Clark, bewohnte ein Zimmer im selben Haus, während Mrs. Gamwell, die jüngere der beiden Tanten, woanders wohnte. Dann berieten wir uns mit den Tanten. Ich schlug vor, dass ich ein großes Haus mieten und ein gutes Hausmädchen anstellen würde, wobei ich für alles aufkommen würde, sodass die beiden Tanten kostenlos bei uns wohnen oder doch zumindest bei gleichen Kosten besser als jetzt leben könnten. H. P. und ich verhandelten auch tatsächlich darüber, ein solches Haus zu mieten, mit einer Kaufoption, falls es uns zusagte. H. P. sollte einen Teil des Hauses als Arbeitszimmer und Bibliothek benutzen, und ich würde den anderen Teil für ein Geschäft nutzen, das ich eröffnen wollte. Zu diesem Zeitpunkt informierten mich die Tanten freundlich, aber bestimmt, dass es weder für sie noch für Howard in Frage käme, dass Howards Ehefrau in Providence für ihren Lebensunterhalt arbeitete. So viel dazu. Jetzt wusste ich, wo wir alle standen. Der Stolz zog es vor, schweigend zu leiden – sowohl ihrer wie auch meiner.20

      Dieser Bericht ist in verschiedener Hinsicht problematisch. Zunächst war es definitiv nicht Sonia, die Lovecraft vorschlug, nach Providence zurückzukehren, denn dann hätte Lovecraft seiner Tante Lillian gegenüber kaum mehrfach betont, dass sie diesen Entschluss »unterstützte« oder »guthieß«. Zudem ist es unmöglich, genau zu sagen, wann die besagte »Beratung« zwischen den drei Parteien stattfand. Im Folgenden berichtet Sonia, dass sie ursprünglich eine Arbeit in New York angenommen hatte – was bedeutet, dass sie ihre Stellung in Cleveland aufgegeben hatte –, um näher bei Lovecraft zu sein und vielleicht die Wochenenden in Providence verbringen zu können. Dann erhielt sie jedoch ein Angebot aus Chicago, das zu attraktiv war, um abzulehnen. Sie bat daraufhin Lovecraft, für einige Tage nach New York zu kommen, um sich von ihr zu verabschieden, was Lovecraft auch tatsächlich tat: Im September kehrte er für kurze Zeit nach New York zurück, wobei Sonia allerdings angibt, dass sie bereits im Juli nach Chicago umgezogen sei. Jene »Beratung« könnte also im Frühsommer 1926 stattgefunden haben. Allerdings spricht Sonia davon, dass sie »lange Zeit später« stattfand, was man auch so verstehen könnte, dass sie tatsächlich erst mehrere Jahre später nach Providence kam – vielleicht erst 1929, in dem Jahr, in dem auf ihr Betreiben das Ehescheidungsverfahren in Gang gesetzt wurde.

      Der kritische Punkt ist sicherlich der »Stolz«, von dem Sonia spricht. Der Konflikt zwischen den Kulturen und Generationen tritt hier in aller Deutlichkeit hervor: auf der einen Seite die dynamische, vielleicht etwas dominante Geschäftsfrau, die ihre Ehe retten will, indem sie die Dinge selbst in die Hand nimmt. Auf der anderen Seite die beiden verarmten Matronen mit ihren viktorianischen Vorstellungen von Vornehmheit, die es sich nicht »leisten« konnten, dass die Ehefrau ihres einzigen Neffen in jener Stadt, in welcher der Name Phillips noch immer einen gleichsam aristokratischen Klang hatte, ein Geschäft eröffnet, um für den gemeinsamen Lebensunterhalt zu sorgen. Vielleicht sollte man hier auf den genauen Wortlaut von Sonias Erinnerungen achten: Es scheint nicht ausgeschlossen, dass die Tanten sich möglicherweise damit abgefunden hätten, wenn sie ihr Geschäft irgendwo anders als in Providence eröffnet hätte.

      Kann man Lovecrafts Tanten aufgrund ihrer Haltung einen Vorwurf machen? Im Neuengland der 1920er-Jahre bedeutete Anstand mehr als ein geregeltes Einkommen, und Lovecrafts Tanten orientierten sich lediglich an dem Verhaltenskodex, der ihr gesamtes Leben lang ihr Handeln geprägt hat. Wenn man an irgendjemandem Kritik üben kann, dann an Lovecraft. Gleichgültig, ob er seinen Tanten in dieser Frage zustimmte oder nicht – und ich vermute, dass er trotz seiner viktorianischen Erziehung zu diesem Zeitpunkt anderer Meinung war –, hätte er entschiedener versuchen können, seinem eigenen Standpunkt Geltung zu verschaffen und zwischen Sonia und seinen Tanten einen Kompromiss zu vermitteln. Stattdessen scheint er sich auf die Rolle des untätigen Zuschauers beschränkt und seinen Tanten die Entscheidung überlassen zu haben. All das deutet darauf hin, dass er seine Ehe mit Sonia beenden oder auf die Ebene eines rein brieflichen Kontakts verlagern wollte, was dann auch für die nächsten Jahre geschah. Sein einziger Wunsch war, nach Providence zurückzukehren. Sonia konnte sehen, wo sie blieb.

      Wie sollen wir Lovecrafts zweijähriges Intermezzo im Hafen der Ehe beurteilen? Sicherlich kann man jeder der beteiligten Parteien Vorwürfe machen. Lovecrafts Tanten für ihre Vorbehalte gegen die Verbindung zwischen Lovecraft und Sonia und wegen ihrer mangelnden finanziellen und emotionalen Unterstützung des gebeutelten Paars. Sonia, weil sie meinte, Lovecraft nach ihren Wünschen formen zu können. Und natürlich Lovecraft, für seine Gedankenlosigkeit, seinen Mangel an Rückgrat, seine Unfähigkeit, Gefühle zu zeigen, und sein berufliches Versagen.

      Aus Sonias Erinnerungen geht ziemlich deutlich hervor, dass sie in Lovecraft eine Art Genie im Rohzustand sah, das sie nach ihren eigenen Vorstellungen formen wollte. Dass Sonia sicherlich nicht die einzige Frau ist, die mit derartigen Vorstellungen in die Ehe geht, entschuldigt ihr Verhalten nur unzureichend. Erwähnt sei nur die tragikomische Episode, als Sonia Lovecraft zwang, sich einen neuen Anzug anzuschaffen, weil ihr der antiquierte Schnitt seiner alten nicht gefiel. Erinnern wir uns auch daran, wie sie Lovecraft mästete, um ihm sein »ausgehungertes« Aussehen auszutreiben. In einem weiteren Sinne wollte sie seine ganze Persönlichkeit verändern – vordergründig, um ihm zu helfen, in Wahrheit jedoch, damit er mehr ihren Vorstellungen entsprach, so etwa, wenn sie Lovecraft mit Samuel Loveman zusammenbrachte, um ihn von seinen Vorurteilen gegen Juden zu »heilen«. Im Hinblick auf die gegenseitigen Spitznamen Sokrates und Xanthippe gibt sie ihrem Glauben an Lovecrafts »sokratische Weisheit und Genie« Ausdruck und fährt fort:

      Das war es, was ich in ihm spürte. Ich hatte gehofft, ihn mit der Zeit noch menschlicher zu machen, indem ich ihn auf den Pfad der Ehe und der wahren Liebe führte. Ich fürchte, dass mein Optimismus und mein übertriebenes Selbstvertrauen mich haben in die Irre gehen lassen – und ihn vielleicht auch. Ich habe große Geistesgaben stets mehr bewundert als alles andere auf der Welt (vielleicht auch, weil sie mir so sehr fehlen) und hatte die Hoffnung, H. P. aus dem bodenlosen Abgrund seiner Einsamkeit und seiner psychischen Komplexe herauszuhelfen.21

      An dieser Stelle kommt Sonia dem Bekenntnis, dass sie zumindest eine Mitschuld am Scheitern ihrer Ehe trug, am nächsten. Ob ihre Amateurpsychoanalyse Lovecrafts einen Erkenntniswert hat, wage ich nicht zu entscheiden. Möglicherweise hat sie recht, wenn sie Lovecrafts grundlegendes Bedürfnis nach Einsamkeit betont und darauf hinweist, dass er unfähig oder nicht Willens war, eine tiefere emotionale Beziehung mit irgendjemandem außerhalb seines engsten Familienkreises einzugehen.

      Es spricht jedoch manches dafür, dass Sonia hätte wissen können, worauf sie sich einließ. »Ganz am Anfang unserer Romanze«, so erinnert sie sich, schickte ihr Lovecraft ein Exemplar von George Gissings Roman The Private Papers of Henry Ryecroft (1903).22 Sonia nennt keinen expliziten Grund, warum Lovecraft ihr das Buch sandte, aber es liegt nahe, dass er damit versuchte, ihr zumindest einige Hinweise auf seinen Charakter und sein Temperament zu geben. Merkwürdigerweise erwähnt Lovecraft Gissings Buch gegenüber keinem seiner anderen Korrespondenten, doch steht außer Frage, dass es eine Vielzahl suggestiver Passagen enthält.

      Gissings Roman ist das vorgebliche Tagebuch eines verarmten Schriftstellers, der in vorgerücktem Alter eine unerwartete Erbschaft macht, die es ihm erlaubt, sich aufs Land zurückzuziehen. Er verbringt seine Zeit damit, ein Tagebuch zu führen, aus dem Gissing als »Herausgeber« eine Auswahl von Einträgen präsentiert, die nach der Abfolge der Jahreszeiten angeordnet sind. The Private Papers of Henry Ryecroft ist in der Tat ein sehr eindringliches Werk, allerdings nur, wenn man mit den von Ryecroft zum Ausdruck gebrachten Ansichten übereinstimmt. Viele moderne Leser würden diese Ansichten jedoch vermutlich als abstoßend oder zumindest überholt empfinden. Sonia weist selbst darauf hin, dass sich in Henry Ryecroft dieselbe Haltung gegenüber Minderheiten artikuliert, die auch Lovecraft vertrat, wenngleich dieses Thema in dem Roman auch eher am Rande abgehandelt wird. Einen breiteren Raum nehmen Ryecrofts Ansichten über die Kunst und im weiteren Sinne über die Gesellschaft ein.

      Obwohl Ryecroft einen großen Teil seines Lebens damit verbracht hat, Texte zum Broterwerb zu verfassen, hat er diese Tätigkeit immer gehasst und ist nun in der Lage, seiner Verachtung für die Lohnschreiberei freien Lauf zu lassen. Die Schriftstellerei


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