H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2. S. T. Joshi

H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2 - S. T. Joshi


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deshalb schreibst, weil du etwas in deinem Geist oder deinem Herzen trägst, das zwingend nach Ausdruck verlangt, sondern weil die Feder das einzige Werkzeug ist, mit dem du umgehen kannst, das einzige Mittel, dein Brot zu verdienen!«23 Dieser Gedanke führt Ryecroft dazu, auch die Masse der Menschen zu verachten, die derart leblose Werke lesen. »Ich bin kein Freund des Volkes«, erklärt er unumwunden – ein Satz, den Sonia in ihren Erinnerungen zitiert.24 »Die Demokratie«, so fährt Ryecroft in einer Passage fort, die Lovecraft sicherlich aus dem Herzen sprach, »steckt voller Bedrohungen für die höheren Bestrebungen der Menschheit …«25

      In den persönlicheren Passagen des Tagebuchs lässt Gissing Ryecroft über sich selbst und seine Fähigkeit, Gefühle zu haben und zu zeigen, nachgrübeln. Obwohl er selbst Witwer ist und eine erwachsene Tochter hat, erklärt Ryecroft: »Glaube ich, dass ich zu irgendeinem Zeitpunkt meines Lebens die Art von Mann war, der es verdient hat, geliebt zu werden? Ich vermute, nein. Ich war stets zu sehr mit mir selbst beschäftigt, zu kritisch gegenüber allem um mich herum, zu grundlos stolz.«26 Auch Ryecrofts Verteidigung der Prüderie wird Lovecrafts vorbehaltlose Zustimmung gefunden haben:

      Wenn Prüderie die Eigenschaft einer im Geheimen lasterhaften Person bezeichnet, die übertriebenen Wert auf äußere Schicklichkeit legt, dann soll die Prüderie mit allen Mitteln ausgerottet werden, selbst wenn man damit eine gewisse Schamlosigkeit in Kauf nimmt. Wenn andererseits jemand als prüde bezeichnet wird, der ein anständiges Leben führt und entweder aus Neigung oder aus Prinzip eine vielleicht etwas übersteigerte Zartheit des Denkens und Sprechens im Hinblick auf die grundlegenden Tatsachen der menschlichen Natur kultiviert, dann kann ich nur mit äußerstem Nachdruck betonen, dass es sich dabei für mich um einen Fehler handelt, der in Wirklichkeit eine Tugend ist, deren Geltung ich auf keinen Fall schwinden sehen will.27

      Wie kann man hier nicht an Lovecrafts Brief an Sonia denken, in dem er die Sexualität als eine vorübergehende und irrationale jugendliche Leidenschaft beschreibt, über die das »reife Erwachsenenalter« erhaben sein sollte. Oder erinnern wir uns an Lovecrafts überempfindliche Reaktion auf die bloße Erwähnung des Wortes »Sex«. Sonia hat recht, wenn sie schreibt, dass man The Private Papers of Henry Ryecroft lesen sollte, um Lovecraft zu verstehen. Mit seiner engen Beziehung zu seinem Zuhause, seiner Verachtung der Gesellschaft, seiner Liebe zu Büchern und in vielerlei anderen Hinsichten weist Ryecroft eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit Lovecraft auf.

      Vielleicht hätte Sonia schon aus der Lektüre von Henry Ryecroft schließen können, dass Lovecraft einen gänzlich ungeeigneten Ehemann abgeben würde. Allerdings überschätzte sie in ihrem »übertriebenen Selbstvertrauen« ihre eigenen Möglichkeiten und glaubte, sie könne Lovecraft von seinen »Komplexen« erlösen und ihn, wenn auch nicht zu einem im konventionellen Sinne beruflich erfolgreichen Ehemann, so doch zu einem aufgeschlosseneren, liebevolleren Menschen und einem noch besseren Schriftsteller machen. Ich zweifle nicht daran, dass sie Lovecraft aufrichtig liebte, dass sie ihn mit den besten Absichten heiratete und das an ihm fördern wollte, was sie für seine besten Eigenschaften hielt.

      Es scheint wenig sinnvoll, Lovecraft für seine vielen Unzulänglichkeiten als Ehemann posthum zu schulmeistern, aber vieles an seinem Verhalten ist tatsächlich unentschuldbar. Am unentschuldbarsten ist vielleicht sein Entschluss, überhaupt zu heiraten, ein Entschluss, den er offensichtlich fasste, ohne sich im Geringsten der Schwierigkeiten und Herausforderungen einer Ehe bewusst zu sein und ohne sich auch nur die geringsten Gedanken zu machen, wie ungeeignet er als Ehemann war. Lovecraft war ein Mann mit einem ungewöhnlich schwach entwickelten Sexualtrieb, einer tiefverwurzelten Liebe zu seiner Heimatregion und tiefsitzenden Vorurteilen gegen ethnische Minderheiten, der sich Hals über Kopf dazu entschloss, eine Frau zu heiraten, die, obwohl deutlich älter als er, eindeutig nicht nur eine intellektuelle, sondern auch eine erotische Beziehung wünschte. Dieser Mann entschied sich, die Stadt seiner Geburt zu verlassen und in eine geschäftige, kosmopolite und ethnisch vielfältige Metropole zu ziehen, ohne dort für seinen Lebensunterhalt sorgen zu können und offenbar völlig zufrieden mit Aussicht, so lange von seiner Frau finanziell unterstützt zu werden, bis er eine ihm gemäße Arbeit gefunden hat.

      Nach der Heirat war Lovecrafts Verhalten gegenüber Sonia von erstaunlicher Rücksichtslosigkeit. Er fand es offensichtlich unterhaltsamer, seine Abende und Nächte im Kreis seiner Freunde zu verbringen, und hielt es schon bald nicht mehr für nötig, wenigstens so früh nach Hause zu kommen, dass er mit seiner Frau gemeinsam zu Bett gehen konnte, obwohl ihr das erklärtermaßen wichtig war. Zwar unternahm er in seinem ersten New Yorker Jahr echte Anstrengungen, Arbeit zu finden, gab den Versuch danach aber praktisch auf. Nachdem ihm einmal klar geworden war, dass ihm das Leben als verheirateter Mann nicht zusagte, scheint er völlig zufrieden damit gewesen zu sein, seine Ehe auf eine Fernbeziehung in Briefen zu beschränken, als Sonia sich 1925 gezwungen sah, in den Mittleren Westen zu ziehen.

      Doch gibt es auch eine Reihe von mildernden Umständen: Nachdem der Zauber von New York einmal verfolgen war, verschlechterte sich Lovecrafts Gemütszustand rapide. Zu welchem Zeitpunkt spürte er, dass er einen Fehler gemacht hatte? Glaubte er, dass Sonia in irgendeiner Weise für seine Misere verantwortlich war? Vielleicht ist es kein Wunder, dass er eher im Kreis seiner Freunde Trost fand als in Gesellschaft seiner Frau.

      Drei Jahre nach dem Debakel blickte Lovecraft auf seine Ehe zurück, und seinen Worten ist nicht viel hinzuzufügen. Obwohl er später behauptete, dass seine Ehe »zu 98% aus finanziellen Gründen« scheiterte,28 gibt er hier unumwunden zu, dass es grundlegende charakterliche Differenzen waren, die letztlich zum Bruch geführt hatten:

      Ich habe keinerlei Zweifel daran, dass die Ehe eine äußerst hilfreiche und angenehme dauerhafte Einrichtung sein kann, wenn beide Parteien das Potenzial zu einem übereinstimmenden geistigen und gefühlsmäßigen Leben haben – gleiche oder zumindest für den anderen begreifliche Reaktionen auf die wichtigsten Elemente der Umwelt, der Lektüre, der geschichtlichen und philosophischen Gedankenwelt usw.; einander entsprechende Bedürfnisse und Anforderungen hinsichtlich des geographischen, sozialen und intellektuellen Milieus … Mit einer Ehefrau vom Temperament meiner Mutter oder meiner Tanten wäre es mir vielleicht gelungen, ein häusliches Leben aufzubauen, das dem der Angell Street vergangener Tage nicht ganz unähnlich gewesen wäre, auch wenn ich in der häuslichen Hierarchie einen anderen Rang eingenommen hätte. Doch die Jahre ließen grundlegende und wesentliche Unterschiede in unseren Reaktionen auf die verschiedenen Orientierungspunkte im Strom der Zeit hervortreten, ebenso wie entgegengesetzte Wünsche und Vorstellungen im Hinblick auf das, was bei der Planung eines gemeinsamen Lebensmilieus wichtig ist. Was dort zusammenprallte, waren die abstrakt-traditionelle-individuelle-vergangenheitsbezogene-apollinische Lebensanschauung und die konkret-emotionale-in-der-Gegenwartheimische-soziale-ethische-dionysische Lebensanschauung. Und angesichts dieser Gegensätze führte die ursprünglich vermutete Seelenverwandtschaft, die auf ähnlichen Enttäuschungen, philosophischen Neigungen und Empfänglichkeit für das Schöne beruhte, einen aussichtslosen Kampf.29

      So abstrakt diese Analyse klingen mag, so zeigt sie doch, dass Lovecraft das grundsätzliche Problem klar erfasst hat: Er und Sonia passten von ihren Temperamenten her schlicht nicht zusammen. Und auch wenn Lovecraft behauptet, sich eine gelungene Ehe mit einer Frau, die ihm, seiner Mutter oder seinen Tanten charakterlich ähnlicher wäre, vorstellen zu können, macht er an anderer Stelle desselben Briefes deutlich, dass die Ehe, auch wenn er sie als gesellschaftliche Institution verteidigt, für ihn als Lebensform nicht in Betracht kommt:

      … Gegen die Institution der Ehe als solche habe ich nichts einzuwenden. Aber ich glaube, dass die Erfolgsaussichten für einen ausgesprochenen Individualisten, der zudem höchst eigensinnig und mit einer ausgeprägten Vorstellungskraft ausgestattet ist, verdammt klein sind. Es steht hundert zu eins, dass die vier oder fünf Versuche, die er machen würde, sich als Schüsse in den Ofen erweisen, die für ihn wie für seine Leidensgefährtin gleichermaßen bedrückend wären. Wenn er also ein kluger Junge ist, dann lässt er nach dem Scheitern des ersten Versuchs die Finger davon … und wenn er besonders klug ist, dann verzichtet er sogar auf den ersten Versuch! Abstrakt gesehen mag die Ehe der Normalzustand und grundlegend für das gesellschaftliche Leben sein usw., aber für einen Mann des Geistes und der Phantasie ist nichts im Himmel und auf Erden so wichtig wie die Unantastbarkeit


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