H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2. S. T. Joshi

H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2 - S. T. Joshi


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      Das ist so ziemlich Lovecrafts letztes Wort zu diesem Thema.

      Sonia ihrerseits ist bemerkenswert zurückhaltend, was ihre Meinung zum Scheitern der Ehe betrifft. In ihren Erinnerungen scheint sie die Schuld zumindest teilweise Lovecrafts Tanten zu geben, die ihr Veto dagegen einlegten, dass sie in Providence ein Geschäft eröffnete. In einem Anhang zu ihren Erinnerungen, der die Überschrift »Re Samuel Loveman« trägt, schildert sie allerdings ausführlich, wie Lovecrafts Rassismus während seiner New Yorker Zeit immer virulenter wurde, und schließt: »Um die Wahrheit zu sagen, war es diese Haltung gegenüber Minderheiten und der Wunsch, der Berührung mit ihnen zu entgehen, die ihn zurück nach Providence leiteten.«30 Sonia führt diesen Punkt in einem Brief an Samuel Loveman weiter aus, wo sie bestreitet, dass die Ehe an Lovecrafts Unfähigkeit zerbrach, für den gemeinsamen Lebensunterhalt zu sorgen: »Ich habe ihn nicht deshalb verlassen, weil er nicht für mich sorgen konnte, sondern vor allem, weil er ständig darauf herumritt, wie sehr er die J… hasste. Das, und nur das war der wirkliche Grund.«31 Diese Aussage erscheint eindeutig, und ich glaube, wir müssen sie zumindest als einen – und vielleicht den wichtigsten – Grund für das Scheitern dieser Ehe akzeptieren. Es gab finanzielle Probleme und charakterliche Diskrepanzen, doch all dies wurde überlagert oder verschärft durch Lovecrafts wachsenden Hass auf New York und seine Einwohner auf der einen und Sonias Unfähigkeit, die Mauer seiner eingewurzelten Vorurteile zu durchbrechen, auf der anderen Seite.

      Äußerst bemerkenswert ist, dass Lovecraft in späteren Jahren die Tatsache, dass er verheiratet gewesen war, schlicht verschwieg. Wenn er neuen Briefpartnern die Eckdaten seines Lebens skizzierte, dann erwähnte er zwar seine Zeit in New York, nicht jedoch seine Ehe mit Sonia. Nur, wenn ein Korrespondent ihn direkt fragte, ob er je verheiratet gewesen war, gab er es zu. Ein Brief an Donald Wandrei aus dem Jahre 1927 ist in dieser Hinsicht typisch: »Neun von zehn meiner besten Freunde wohnen durch Zufall oder Notwendigkeit in New York & vor drei Jahren dachte ich, dass es auch für mich logisch wäre, mich dort niederzulassen. Also verschiffte ich meine Habseligkeiten im März 1924 dorthin & blieb bis April 1926, als ich zu der Überzeugung gekommen war, dass ich diesen abscheulichen Ort unter keinen Umständen länger ertragen konnte.«32 Hier geht Lovecraft so weit zu behaupten, dass er nur wegen seiner »Freunde« nach New York gekommen sei! Wenn diese Zurückhaltung gegenüber neuen Bekanntschaften vielleicht noch entschuldbar ist – schließlich war Lovecraft nicht verpflichtet, gegenüber irgendjemandem seine persönlichen Verhältnisse offenzulegen –, so gilt dies weniger für die »offiziellen« autobiographischen Texte, die er in den letzten zehn Jahren seines Lebens verfasste. In ihnen erweckt er den Eindruck, als hätten sein Aufenthalt in New York und seine Ehe nie stattgefunden.

      Andererseits waren die erbärmlichen Umstände seiner New Yorker Existenz, insbesondere während seiner Zeit in der Clinton Street, und sein Abscheu vor der Metropole und allem, was sie verkörperte, Themen, von denen er nie genug bekam. Rückblickend beschreibt er seine damalige desolate Situation geradezu lustvoll:

      Die Grundstimmung der ganzen Szenerie – Haus, Gegend und Geschäft –, war eine Atmosphäre widerwärtigen, schleichenden Verfalls. Dieser wurde von den Überresten vergangener Pracht und Schönheit gerade so weit verdeckt, um einer Ödnis und Schäbigkeit, die sonst statisch und prosaisch gewirkt hätten, Schrecken, Geheimnis und eine Aura kriechender Bewegung zu verleihen. Ich bildete mir ein, dass das riesige Mietshaus ein bösartiges, empfindungsfähiges Wesen war – eine tote, vampirische Kreatur, die denen, die in ihr wohnten, etwas aussaugte und ihnen die Samen irgendeiner schrecklichen und körperlosen psychischen Wucherung einpflanzte. Hinter jeder verschlossenen Tür schien ein brütendes Verbrechen zu lauern – oder eine Blasphemie, die zu abgründig war, um im primitiven und oberflächlichen Verständnis unserer Welt als Verbrechen zu gelten. Ich habe die genaue Topographie dieses weitläufigen und riesenhaften Hauses nie begriffen. Ich wusste, wie ich in mein Zimmer kam und in Kirks Zimmer, wenn er zu Hause war, und zur Wohnung der Vermieterin, um meine Miete zu bezahlen oder vergeblich wegen der Heizung zu fragen, bis ich mir einen eigenen Ölofen anschaffte. Aber es gab Flügel und Treppenhäuser, die ich immer nur abgeschlossen sah. Ich wusste, dass es in manchen Stockwerken fensterlose Zimmer gab, und konnte mir ausmalen, was sich in den unterirdischen Teilen des Hauses befand.33

      Wenn in dieser Schilderung eine gewisse spielerische Übertreibung mehr als deutlich ist, so sind andere Bemerkungen über seine New Yorker Zeit alles andere als spielerisch:

      In New York konnte ich nicht leben. Alles, was ich sah, wurde unwirklich & zweidimensional & alles, was ich dachte & tat, wurde trivial & sinnlos, da es mir an Bezugspunkten fehlte, die zu irgendeiner Struktur gehörten, der ich mich hätte zugehörig fühlen können. Ich war dabei zu ersticken – vergiftet – gefangen in einem Albtraum & heute könnte mich selbst die Drohung mit ewiger Verdammnis nicht dazu bringen, noch einmal an diesem verfluchten Ort zu verweilen.34

      All diese Empfindungen schildert Lovecraft zwar auch in Erzählungen wie »He«, doch gewinnen sie als unmittelbare persönliche Bekenntnisse ohne den dünnen Schleier der Fiktion noch einmal an Eindringlichkeit. Es spricht für sich, dass Lovecraft seiner Tante Lillian derartige Einblicke in seinen Geisteszustand erst ganz am Ende seiner New Yorker Zeit gewährte: Wären sie nicht ein Eingeständnis gewesen, dass er »unwürdig, wie ein Besiegter« heimwärts gekrochen kam?

      Lovecraft hatte natürlich jedes Recht der Welt, New York zu verabscheuen. Problematisch ist allerdings seine Annahme, dass jedes »normale« oder gesunde Individuum seine Auffassung teilen müsse. Das Grundthema dieser Tiraden sind natürlich die »Fremden«, die nach Lovecrafts Auffassung die Stadt überflutet haben. Doch ich glaube nicht, dass Lovecrafts Empfindungen sich auf bloßen Rassismus reduzieren lassen. Die »Fremden« sind vielmehr ein besonders augenfälliges Sinnbild dafür, wie weit New York von den Maßstäben entfernt war, die in Lovecrafts bisherigem Leben Gültigkeit gehabt hatten:

      In einer farblosen oder monotonen Umgebung würde ich wahrscheinlich an seelischer Auszehrung zugrunde gehen – und New York hat mich tatsächlich beinahe umgebracht! Ich muss feststellen, dass mein Wohlbefinden in erster Linie von Schönheit & Atmosphäre abhängt, wie sie sich in malerischen Stadtpanoramen & in alten, von Landwirtschaft und Wald geprägten Landschaften manifestieren. Meine Umgebung muss kontinuierlich aus der Vergangenheit gewachsen sein – tatsächlich habe ich schon vor langer Zeit begriffen, dass die Liebe zur Vergangenheit die hauptsächliche Triebkraft meines Lebens ist.35

      Doch spätestens dann, wenn er dieses Credo auf seine New Yorker Erfahrungen anwendet, unterliegt Lovecraft einem Trugschluss: Er nimmt an, dass es die Einwanderer sind, die New Yorks »natürliche« Entwicklung gestört haben – offenbar durch ihre bloße Anwesenheit. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass Lovecraft New York immer wieder mit damals noch vorwiegend »angelsächsischen« Städten wie Boston oder Philadelphia kontrastiert. Manchmal gewinnt Lovecrafts Perspektive eine geradezu absurde Komik: »New York verkörpert einen so atemberaubenden Zusammenbruch & Verfall – eine so abscheuliche Verdrängung kraftvollen und gesunden Erbguts durch charakterlosen, kriecherischen, verschlagenen Abschaum und menschlichen Bodensatz –, dass ich nicht begreife, wie irgendjemand dort längere Zeit leben kann, ohne ernsthaft krank zu werden.«36 Merkwürdig nur, dass es diesem kriecherischen Abschaum gelungen ist, die kraftvollen Arier zu verdrängen.

      Letztlich dienten derartige Tiraden jedoch vor allem einem psychologischen Zweck: New York ist für Lovecraft jetzt das »Andere«, ein Symbol für alles, was in der modernen amerikanischen Zivilisation im Argen liegt. Es überrascht nicht, dass Lovecraft in den späten 1920er-Jahren, obwohl er wieder in die behagliche und vertraute Umgebung von Providence zurückgekehrt war, begann, seine Vorstellungen vom Niedergang der westlichen Zivilisation zu entwickeln – Vorstellungen, die er anhand der Lektüre Spenglers präzisierte und weiterentwickelte.

      Inzwischen stand jedoch der eigentliche Umzug von Brooklyn nach Providence bevor. In der ersten Aprilhälfte sind Lovecrafts Briefe an seine Tanten voll von praktischen Details: welche Umzugsfirma er beauftragen soll, wie er seine Bücher und anderen Besitztümer am besten verpackt, wann er in Providence eintreffen wird usw. Wie bereits erwähnt, hatte Sonia sich einige Tage freigenommen, um nach Brooklyn zurückzukehren und Lovecraft beim Umzug


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