Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
Baumbestand auf. Nein, ziemlich ausgeschlossen, daß er was sieht. Warum fragst du?“
„Ich dachte daran, erst die Gefangenen zu befreien, bevor wir die Brechstange nehmen. Wenn sie auch nachts arbeiten müßten, wäre das kein Problem, aber da gönnt man ihnen wohl den Schlaf, damit sie am nächsten Tag wieder frisch zum Weiterschuften sind – was man so frisch nach deren Begriffen nennt, nicht wahr? Also müssen wir die Sache leider bei Tage durchführen, was uns wiederum zwingt, dort drüben nachts zu landen, natürlich mit den Schaluppen, und diese gut zu verstecken, möglicherweise an der Nordküste.“
„Wenn wir mit den Schaluppen und den befreiten Gefangenen zunächst nordwärts verschwinden, sieht uns der Ausguck auf dem Bergkegel“, wandte Dan O’Flynn ein.
„Nicht, wenn wir zu Beginn der Abenddämmerung abhauen.“
„Ach so.“ Dan O’Flynn nickte. „Dann befreien wir sie also am späten Nachmittag oder frühen Abend. Richtig?“
„So ungefähr.“
„Dann landen wir in dieser Nacht?“ fragte Don Juan.
„Es bleibt uns nichts anderes übrig“, erwiderte Hasard. „Dabei wird ein kleiner Trupp die Zeit gleich ausnutzen und beim Kastell herumschnüffeln. Zum Morgen hin wird er sich zu den Schaluppen zurückziehen, und dann können wir den Tag verdösen bis zum Nachmittag. Der Überfall auf die Aufpasser muß blitzartig und geräuschlos erfolgen. Wir werden das mit fünfzehn Mann anpacken.“
„Nehmen wir die Kerle gefangen?“ fragte Don Juan wie beiläufig.
„Die Frage gebe ich zurück“, sagte Hasard. „Was würdest du denn tun?“
„Es sind Mörder und Frauenschänder“, entgegnete Don Juan. „Jedes ordentliche Gericht würde sie zum Zappeltod am Galgen verurteilen, und dieses mehrfach, wenn es ginge.“
„Das ist das eine Argument“, sagte Dan O’Flynn. „Das andere ergibt sich daraus, daß beim Angriff auf das Kastell fünfzehn Strolche weniger gegen uns kämpfen können. Militärisch ausgedrückt, nennt man das Schwächung der Kampfkraft des Gegners. Damit sind auch schon Schlachten entschieden worden. Übrigens sprach Juan von Mördern und Frauenschändern. Korrekt müßte der Begriff ‚Mörder‘ noch auf Kinderschlächter erweitert werden.“ Er blickte Hasard aus fast kalten Augen an. „Solltest du befehlen, diese Galgenstricke nur kampfunfähig zu machen – und ich bin bei dem Unternehmen dabei –, dann werde ich diesem Befehl nicht gehorchen. Die Kerle haben einen mehrfachen Tod verdient.“
„Und du bist ihr Richter, wie?“ fragte Hasard ruhig.
„Ja, Richter und Henker.“
„Zum Töten gebe ich keine Befehle“, sagte Hasard. „Wenn du tötest, dann ist das deine Entscheidung, für die du dich eines Tages vor einem anderen höheren Richter zu verantworten hast. Jeder handelt so, wie es ihm sein Gewissen befiehlt. Ich bin nicht euer Gewissen. Ich wiederhole: Es ist eure Entscheidung. Ich habe nicht die Absicht, die Kerle gefangenzunehmen. Sie sollen kampfunfähig gemacht werden, und das gründlich. Dann fallen sie sowieso aus, wenn wir das Kastell angreifen. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.“
„Schon gut“, murmelte Dan O’Flynn.
Sie beobachteten den ganzen Tag. Gegen Mittag wurde der Ausguck abgelöst, ein anderer zog auf. Die Gefangenen durften etwa fünf Minuten Pause einlegen, dann wurden sie wieder an die Arbeit getrieben. In dieser kurzen Pause drängten sie sich um ein Faß, das offenbar Wasser enthielt. Zu essen erhielten sie nichts. Dafür stopften die Aufpasser alles mögliche in sich hinein – und den Gefangenen blieb nur das Zuschauen. Dann ging die Schinderei weiter. Kurz vor der Abenddämmerung wurde die Arbeit abgebrochen. Die Gefangenen schleppten sich, offenbar über einen Pfad, südwärts, weiterhin scharf bewacht.
Die drei Männer stiegen zur Bucht ab.
Als es dunkel war, verließen die beiden Schaluppen die Bucht und wurden nach draußen auf die See gepullt, wo die Mannen die Segel setzten und zunächst auf Nordkurs gingen.
Ben Brighton blieb mit einer fünfzehnköpfigen Crew auf der „Santa Barbara“ in der Bucht zurück. Am nächsten Tag würde ein Ausguck oben das Plateau besetzen, auf dem Hasard mit Dan und Don Juan gewesen war, und beobachten, wie alles verlief. Auf diese Weise war sichergestellt, daß Ben Brighton Maßnahmen ergreifen konnte, sollte die Befreiungsaktion aus irgendwelchen Gründen fehlschlagen oder Hasards Mannen in Bedrängnis geraten.
Hasard befand sich an Bord von Dan O’Flynns Schaluppe. Mit Hinblick auf die lange Nacht und den ganzen nächsten Tag war entsprechender Proviant mitgenommen worden. Ebenso mangelte es nicht an ausreichender Bewaffnung und der dazugehörigen Munition. Die Männer wußten, um was es ging.
Als die Nordspitze von Sarangani etwas achterlicher als Backbord querab lag, ließ Hasard hart an den Wind gehen, um Höhe zu gewinnen. Dann wurde gewendet und Kurs auf die nördliche Ostküste der Nachbarinsel genommen. Der Wind wehte nach wie vor aus Westen. Sie konnten die Küste gut anliegen. Sie hatte auf ihrer nördlichen Hälfte einen Verlauf von Nordwesten nach Südosten. In der Mitte knickte die Ostküste, die Sarangani zugewandt war, in die Nord-Süd-Richtung ab.
Ziemlich genau fand Hasard jene Bucht, die er sich von der Tagesbeobachtung her gemerkt hatte und ihm passend erschienen war, um die Schaluppen dort zu verstecken. So leicht würde sich von Süden her niemand dorthin verirren. Denn knapp südlich dieser Bucht versperrte eine Steilküste den Weg am Strand entlang. Wie bequem der Weg weiter binnenwärts zu der Bucht war, mußte ergründet werden. Auf jeden Fall handelte es sich um Dschungel, und der lud zu alles anderem als zu einem Spaziergang ein.
So betrachtet, mußte diese Bucht vor möglichen Besuchern sicher sein. Hasard hatte auch nicht gesehen, daß die Holländer nach Norden hin Erkundungen oder Wanderungen unternahmen. Die Küste war steinig und felsig, lange Sandstrände gab es nicht, und landeinwärts wucherte der Urdwaldverhau.
Sie nahmen die Segel weg und pullten mit den Langriemen in die Bucht, wo sie ankerten und ein Beiboot aussetzten, von dem der Spähtrupp an Land gebracht wurde: Hasard, Batuti, Don Juan und Gary Andrews. Die restlichen elf Mannen konnten sich zur Ruhe niederlegen. Ein Mann zog als Ankerwächter auf.
Hasards Truppe begann den Marsch durch den Dschungelverhau. Sie mußten sich zum Teil eine Schneise schlagen und lösten sich dabei ab. Irgendwann schwenkte Hasard nach Südosten. Er mußte den Kompaß wohl im Kopf haben, denn sie stießen auf den Rodungsplatz. Von hier aus – und das war Hasards Absicht gewesen – würden sie auf dem Trampelpfad weitermarschieren können, über den Gefangene und Aufpasser nach Arbeitsschluß abgezogen waren. Dieser Pfad mußte zu dem Inselkastell an der Südküste führen.
Batuti übernahm die Spitze. Ohne Frage hatte er geschärftere und bessere Sinne als die drei anderen und war für solche Dschungelexpeditionen ein Scout, auf den sie sich voll und ganz verlassen konnten.
Sie brauchten ihre Entermesser nicht mehr einzusetzen, denn hier war ein Pfad geschlagen worden, und so ging es jetzt zügiger voran.
Nach einer Stunde Fußmarsch führte der Pfad aus dem Dschungel und an gerodeten Flächen vorbei, auf denen die Holländer offenbar bereits Pflanzungen anlegten, denn hier standen – wie Soldaten in Reih und Glied – junge Gewürznelkenbäume. Etwas südlicher folgte eine Plantage mit Muskatnußbäumen, die allenfalls ein Jahr alt sein mochten.
Sie registrierten das alles, und Hasard dachte: Das sind schon merkwürdige Leute, diese Mijnheers – woanders zerstören sie, was natürlich gewachsen ist, und hier pflanzen sie es wieder an. Das heißt, sie lassen es anpflanzen – von Fronarbeitern, die sie zur Arbeit gepreßt haben. Wieviel Leid, Tränen und Blut diese Plantagen gekostet hatten, daran mochte Hasard nicht denken.
Sie bewegten sich jetzt vorsichtiger voran. Der Weg durch die Plantagen wurde breiter, schwenkte nach Südwesten und führte in einer weiten Schleife um einen felsigen Hügel herum wieder nach Süden an die Küste – und dort waren Lichter zu sehen: das Inselkastell.
Es ging stetig tiefer, trotzdem lag das Kastell noch relativ hoch auf einem in die See ragenden Felsen,