Seewölfe Paket 30. Roy Palmer
Getrappel war zu hören, laute Stimmen. Hellebarden klirrten und überall wurden Fackeln entzündet.
Der Prior erschien erst knapp zwei Stunden später in Begleitung zweier finster blickender Gardisten.
Der Kutscher setzte eine Leidensmiene auf.
„Man hat mich niedergeschlagen, ehrwürdiger Vater, mich, einen friedliebenden Menschen. Man zog mir meine Sachen aus und vertauschte sie mit diesen.“
„Wie furchtbar, mein Sohn“, stammelte der feiste Prior. „Wo ist denn Padre Pancrazius?“
„Man hat ihn offenbar entführt. Ich weiß es nicht genau. Ich erhielt einen Schlag auf den Kopf und erwachte erst vor kurzem.“
„Laßt ihn hinaus“, sagte der Prior. „Es wird sich alles aufklären. Ihr seht ja selbst, was hier passiert ist. Der Gefangene ist entflohen, aber dafür könnt ihr Padre Flavius nicht einsperren. Ihn trifft schließlich keine Schuld.“
Ein erboster Comandante wollte den Kutscher nicht freigeben. Er tat es erst, als der Prior böse wurde und androhte, er würde sich beschweren, wenn man sein verirrtes Schaf nicht herausgebe.
„Das wird noch ein Nachspiel haben, ehrwürdiger Vater“, drohte der Comandante zornig. „Nehmt euer Schaf mit, aber haltet es zur Verfügung, ich muß noch mit ihm sprechen.“
„Später, sucht lieber nach dem Entflohenen. Geh ins Kloster, mein Sohn, dir wird nichts geschehen. Du stehst unter meinem persönlichen Schutz. Ich begleite dich hinaus.“
Das freute den Kutscher sehr, hatte er doch seinen Kopf verwettet, daß alles klargehen und er wieder hinausgelangen würde.
Der Prior brachte ihn hinaus und wurde selbst von zwei sehr nervösen Gardisten begleitet.
So gelangten sie unbehelligt bis vor das Tor.
„Geh jetzt ins Kloster, Bruder Flavius“, sagte der Prior. „In einer halben Stunde werde ich da sein. Und beruhige dich, der Herr hat dich trotzdem beschirmt.“
„Danke, ehrwürdiger Vater. Das ist nun innerhalb kurzer Zeit schon das zweite Mal, daß ich überfallen wurde. O tempora, o mores!“
Der Kutscher schlug den Weg zum Kloster ein. Er sah, daß rund um die Festung überall Gardisten ausschwärmten, und schluckte heftig.
Einige von ihnen marschierten zum Hafen, aber zum Glück nahmen sie sich nicht den Fischerhafen vor. Vermutlich glaubten sie, daß sich der Gefangene auf einem der großen Schiffe versteckt hätte.
Den Rat des Priors konnte der Kutscher leider nicht befolgen. Er hatte schließlich nicht vor, sich weitere Schwierigkeiten einzuhandeln. Und er wollte auch kein Mönch werden.
So umging er das Kloster in einem weiten Bogen, während ein paar Gardisten in der Festung zusammen mit dem Prior nach dem „entführten“ Bruder Pancrazius suchten.
Er grinste, der Kutscher. Er grinste vergnügt bis an die Ohren und schlich zum Hafen hinunter.
Etwas später war er bei der Jolle.
Hasard und Don Juan atmeten erleichtert auf.
„Ein paar verdammt sture Böcke“, schimpfte der Kutscher. „Die wollten mich erst nicht hinauslassen, aber ein paar Worte des Priors haben sehr geholfen. Nach dir suchen sie übrigens, Bruder Pancrazius, weil du offenbar entführt wurdest!“
„Mann, bist du ein Kerl“, sagte Hasard lachend. „Juan bewundert dich vorbehaltlos.“
„Wenn wir nicht schleunigst verschwinden, gibt’s überhaupt nichts mehr zu bewundern“, sagte der Kutscher trocken. „Es wimmelt nur so von Gardisten, die ganz Cádiz durchkämmen werden. Setz die Segel, Bruder, damit wir entfleuchen können.“
Juan schlug dem Kutscher dankbar und erleichtert auf die nicht sehr breiten Schultern.
Sie setzten in aller Eile das Segel und verließen den Hafen.
Bevor sie an der Landzunge vorbeisegelten, wurden sie noch einmal von einem Gardisten angepreit.
Aber die drei Kerle waren auf allen Ohren taub und fuhren offenbar zum Fischen hinaus. Der Gardist tippte sich an die Stirn und wandte sich wieder ab.
Als der Hafen hinter ihnen lag, brachen sie in ein befreiendes Gelächter aus. Die offene See lag vor ihnen, die Freiheit winkte wieder.
Drei Stunden später sichteten sie die Schebecke und hielten auf sie zu.
Dann gab es ein freudiges Wiedersehen und natürlich eine Menge zu erzählen.
Don Juan war wieder an Bord, und nur das zählte für die Arwenacks. Die Reise ging weiter …
ENDE
1.
Der junge Fischer hatte nur noch Augen für Margarida. Wie immer, wenn sie bei ihm war, wurde alles andere für ihn bedeutungslos. Drüben im Dorf durfte niemand etwas von ihrer Liebe erfahren, deshalb fanden sie nur selten die Gelegenheit, sich im Schutz der Dunkelheit hier draußen am felsigen Strand zu treffen.
Margarida schmiegte sich eng an ihn. Nicht nur seine Nähe, sondern auch die Wärme seines Körpers tat ihr gut, denn die Märznächte im Jahre des Herrn 1598 waren an der Küste Portugals noch kühl und windig.
Die Wasserfläche des Atlantiks glich einer grauschwarzen Masse. Nur manchmal, wenn der Mond hinter den Wolken hervortauchte, war ein silbriges Glänzen zu sehen.
Felipes Arme schlossen sich noch fester um die Schultern des Mädchens. Während er den Duft ihrer seidigen Haare einatmete, tasteten sich seine Lippen zu ihrem vollen, sinnlichen Mund.
Doch Margarida wurde die merkwürdige Unruhe, die sie schon auf dem Weg hierher begleitet hatte, nicht los.
„Hör’ zu, Felipe, ich …“
Der Mann unterbrach sie.
„Vergiß alles“, sagte er. „Diese Stunde gehört uns. Uns beiden ganz allein.“
Margarida nahm Felipes Worte jedoch kaum noch zur Kenntnis. Ihre Blicke waren über seine linke Schulter hinweg in die Dunkelheit gerichtet, und ihre Augen weiteten sich plötzlich vor Angst und Schrecken.
Als der Mond hinter Wolkenfetzen verschwunden war, hatte sie Bewegungen wahrgenommen und diese für ein Spiel zwischen Licht und Finsternis gehalten. Jetzt aber schwebte die goldgelbe Kugel wieder unverhüllt am Himmel, und die vermeintlichen Schattenspiele entpuppten sich als dunkle Gestalten, die wie gespenstische Wesen durch die kühle Märznacht huschten.
Die Idylle am Strand fand ein jähes Ende.
Margarida riß sich spontan von Felipe los und stieß einen lauten Schrei aus. Fast gleichzeitig preßte sie eine Hand auf den Mund, weil ihr bewußt wurde, daß sie einen schweren Fehler begangen hatte.
Felipe fuhr wie von einer Tarantel gestochen herum.
„Bei Gott – was ist los, Margarida?“ stieß er hervor.
Eine Antwort erübrigte sich, denn jetzt sah auch er jene unheimlichen Gestalten, die sich lautlos über den Strand bewegten und unverkennbar die Richtung zum Dorf eingeschlagen hatten.
Eigentlich handelte es sich nur um Schemen, die sich ohne Bewegung kaum von der Dunkelheit abheben würden. Und merkwürdigerweise sahen sie alle gleich aus – schwarz, düster und geheimnisvoll.
Felipe packte Margarida blitzschnell am Arm, um sie hinter einen Felsbrocken zu ziehen.
„Sei ganz still!“ zischte er.
Aber seine Ermahnung erfolgte zu spät. Margaridas Schrei hatte die Gestalten auf das lauschige Plätzchen hingewiesen, das ihnen seit Monaten als Treffpunkt diente.
Einige