Seewölfe Paket 30. Roy Palmer
Geister, Felipe?“ Sie kauerte bebend vor Angst am Boden und klammerte sich an den jungen Fischer.
„Bestimmt nicht“, erwiderte Felipe. „Wir müssen verschwinden. Du hättest nicht schreien dürfen, Margarida.“
Felipe nahm das Mädchen an der Hand und zog es eilig hinter sich her. Er war sich darüber im klaren, daß es völlig sinnlos war, sich jetzt noch verstecken zu wollen. Außerdem konnte er allein und ohne Waffe nichts gegen diese finstere Schar ausrichten.
Die beiden jungen Leute liefen, so schnell sie die Beine trugen. Sie eilten über Geröll und Sand, vorbei an zerklüfteten Felsen und spärlichem Gestrüpp. Sie kannten den Weg zu dem nahegelegenen Fischerdorf, das sich kaum wahrnehmbar an das Ufer einer kleinen Bucht schmiegte, sehr genau und fanden sich auch in der Dunkelheit gut zurecht.
Trotzdem gelangten sie nicht weit.
Nur dreißig Schritte von ihnen entfernt, schienen plötzlich einige dieser unheimlichen Schatten aus dem Boden zu wachsen. Sie waren in schwarze Kutten gehüllt, ihre Köpfe wurden von spitzzulaufenden Kapuzen verdeckt. Felipe konnte nicht verhindern, daß auch ihm bei diesem Anblick ein eiskalter Schauer über den Rücken lief.
Doch für Überlegungen blieb keine Zeit. Von diesen Gestalten ging Gefahr aus, das fühlte er instinktiv. Er versuchte deshalb nach rechts auszuweichen und zog Margarida mit festem Griff hinter sich her.
Aber auch dort tauchten plötzlich die gespenstischen Kapuzenmänner aus der Dunkelheit hervor und schnitten ihnen den Weg ab.
Die beiden jungen Leute stoppten jäh ihre Schritte. Felipe suchte krampfhaft nach einem Ausweg, aber den gab es nicht mehr, man hatte sie regelrecht umzingelt.
Margarida begann zu schluchzen und drängte sich schutzsuchend an den jungen Fischer. Er spürte deutlich ihr Zittern und legte die Arme um sie.
„Sei ganz ruhig, Margarida“, sagte er, „niemand wird dir etwas tun.“
Die Lippen des Mädchens bebten. „Es – es sind Gespenster, Felipe, glaube mir …“
Der Mann schüttelte energisch den Kopf, obwohl auch er sich im stillen eingestehen mußte, daß ihm die Situation alles andere als geheuer war.
„Ich glaube, es sind Mönche“, sagte er – immer darauf bedacht, das Mädchen zu beruhigen.
Die Kuttenträger standen still und reglos wie Zaunpfähle in der Landschaft. Sie schienen sich ihrer Überlegenheit absolut sicher zu sein.
Während Margarida leise wimmerte, huschten Felipes Blicke gehetzt hin und her. Hinter seiner Stirn jagten sich die Gedanken. Was waren das für merkwürdige Gestalten? Handelte es sich tatsächlich um Mönche? Wenn ja – was suchten sie dann zu dieser nächtlichen Stunde hier am Strand? Und warum hatten sie zuvor den Weg zum Dorf eingeschlagen?
Felipe fand keine Antwort auf diese Fragen, aber er verspürte den dringenden Wunsch, eine Entscheidung herbeizuführen. Er wollte endlich wissen, was hier gespielt wurde.
Er strich Margarida abermals beruhigend über das Haar, dann durchbrach er mit fester Stimme die bedrückende Stille.
„Wer seid ihr?“ fragte er. „Und was wollt ihr von uns? Wenn ihr Männer Gottes seid, dann benennt euren Orden und gebt uns um Christi willen euren Segen, damit wir in Frieden in unser Dorf zurückkehren können. Wenn ihr aber Böses im Schilde führt, dann bedenkt, daß wir arme Fischer sind. Wir besitzen nichts, was für euch von Wert sein könnte …“
Felipe, der all seinen Mut in diese Worte gelegt hatte, wurde jäh unterbrochen.
Einer der unheimlichen Mönche trat einen Schritt vor und zog einen Dolch unter der Kutte hervor. Das fahle Licht des Mondes spiegelte sich im blanken Metall der Waffe.
„Wir sind zwar keine Betbrüder“, sagte er mit rauher Stimme, „aber unseren Segen sollt ihr trotzdem erhalten.“
Das spöttische Gelächter, das jetzt folgte, ließ selbst Felipe die Haare zu Berge stehen. Bei allen Heiligen – der beißende Hohn, der Triumph, Kälte, Skrupellosigkeit und Mordlust zum Ausdruck brachte, konnte fürwahr nicht den Kehlen frommer Männer entspringen. Es schienen vielmehr die Schlünde der Hölle zu sein, die sich hier draußen am Strand geöffnet hatten.
2.
Über dem Golf von Cádiz verdichtete sich die Dunkelheit mehr und mehr zu einem dunstigen Schleier. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Nebelschwaden von der Wasserfläche aufsteigen würden.
Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, stand unterhalb der weitausladenden Heckgalerie und ließ seine eisblauen Augen prüfend über das langgezogene Deck der Schebecke wandern.
Der Wind hatte gedreht und wehte jetzt genau aus Südosten. Das bedeutete für das wendige Schiff, dessen Bug in nordwestliche Richtung zeigte, daß es platt vor dem Wind laufen konnte. Segelmanöver waren kaum noch erforderlich, das prallgefüllte Tuch der Lateinersegel trieb die Schebecke rasch voran.
Old Donegal Daniel O’Flynn stakte mit seinem Holzbein über die Planken. Er hielt vor Hasard und fuhr sich mit einer Hand über das von Wind und Sonne gegerbte Gesicht.
„So still wird das nicht bleiben, Sir“, sagte er. „Ich kann die Dons regelrecht riechen.“
Der Seewolf lächelte. „Ich rieche zwar nur das Wasser, aber deine Vermutung teile ich durchaus, Donegal.“
Der rauhbeinige Alte nickte zufrieden, und für kurze Zeit wirkte sein Gesicht sogar eher nachdenklich als grimmig.
„Eigentlich kann man den Dons nicht verdenken, daß sie so scharf auf uns sind. Für die wären wir ein echtes Schnäppchen, wenn man bedenkt, wie tief der gute Philipp wegen uns in seine Schatzkiste greifen müßte.“
„Er hat eben die richtige Wertschätzung für uns“, meinte der Seewolf ironisch. Gemeinsam mit Old Donegal ging er zum Vorschiff.
Dort versuchte gerade Mac Pellew, der den Kutscher als Koch und Feldscher unterstützte, eine Mängelrüge an den bulligen Paddy Rogers loszuwerden. Dieser hatte vor einigen Stunden im Auftrag des Schiffszimmermanns die Tür eines Kombüsenschapps repariert.
„Da bist du ja“, sagte Mac. „Ich war schon nahe dran, dich aus der Koje zu holen.“ Der nörgelnde Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Der im Denken etwas langsame Paddy blickte ihn verständnislos an.
„Mich – aus der Koje holen?“ fragte er. „Wieso das denn? Ich hatte Freiwache. Außerdem habe ich fest geschlafen.“
„Das habe ich auch schon festgestellt“, entgegnete der griesgrämige Mac, „zumal du wie ein schwindsüchtiges Walroß geschnarcht hast. Ich habe ja weiß Gott nichts dagegen, wenn jemand nach harter Arbeit in süßen Schlummer sinkt …“
„Dann ist ja alles in Butter“, unterbrach ihn Paddy mit strahlendem Gesicht. „Ich habe dein verdammtes Schapp repariert und dann in meiner Koje geschlummert.“
Der meist etwas sauertöpfische Mac, der schon unter Francis Drake auf der „Marygold“ Zähne gezogen, Knochen geflickt und Schweine geschlachtet hatte, stemmte die Fäuste in die Hüften.
„Höre ich recht?“ fragte er. „Du nennst das, was du in der Kombüse angerichtet hast, eine Reparatur?“
Paddy rieb seine Knollennase.
„Jawohl, das tu’ ich“, erwiderte der trotzig. „Ich bin, was den ganzen Holzkram betrifft, zwar nicht so bewandert wie Ferris, aber du wirst mir trotzdem nicht vorwerfen können, daß die Tür noch klemmt.“
„Da hast du allerdings recht.“ Macs Gesicht glich jetzt einer verschrumpelten Zitrone. „Die Tür hat auch gar keine Gelegenheit mehr, zu klemmen, weil sie sich nach deiner sogenannten Reparatur überhaupt nicht mehr schließen läßt. Kein Wunder, daß schon beim geringsten Seegang das Geschirrzeug aus dem Schapp fliegt.“
Paddy