Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
das nicht in Ihren Kopf? Also, für mich sind Sie Mister Drake – klabasta!“ Er spuckte ins Hafenbecken. „Und wieso ich vor einem Dienstrang der Royal Navy Respekt haben soll, kapier ich überhaupt nicht. Ist das was besonderes, so’n Dienstrang? Noch dazu, wenn Sie ihn innehaben? Da kann doch nicht viel dran sein, oder?“ Carberry spuckte noch einmal ins Hafenbekken. Offensichtlich mußte er eine Menge Spucke loswerden – und wohl auch Zorn, den er aber äußerlich nicht zeigte. Den Blattschuß auf den sehr ehrenwerten Sir Francis hatte er jedoch noch nicht abgefeuert. Der kam jetzt.
Er sagte: „Und Admirale, die Kinder klauen wollen, aber von denen noch aufs Kreuz gelegt werden, na, vor solchen Admiralen hab ich schon gar keinen Respekt. Oder rekrutieren sich neuerdings die Admirale der Royal Navy aus der Gilde der Schnapphähne und Wegelagerer, Mister Drake?“
„Sie – Sie …“ keuchte der Admiral, rot vor Wut und unfähig, noch weiter zu sprechen, weil er an seiner Wut nahezu erstickte.
Über die Gangway schlenderte Hasard und näherte sich den beiden. Neben Carberry blieb er stehen und musterte Drake eisig.
„Was will der Kerl hier?“ fragte er Carberry. „Will er stänkern?“
Carberry grinste. „Ich bin ihm wohl auf die Zehen getreten – wortwörtlich, Sir. Er stand hinter mir, als ich zurücktrat, weil die Kiste hochgehievt wurde. Dann meinte er, ich müsse ihn mit Admiral und Sir anreden, und er bäte sich mehr Respekt aus, na, und da sagte ich ihm, daß ich vor Admiralen, die Kinder klauen und sich wie Schnapphähne und Wegelagerer benehmen, keinen Respekt hätte. Darauf kaut er jetzt herum. Offensichtlich schmeckt’s ihm nicht. Ob er stänkern wollte, weiß ich nicht. Ich hab eher den Eindruck, daß er hier herumschnüffeln wollte.“
Hasards Stimme war ätzend. „Verschwinden Sie, Drake! Sie haben in unmittelbarer Nähe der ‚Isabella‘ nichts zu suchen. Wenn Sie es trotzdem tun, muß ich nach Ihrem bisherigen Verhalten annehmen, daß Sie wieder einen Ihrer dreckigen Pläne verfolgen. Um dem begegnen zu können, würde ich mich gezwungen sehen, Ihnen Respekt beizubringen.“ Hasards Degen zischte aus der Scheide. „Hiermit!“
Die Degenspitze deutete auf Drakes Kehle. Drake zuckte zurück. Unwillkürlich fuhr seine Rechte ebenfalls zum Degen hinunter.
Hasard glitt leicht einen Schritt zurück und senkte seinen Degen etwas.
„Na los!“ sagte er scharf. „Ich bin bereit. Tragen wir es endlich aus. Einer von uns beiden scheint zuviel auf dieser Erde zu sein. Wir werden sehen, wer es ist.“
Der Admiral versteckte seine Rechte auf dem Rücken. Er war käseweiß.
„Ich duelliere mich nicht mit Ihresgleichen“, sagte er heiser.
„Sie Feigling!“
Noch einmal zuckte der Admiral zusammen. Aber auch diese Beleidigung nahm er hin, obwohl sie tödlicher nicht sein konnte. Kein von der Königin zum Ritter geschlagener Mann hätte eine solche Beleidigung auf sich sitzen lassen, ganz abgesehen davon, daß es nach dem ritterlichen Kodex selbstverständlich war, dem Vorwurf der Feigheit mit der Blankwaffe zu begegnen.
Der Admiral tat es nicht.
„Sauber, sauber“, murmelte Edwin Carberry und spuckte zum dritten Male ins Hafenbecken. „Und so ein Scheißkerl verlangt von mir, ich solle Respekt vor ihm haben – zum Kotzen!“
Hasard stieß seinen Degen in die Scheide zurück. Eisige Verachtung zeichnete sein Gesicht. Wenn er dachte, diesen Mann endgültig geschafft zu haben, dann hatte er sich getäuscht. Drakes Dickfelligkeit war nicht zu überbieten.
Kaum war die unmittelbare Gefahr der Auseinandersetzung mit den Blankwaffen vorbei, da schnarrte er: „Wie ich sehe, übernehmen Sie und dieser französische Pirat Stückgüter aus dem Arsenal der Royal Navy. Ich verlange eine Auskunft, wie das möglich ist. Laut Aussage der Arsenalverwaltung gibt es keine Lagerbestände mehr. Was geht hier vor?“
Carberry schüttelte den Kopf. „Nicht zu fassen! Erst kneift er, dann reißt er schon wieder die Luke auf.“ Er äffte dem Admiral nach: „Ich verlange eine Auskunft! Dieser spitzbärtige Wurzelzwerg verlangt eine Auskunft – verlangt! Sind wir vielleicht für dämliche Fragen zuständig, was, wie? Was wir verlangen, ist was anderes: daß du nämlich deine Schoten dichtholst und abstreichst! Oder du fliegst mit einem Tritt in den Hintern zurück zu deinem verlausten Flaggschiff. Jetzt reicht’s mir nämlich.“
„Ich werde eine Untersuchung beantragen!“ schrie der Admiral. „Das stinkt ja zum Himmel …“
Er brach ab und trat schleunigst den Rückzug an. Denn von einem Profos wollte er sich nicht verprügeln lassen. Er hätte dem auch gar nichts entgegensetzen können. Was Carberry – einmal entfesselt – für ein Orkan war, das wußte auch der sehr ehrenwerte Admiral.
„Ich versteh das nicht mehr“, sagte Carberry kopfschüttelnd. „Was ist aus diesem Mann nur geworden?“
„Ich weiß es auch nicht, Ed“, erwiderte Hasard. „Und wenn ich es wüßte, würde uns das auch nichts helfen. Der Mann ändert sich nicht mehr. Irgend etwas treibt ihn, und er findet nicht mehr zurück. Er will zerstören.“ Hasard schwieg einen Moment, und dann setzte er hinzu: „Darum wird er immer gefährlicher und unberechenbarer.“
„Der ist tollwütig“, knurrte Carberry.
„Vielleicht hast du recht“, sagte Hasard. „Um so schärfer müssen wir aufpassen.“
3.
Die dritte Unterbrechung passierte gegen Mittag und war folgenschwer. Im Mittschiffsladeraum der „Isabella“ arbeiteten Matt Davies, Luke Morgan und Blacky. Sie nahmen die von der Großrah abgefierten Ladegüter wahr und verstauten sie gleichmäßig an der Backbord- und Steuerbordseite.
Für je drei Trinkwasserfässer waren auf beiden Seiten Plätze vorgesehen. Dort auch hatten Ferris Tukker, der Schiffszimmermann, und Big Old Shane, der ehemalige Schmied und Waffenmeister der Feste Arwenack, schwere Eisenbänder an die Stützbalken gebolzt. Mit diesen Eisenbändern wurden die Fässer umfangen, so daß sie selbst bei schwerstem Seegang sicher gestaut waren. Um sie aus diesen Halterungen zu lösen, mußte die „Isabella“ schon kopfstehen. Aber wenn das passierte, brauchte auch keiner der Seewölfe mehr Trinkwasser, denn da würde sie ihre letzte Reise antreten – in die Tiefe.
Drei Fässer waren bereits auf der Backbordseite verstaut. Jetzt schwebte das vierte Faß oben über der Ladeluke. Dieses Faß wie auch die anderen hatte Ferris Tucker auf der Pier an eine Talje der ausgebaumten Großrah angeschlagen. Die Talje, mehrfach geschoren, lief unterhalb der Rahmitte durch einen kräftigen Doppelscheibenblock.
Auf der Kuhl nun fierten Gary Andrews und Pete Ballie die lose Part Hand über Hand ab. Diese lose Part lief über eine Klampe, so daß sie jederzeit belegt werden konnte – da genügte ein halber Kopf schlag.
Carberry, ebenfalls auf der Kuhl, war bereits wieder schwer in Gange und fragte die beiden an der Talje in seiner rauhbautzigen Art, ob sie gedächten, beim Abfieren des Fasses einen Mittagsschlaf zu halten.
Pete Ballie grinste nur zur Antwort. Gary Andrews sagte gar nichts, sondern verdrehte nur die Augen.
Die drei unten im Laderaum stierten nach oben, und Matt Davies rief: „He, laß kommen das Ding, willig, willig!“
„Halt’s Maul, da unten!“ röhrte Carberry dazwischen.
Da er noch ein paar Flüche hinterherschickte und im übrigen genug Lärm auf dem Kuhldeck herrschte, hörte niemand den Knall – nur Dan O’Flynn auf dem Achterdeck, aber er vernahm ihn auch nur schwach und registrierte ihn lediglich im Unterbewußtsein.
So wußte zunächst niemand, wie es hatte passieren können.
Sie bemerkten nur die Wirkung. Carberry, Gary Andrews und Pete Ballie – in unmittelbarer Nähe des Geschehens – meinten, ein Trugbild zu sehen.
Denn plötzlich zerplatzte der Taljenblock unter der Großrah. Die beiden Scheiben,