Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
noch auf der Klampe zu belegen, um das Faß abzufangen. Im übrigen raste das Tau wie eine glühende Schlange durch ihre Handflächen.
Unten im Laderaum sahen Blakkie, Luke Morgan und Matt Davies das Ungetüm auf sich zustürzen. Natürlich hatten sie nach alter Seemannsregel nicht unter der Last gestanden.
Aber alle drei reagierten instinktiv und warfen sich zurück. Das Trinkwasserfaß krachte schräg auf eine Kiste, prallte dort ab, erhielt eine neue Richtung, schlug auf die Laderaumplanken – und rollte über Blakkys rechten Fuß.
Blacky schrie gellend auf und krümmte sich zusammen.
Matt Davies war mit einem Satz an dem Faß und stemmte es mit wüster Kraft von Blackys Fuß weg.
Blacky bäumte sich nach hinten und stöhnte. Sein Gesicht war innerhalb von Sekunden aschfahl und schweißüberströmt.
„Mann“, knurrte Matt Davies, „Mann …“
Mit einem Blick hatte er gesehen, was mit Blackys Fuß los war. Der war seltsam verdreht. Übel schaute das aus.
„Kutscher!“ brüllte Matt Davies nach oben. Sein Gesicht war wutverzerrt. „Welcher Idiot hat diesen Mist verzapft – den schlag ich tot, den krummen Hund.“ Und noch einmal: „Kutscher! Verdammt, Blacky ist verletzt …“
Oben erschien Carberrys zernarbtes Gesicht an der Luke. Er warf nur einen kurzen Blick auf Blacky, fuhr herum und brüllte ebenfalls: „Kutscher! Wo steckt der Bastard?“
Ein wüstes Durcheinander herrschte jetzt auf der Kuhl. Hasard fegte heran, gefolgt von Ben Brighton und Big Old Shane.
Auf dem Achterdeck hatte Dan O’Flynn völlig anders reagiert. Als der Taljenblock auseinandergeplatzt war, hatte er als einziger fast im selben Moment den Knall damit in Verbindung gebracht.
Jemand hatte geschossen! Auf den Taljenblock!
Dan war herumgewirbelt.
Hinter den Holzbohlenstapeln im Werftgelände beim Dock stieg ein Rauchwölkchen auf, wurde vom Wind erfaßt und zerfaserte. Dort befand sich der Heckenschütze!
Mit einem Fluch sprang Dan aufs achtere Schanzkleid und von dort gleich hinunter auf die Pier. Es war ein höllischer Sprung, aber Dan überstand ihn, landete, rollte ab, federte wieder hoch und jagte los.
Batuti folgte ihm auf dem gleichen Weg. Auch er hatte das Rauchwölkchen entdeckt. Außerdem war es nicht gut, den tollkühnen Dan jetzt allein zu lassen.
Smoky hatte gar nichts mitgekriegt. Er stand nur da, schüttelte den Kopf und murmelte: „Ist hier denn alles verrückt geworden?“
Dan O’Flynn und Batuti erreichten gemeinsam die Stelle hinter den Bohlenstapeln, wo der Rauch aufgestiegen war. Aber der Heckenschütze war bereits verschwunden. Nur eine Muskete lag noch da. Dan hob sie auf. Ihr Lauf war noch warm.
„Dieses Schwein“, murmelte er und blickte sich wild um.
Batuti spähte zur „Revenge“ hinüber. Die war etwa hundert Yards von ihnen entfernt. Da sie im Dock lag, konnte man nur über Leitern an Bord entern. Ein Mann enterte über eine der Leitern auf. Er hatte eine kleinere Kiste unter dem Arm. War das der Heckenschütze? Die Kiste konnte Tarnung sein.
Dan O’Flynn war Batutis Blick gefolgt.
„Ob er das war?“ fragte er.
„Möglich“, erwiderte Batuti, „aber kein Beweis. Er uns gesehen und Flucht ergriffen. Leider rechtzeitig.“
„Mistkerle“, murmelte Dan O’Flynn. „Jetzt schießen sie schon aus dem Hinterhalt auf uns.“ Er starrte auf den geschwungenen Kolben der Muskete. Dort war auf der Wangenseite ein großes „R“ eingebrannt. „Revenge“, fügte er hinzu, „Rache – der Name ist den Kerlen wie auf den Leib geschrieben. Nichts anderes haben die mehr im Kopf, diese Drecksäcke.“
„‚Revenge‘-Männer wie Admiral“, sagte Batuti, „alle untergeschnappt.“
„Übergeschnappt“, verbesserte Dan O’Flynn.
„Gut, übergeschnappt.“ Batuti blickte besorgt zur „Isabella“ zurück. „Schlimm was passiert auf ‚Isabella‘. Matt Davies nach Kutscher gebrüllt, Profos dann auch. Blacky verletzt. Trinkfaß mit Wasser abgesaust in Laderaum – hui!“
„Los, zurück“, befahl Dan. „Hier ist nichts mehr zu holen.“
Sie trabten zur „Isabella“ zurück.
Hasard kniete bei Blacky. Sie hatten ihn inzwischen nach oben auf die Kuhl bugsiert und sein Hosenbein aufgeschlitzt. Der rechte Knöchel sah wüst aus. Der Fuß war unförmig angeschwollen. Der Kutscher hatte ihn weich gebettet und nasse Tücher herumgelegt. Mehr konnte er auch nicht tun. Hasard hatte Bill bereits zu Doc Freemont gejagt.
Blacky kübelte Rum, den ihm Hasard an die Lippen hielt. Die Flasche war schon zur Hälfte leer, und Blakky schielte etwas.
Hasard sagte: „Wird schon wieder werden, mein Junge. Hauptsache, das Faß hat dich nicht erschlagen.“
Blacky grinste seinen Kapitän an, etwas schief, wie sie alle sahen.
Mit etwas schwerer Zunge sagte er: „Ihr – ihr wolltet morgen auslaufen, Sir. Muß ich – muß ich dann zurückbleiben …“
„Unsinn“, unterbrach ihn Hasard. „Ohne dich läuft keine ‚Isabella‘ aus.“
„Bestimmt nicht?“ Blackys Augen bettelten.
„Bestimmt nicht“, erwiderte Hasard. „Mein Wort darauf.“
Blacky seufzte befreit – und dann trat er weg.
„Ohnmächtig“, sagte der Kutscher sachlich.
Hasard richtete sich langsam auf. Sein Blick verhieß nichts Gutes, als er die umstehenden Männer musterte. Seine Augen hefteten sich schließlich auf Ed Carberry.
„Wer“, fragte er zähneknirschend, „hat diese verdammte Talje an der Großrah angeschlagen? Dürfte ich das vielleicht erfahren, Mister Carberry?“
Mister Carberry! Bei einer solchen Anrede – das wußten sie alle an Bord – war Gefahr im Verzug. Da konnte es sein, daß Philip Hasard Killigrew mit einer Schärfe reagierte, der sich keiner gewachsen fühlte. Da war dieser Kapitän Feuer und Wasser, Himmel und Hölle zugleich.
Der Profos wollte etwas sagen, aber Dan O’Flynn trat vor und erklärte: „Ed hat keine Schuld.“
Hasard fuhr zu ihm herum. „Und woher willst du das wissen?“
„Die Talje wurde mit dieser Muskete zerschossen!“ Dan hob die Muskete. Er drehte sich etwas und deutete mit der anderen Hand zu den Bohlenstapeln. „Dort hinten hatte sich der Schütze versteckt. Als alles passierte, hörte ich einen schwachen Knall. Dann sah ich ein Rauchwölkchen hinter den Stapeln aufsteigen und raste hinüber. Batuti kam mit. Wir fanden nur noch diese Muskete – mit warmem Lauf. Auf ihrem Kolben ist ein großes ‚R‘ eingebrannt, also eine Waffe aus den Beständen der ‚Revenge‘. Als Batuti und ich bei der Stelle anlangten, von der aus der Heckenschütze gefeuert hatte, sahen wir lediglich einen Mann, der über eine Leiter auf die ‚Revenge‘ enterte. Er könnte der Schütze gewesen sein. Leider sahen wir ihn nur von hinten. Bleibt also als einziger Beweis, daß einer der Kerle der ‚Revenge‘ der Schütze war, nur diese Muskete.“
Hasard nickte und murmelte: „Sie scheuen vor nichts mehr zurück – nicht einmal vor Mord.“
„Was dachtest du denn“, sagte Dan O’Flynn erbittert. „Wenn ihr Admiral schon Kinder zu rauben versucht, dann dreht die Besatzung noch ganz andere Bolzen. Vielleicht hat Drake den Heckenschützen sogar zu seiner Tat angestiftet. Vergiß auch nicht, daß die Kerle neulich nacht versuchten, die ‚Isabella‘ vom Wasser her anzugreifen und zu versenken. Die Bohrer, Äxte, Stemmeisen und Hämmer beweisen es. Ich bin der Meinung, daß das Maß jetzt voll ist. Entweder wir – oder die da drüben. Wir sollten für reinen Tisch sorgen.