Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
Blacky richtete sich auf, hatte Schluckauf und schielte zu Doc Freemont hoch. „Du bist doch …“
„Bin ich“, sagte Doc Freemont. „Ich hab deinen Kapitän damals zusammengeflickt, und jetzt bist du dran, mein Junge. Du hast einen feinen Knöchelbruch, und damit der ganze Kram nicht schief zusammenwächst, muß ich dir den Fuß richten. Oder willst du überquer durch dein weiteres Leben laufen?“
Blacky kniff die Augen zusammen und peilte seinen rechten Fuß an, der nach innen gedreht war.
„Überquer?“ fragte er. „So über den großen Zeh, wie?“
„So ungefähr.“ Der Doc lächelte verhalten.
„’n Querläufer“, murmelte Blacky. Sein Blick suchte Smoky, den Decksältesten. „Wie findest du das, Smoky? Soll ich wie ’n Querläufer laufen?“
„Also, ich würd’s nicht tun“, sagte Smoky vorsichtig. „Stell dir mal vor, wie du gehst. Mit dem linken Fuß gehst du wie immer, klar? Aber rechts schlackerst du mit dem Fuß nach innen – so!“ Smoky marschierte los, den rechten Fuß nach innen gewinkelt. Es war gekonnt. Er latschte, als hätte er Plattfüße, Fußblasen, verwachsene Fußnägel und verkehrt eingesetzte Füße. Außerdem hinkte er wie ein Veteran mit Holzbein.
„Wie Old O’Flynn“, sagte Blacky und kicherte.
Old Donegal wollte aufbrausen, aber ein scharfer Blick Hasards stoppte ihn.
Er begriff und sagte: „Laß dir die Flunke von Doc Freemont richten, Blacky. Bei den Weibern hast du keine Chance mehr, wenn du so wie Smoky daherlatschst. Die lachen sich halbtot.“
„Meinst du?“
„Klar, Söhnchen. Als ich mein Holzbein hatte, hat mich Mistreß O’Flynn nur noch ausgelacht. Einmal im Winter, als unser Brennholz ausgegangen war, wollte sie doch glatt mein Holzbein verfeuern. Stimmt doch, nicht wahr, Dan?“ Er blinkerte seinen Sohn an.
„Und ob“, sagte Dan O’Flynn todernst. „Mann, war das ein Theater!“ Plötzlich grinste er. „Obwohl ich gar nichts dagegen gehabt hätte, wenn das verdammte Holzbein im Kamin gelandet wäre – wegen der Senge, die der Alte mir mit dem Ding zu verpassen pflegte.“
Dieses Mal räusperte sich Old O’Flynn.
„Wir kommen vom Thema ab, Dan O’Flynn“, sagte er streng, wandte sich wieder Blacky zu und erklärte: „Dein Fuß muß gerichtet werden, Sohn. Das wird bestimmt wehtun, und darum solltest du jetzt noch ordentlich mit Rum gurgeln. Und wenn’s zu schlimm wird, haut dir Ed Carberry einen Belegnagel auf den Kopf. Dann spürst du überhaupt nichts mehr.“
Das war mal ein feiner Vorschlag, vor allem das mit dem Rum. Blacky sang unanständige Lieder, als ihm Doc Freemont die beiden Splitter entfernte. Und dann wurde er wieder bewußtlos.
Doc Freemont konnte den Fuß exakt richten und schienen.
Als er von Bord ging, sagte er zu Hasard: „Es könnte sein, daß da noch Knochensplitter sind, die ich zunächst nicht festzustellen vermag. Wenn das der Fall ist, müßte sich der Fuß in zwei, drei Tagen entzünden – was ich nicht hoffe. Aber mindestens drei, vier Tage müssen wir abwarten. Ich schaue jeden Tag nach ihm. Wenn er Fieber kriegen sollte, möchte ich sofort benachrichtigt werden.“
„In Ordnung, Doc. Und herzlichen Dank.“
Doc Freemont winkte ab. „Bitte keine Vorschußlorbeeren. Wir müssen abwarten. Aber noch etwas anderes, was Drake betrifft. Selbstverständlich stehe ich als Zeuge zur Verfügung, wenn Sie mich brauchen, Hasard. Allein sein Versuch, Ihre beiden Jungen zu rauben, sollte genügen, ihm das Genick zu brechen. Der Mann ist genial, das steht außer Zweifel. Aber ich schätze, er neigt zum Größenwahn, und da wird’s gefährlich. Seien Sie vorsichtig.“
„Wir passen auf“, erwiderte Hasard.
Sie wechselten einen festen Händedruck.
4.
Nichts passierte – weder am Nachmittag noch in der Nacht. Die Stückgüter aus dem Arsenal waren alle übernommen worden. Später, vor allem für die Nacht, hatte Hasard doppelte Wachen aufziehen lassen.
In der Achterdeckskammer schlief Blacky seinen Rausch aus, bewacht vom Kutscher, den später Jeff Bowie ablöste.
Um zehn Uhr am nächsten Vormittag warf die „Le Vengeur“ die Leinen los und nahm Kurs südwärts, begleitet von den guten Wünschen der Seewölfe.
Eine Atlantiküberquerung Richtung Karibik barg immer Risiken und Gefahren, und es konnte durchaus sein, daß die Seewölfe die Männer der „Le Vengeur“ zum letzten Male sahen – oder umgekehrt. Niemand vermochte in die Zukunft zu schauen. Sie alle wußten nur, wie unberechenbar die See war und wie erbarmungslos sie zuschlagen konnte. Der Mensch hatte sich ihr anzupassen, wenn er überleben wollte. Und wenn er in einen Orkan geriet, dann konnte er nur noch beten.
Die Schlangen-Insel in der Karibik war der Treffpunkt der „Le-Vengeurs“ und der Seewölfe. In den verborgenen Höhlen der Insel lagerten die Schätze, die sie von den Dons erbeutet hatten. Die Insel selbst wurde von Siri-Tong, der Roten Korsarin, bewacht, die dieses Eiland einst auch entdeckt und eine höllische Einfahrt zu einer völlig abgeschirmten Bucht der Insel gefunden hatte.
Dorthin also segelte die „Le Vengeur“, und die „Isabella“ würde folgen, sobald Doc Freemont für Blackys Fuß keine Komplikationen mehr befürchtete. So hatten es Hasard und Jean Ribault miteinander abgesprochen.
Natürlich registrierten auch die Kerle auf der „Revenge“ das Auslaufen der „Le Vengeur“. Sie demonstrierten es, indem sie der schlanken Zweimast-Karacke Flüche hinterherbrüllten und die Fäuste drohend schüttelten. Wenn es nach den Männern von Drakes Flaggschiff ging, dann mußte die „Le Vengeur“ geradewegs in die Hölle segeln. Zumindest wünschten sie dem Franzosen und seiner Crew die Pest an den Hals.
Der Admiral dieser geifernden und pöbelnden Flaggschiffsbesatzung ließ sich nicht auf dem Achterdeck sehen.
Dafür aber erschien er gegen Mittag in Begleitung des Stadtkommandanten, Sir Gordon Huntley, auf der Pier und steuerte zusammen mit ihm die Gangway der „Isabella“ an.
Hasard wurde rechtzeitig gewahrschaut und empfing die beiden Männer auf der Kuhl. Er dachte gar nicht daran, sie aufs Achterdeck, geschweige denn in die Kapitänskammer zu bitten. Gegen den Stadtkommandanten hatte er nichts, absolut nichts, aber wenn der in Begleitung Drakes erschien, dann konnte das nichts Gutes bedeuten. Also war er auf alles gefaßt.
Den Stadtkommandanten begrüßte er mit einem Nicken, den Admiral übersah er mit eisiger Miene.
„Sie wünschen?“ fragte er Sir Gordon knapp. Seine Haltung, seine Miene und sein Ton waren haarscharf an der Grenze der Unhöflichkeit.
Der Stadtkommandant zuckte leicht zusammen, als er in die eisblauen Augen blickte. Er hatte diesen Seewolf auf dem Bankett des Bürgermeisters kennengelernt und auch gehört, wie sich Kapitän Killigrew gegen die Unverschämtheiten des Admirals verteidigt hatte. Um so schwerer fiel es ihm, jetzt mit seiner Forderung herauszurücken – die ihm von Admiral Drake befohlen worden war.
Verdammt, dachte er, das ist die übelste Situation, in der ich mich je befunden habe.
„Sir Hasard“, sagte er nervös, „bitte, könnten wir nicht in Ihrer Kapitänskammer verhandeln – ich – ich meine …“ Er blickte sich um, starrte in die verschlossenen, abweisenden Gesichter der Seewölfe, räusperte sich, schluckte und warf Admiral Drake einen hilfesuchenden Blick zu.
Der hatte die Hände auf den Rükken gelegt, wippte auf den Fußballen und stierte in die Luft. Seine Miene war arrogant wie immer.
„Was wollten Sie sagen?“ fragte Hasard frostig. „Sie haben nicht zu Ende gesprochen.“
„Ich – ich meine“, sagte der Stadtkommandant gequält, „daß es besser sei, wenn nicht alle Welt zuhört.“