Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
Nils Larsen wahrschaute mich, bei euch sei ein Unglück passiert.“
„Unglück ist gut“, knurrte Hasard. „Jemand von der ‚Revenge‘ zerschoß mit einer Muskete den Taljenblock an der Großrah. Über der Luke hing gerade ein Trinkwasserfaß. Die Talje rauschte aus, das Faß schlug in den Laderaum und überrollte Blackys rechten Fuß. Ich fürchte, daß er einen komplizierten Knöchelbruch hat. Bill hat Doc Freemont.“
„Verdammt“, murmelte Jean Ribault und blickte auf Blacky hinunter. „Komplizierter Knöchelbruch? Hoffentlich kriegt Doc Freemont das wieder hin – ohne amputieren zu müssen.“ Das war brutal, aber Jean Ribault sprach nur aus, was alle befürchteten.
„Hör bloß auf, Mann“, sagte Hasard biestig.
„Ihr solltet ihn ins Stadtlazarett schaffen“, sagte Jean Ribault unbeeindruckt.
„Er bleibt an Bord, und Doc Freemont wird sich um ihn kümmern“, erklärte Hasard kategorisch. „Bei uns ist Blacky besser aufgehoben als zwischen Quacksalbern und Betschwestern.“
„In Ordnung. Es war ein schlechter Vorschlag.“ Jean Ribault starrte Hasard nachdenklich an. „Wir wollten morgen auslaufen, Freund. Daraus wird wohl nichts?“
„Richtig, daraus wird nichts“, erwiderte Hasard. „Blacky gehört zur Crew, ohne ihn gehen wir nicht raus. Darüber ist gar nicht zu diskutieren. Wir verlassen Plymouth mit Blacky und das auch erst, wenn ich völlig sicher weiß, daß nichts mehr wegen seines Fußes zu befürchten ist.“
„Das kann drei, vier Wochen dauern.“
„Na und?“ Dann stutzte Hasard. „Du meinst, wegen unseres gemeinsamen Auslaufens?“
Jean Ribault nickte und kaute auf seiner Unterlippe. „Wir möchten euch nicht im Stich lassen.“ Er deutete mit dem Kopf zur „Revenge“ hinüber. „Wegen dieser Verrückten dort drüben. Wer weiß, was die noch alles aushecken. Du kennst Drake.“
„Wem sagst du das, Jean.“ Aber dann schüttelte Hasard den Kopf. „Nein, ihr braucht nicht mit dem Auslaufen zu warten. Ich halte es sogar für besser, wenn ihr wie geplant morgen in See geht und Kurs auf die Schlangen-Insel nehmt. Dort treffen wir uns dann.“
„Was meinst du damit, daß es für uns besser sei, auszulaufen?“
„Eben wegen Drake“, erwiderte Hasard. „Du bist Franzose. Er kann dir leichter etwas anhängen als uns. Du hast eine französisch-englisch-dänischholländisch gemischte Besatzung. Drake bringt es glatt fertig, euch als spanische Spione zu verdächtigen, um eine Handhabe zu haben, offiziell gegen euch vorgehen zu können. Diese Gelegenheit sollten wir ihm erst gar nicht geben. Richtig ist, ihm so wenig Angriffsfläche – was seine Intrigen betrifft – zu bieten wie möglich. Aus diesem Grunde halte ich es für besser, wenn ihr morgen auslauft.“
„Dann habt ihr Drake allein am Hals“, sagte Jean Ribault, „denn der gibt nicht auf, jetzt noch weniger als früher.“
„Bisher sind wir noch immer mit ihm fertig geworden. Unter Umständen zwinge ich ihn vor ein Ehrengericht, vielleicht auch vor ein öffentliches Gericht. Sein Versuch, meine Jungen zu rauben, sowie der Anschlag mit der Muskete, bei dem Blacky gefährlich verletzt wurde – allein diese beiden Punkte dürften für eine Anklage ausreichen. Einen solchen Prozeß übersteht er nicht ungeschoren.“
„Hoffen wir’s“, murmelte Jean Ribault. Er schwieg einen Moment und fuhr dann fort: „Daß wir „Le-Vengeurs’ den Kerl zusätzlich reizen, ist mir klar. Wir kämpfen gegen die Spanier, aber nicht für ein Land, sondern für uns.“ Bitternis klang in Ribaults Stimme. „Ich wollte, ich könnte für meine Heimat Frankreich kämpfen. Aber wir sind Vogelfreie – Schnapphähne zur See, wenn auch mit Ehre. Du hast recht, Freund. Es ist besser, wir verschwinden. Wenn Drake der Einfachheit halber auf uns losgeht, ziehen wir euch unweigerlich mit hinein.“ Er atmete tief durch. „In Ordnung, wir verlassen morgen früh Plymouth.“ Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. „Auf der Schlangen-Insel spuckt uns keiner mehr in die Suppe. Wer frei sein will, muß wohl auf Heimat verzichten. Das ist unser Preis.“
Hasard reichte ihm stumm die Hand. Es war nichts mehr zu sagen.
Eine halbe Stunde später rollte Doc Freemonts Kutsche auf die Pier und hielt bei der „Isabella“. Dieser Sir Anthony Abraham Freemont hatte ein besonderes Verhältnis zu Philip Hasard Killigrew und den Männern der „Isabella“. Da war einmal der Kutscher, der bei ihm gedient hatte, bevor ihn eine Preßgang des damaligen Kapitäns Drake – wie auch Hasard, Dan O’Flynn und Blacky – an Bord der alten „Marygold“ geschleppt hatte. Bei Doc Freemont hatte der Kutscher seine Kenntnisse als Feldscher erworben, und darum hatte ihn Hasard zu sich an Bord genommen, als ihm sein erstes selbständiges Kommando als Kapitän von Drake übertragen worden war.
Zum zweiten hatte Doc Freemont Hasard von einer schweren Schädelverletzung geheilt und in seinem Hause versteckt, als die Häscher des damaligen Friedensrichters Keymis hinter dem Seewolf hergewesen waren.
Zum dritten hatte Gwendolyn Bernice Killigrew, geborene O’Flynn, die Frau Hasards, bei ihm entbunden, als sie die Zwillinge zur Welt brachte. Und zum vierten hatte der Doc sich um die beiden Jungen gekümmert, als sie von dem schurkischen Keymis geraubt worden waren.
Ja, diesen Mann verbanden sehr enge Beziehungen mit Hasard und seinen Männern. Dabei hatte er Zivilcourage, einen hervorragenden Ruf als Arzt, war völlig integer, untadelig in seiner Lebenshaltung und selbstlos wie kaum ein Mensch.
Hasard empfing ihn am Schanzkleid und führte ihn zu Blacky. Doc Freemont begrüßte lächelnd den Kutscher, der bei Blacky kniete.
„Na, da wollen wir uns das mal anschauen“, sagte er. „Bill hat mir bereits berichtet, was passiert ist.“
„Knöchelbruch, Sir“, sagte der Kutscher und nahm die nassen Tücher weg. „Und natürlich ein schwerer Bluterguß. Ich habe den Fuß gekühlt. Mehr konnte ich nicht tun.“
„Hm.“ Der Doc kniete nieder und untersuchte den Fuß. Blacky war noch bewußtlos, aber er stöhnte, als Doc Freemont den Fuß bewegte und abtastete.
Dann schaute der Doc auf und blickte Hasard mit seinen klugen, grauen Augen an.
„Könnten wir ihn in eine Achterdeckskammer bringen?“ fragte er.
„Natürlich, Doc“, erwiderte Hasard. „Muß der Fuß …“ Er verstummte.
„Amputiert werden?“ Da war wieder dieses feine Lächeln in dem hageren, wissenden Gesicht mit dem schmalen Mund und der geraden Nase. „Aber nein, Hasard, so schnell hantiere ich nicht mit der Knochensäge. Ich verabscheue diese Methode auch, solange es anders geht und kein Wundbrand auftritt. Es ist allerdings ein Splitterbruch. Zwei haben die Haut durchstoßen, und ich werde sie entfernen müssen. Also, dann wollen wir mal. Ich bitte um heißes, abgekochtes Wasser, saubere Leinentücher – na, mein alter Kutscher weiß ja Bescheid, nicht wahr?“
„Aye, aye, Sir“, sagte der Kutscher, „wie in alten Zeiten, denke ich.“
„Genau so.“
Der Kutscher lächelte. „Für den Transport nach achtern den Fuß bandagieren?“
„Richtig.“ Doc Freemont seufzte etwas. „Du ahnst gar nicht, was ich dich damals vermißt habe. Na, das habe ich dir ja schon vorgejammert, als ihr Hasard mit seiner Schädelwunde zu mir brachtet. Möchtest du nicht wieder bei mir anfangen?“
„Nein, Sir. Entschuldigung, mein Platz ist auf der ‚Isabella‘. Ich bin kein Deserteur.“
„Leider.“ Der Doc lächelte Hasard an, und der lächelte zurück.
Mit ein paar Griffen hatte der Kutscher den Fuß Blackys bandagiert – und Blacky wachte auf.
„Kutscher“, sagte er undeutlich, „hör auf, an meinem Bein herumzufummeln. Oder soll ich dir die Klüsen dichtschlagen, du abgetakelte Kombüsenwanze?“
Der Kutscher räusperte sich und schaute zu Doc Freemont