Seewölfe Paket 9. Roy Palmer

Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer


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haltet ihr davon?“ fragte er. „Einerseits ecken wir jetzt nicht mehr mit den ‚Revenge‘-Leuten an, andererseits liegen sie dort auf der Lauer wie der Kater vorm Mauseloch.“

      „Letzteres dürfte zutreffen“, sagte Dan O’Flynn. „Die Maus sind wir. Er wartet auf unser Auslaufen, um es uns dann voll zu geben.“

      „Hm“, sagte Hasard, „könnte sein.“

      „Der Schuß aus dem Hinterhalt gestern ergibt damit auch einen Sinn“, fuhr Dan O’Flynn fort. „Als Drake witterte, wir könnten auslaufen – und das war ja offensichtlich wegen der gestrigen Proviant- und Stückgüterübernahme –, mußte er das zu verhindern versuchen, wenn er noch seine Rache haben wollte. Der Schuß in den Taljenblock hatte den gewünschten Erfolg. Es kann natürlich sein, daß sich der Schütze von dem Schuß noch mehr versprochen hat. Raffiniert war das schon. Ein Faß, das durch eine Ladeluke saust und auf die Laderaumplanken kracht, kann ganz schön Unheil anrichten. Da stellt sich immer die Frage, wie schnell können die Männer, die unten im Laderaum arbeiten, ausweichen. Und haben sie überhaupt noch den Platz, um auszuweichen? Dieses verdammte Faß hätte glattweg Blakky, Matt oder Luke erschlagen können. Vielleicht hatte sich das der Schütze gewünscht. Jedenfalls stellt sich die Situation jetzt so dar, daß wir warten müssen, bis Doc Freemont für Blakky keine Gefahr mehr sieht. Und wenn wir dann Plymouth verlassen, laufen wir vor die Rohre der ‚Revenge‘.“

      „So etwa sehe ich es auch“, sagte Hasard nachdenklich. „So absurd das Ganze ist, der Mann will seine Rache haben. Ein englischer Admiral geht seiner persönlichen Rache wegen auf ein anderes englisches Schiff los, und es schert ihn einen Dreck, daß dieses Schiff mit seiner Besatzung unter dem Schutz des Souveräns steht.“ Sein Gesicht verhärtete sich. „Ich nehme den Kampf an. Oder seid ihr anderer Ansicht?“

      Die Männer schüttelten die Köpfe.

      Nur Ben Brighton, der stets ruhige und besonnene erste Offizier der „Isabella“, sagte: „Wir müssen nicht – ohne mir Feigheit vorwerfen zu lassen. Wir könnten eine mondlose Nacht abwarten, unsere bessere Wendigkeit und Schnelligkeit ausspielen und heimlich verschwinden.“

      „Mist“, sagte Edwin Carberry empört. „Wir schleichen uns nicht wie Diebe in der Nacht davon, nicht vor diesen Affenärschen! Wer sind wir denn?“

      „Wir schießen auf Engländer, Ed“, erwiderte Ben Brighton ruhig.

      „Engländer? Das sind doch keine Engländer!“ knurrte der Profos. „Das sind Galgenvögel, Hundesöhne, Bastarde, Schnapphähne, aber keine Engländer.“

      „Alles richtig“, sagte Ben Brighton weiterhin ruhig. „Und wegen dieses Lumpenpacks sollen vielleicht ehrliche, anständige Männer verletzt, zum Krüppel geschossen oder gar getötet werden? Für was eigentlich, Ed? Ist das sinnvoll?“

      Edwin Carberry starrte Ben Brighton betroffen an. Von dieser Seite hatte er die Sache noch nicht bedacht.

      „Mann, Mann“, murmelte er.

      „Ben hat recht“, sagte Hasard. „Wir werden sehen, wie sich alles entwikkelt. Ich revidiere das, was ich vorhin erklärt habe. Wir nehmen den Kampf nur an, wenn es unumgänglich ist, aber dann schlagen wir ihn mit aller Härte durch. Besser allerdings scheint mir, wenn wir diesem rachsüchtigen Admiral gewissermaßen vor der Nase davonsegeln.“ Er lächelte. „Vielleicht springt er dann vor Wut außenbords.“

      „Und ersäuft“, vollendete Old O’Flynn grimmig.

      Es kam alles anders.

      Hasard hatte für einen Teil der Crew den Landgang freigegeben. Warum sollte er auch nicht? Die Männer würden wieder Monate unterwegs und auf See sein, bis ein neuer Landfall in England anstand. Sie hatten ein Anrecht darauf, zu leben. Sie hatten gekämpft, und sie würden wieder kämpfen müssen. Die kurze Spanne dazwischen gehörte ihnen selbst. Niemand durfte sie ihnen verweigern.

      Oft, in all den Jahren, hatte sich Hasard gefragt, wer wohl von seinen Männern als erster nicht mehr an Bord zurückkehren würde, weil er an Land bleiben wollte, um eine Familie zu gründen, weil er das wilde Leben bis zur Neige ausgekostet und erkannt hatte, daß es so nicht bis in die Ewigkeit gehen konnte.

      Der alte Will Thorne, der Segelmacher der „Isabella“, und Old O’Flynn sowie Big Old Shane waren die Ausnahme. Sie würden niemals die „Isabella“ verlassen. Dieses Schiff war ihre Heimat geworden.

      Aber die anderen Männer, die alle in der Blüte ihrer Jahre standen, was war mit ihnen? Hatten sie überhaupt die Neigung, ein bürgerliches Leben zu führen? Oder war es ihnen verschlossen? Smoky, Blacky und Bob Grey waren als Kinder Vollwaisen gewesen und hatten nie ein Elternhaus kennengelernt. Frühzeitig waren sie zur See gefahren. Auch sie hatten ihre Heimat jetzt auf der „Isabella“. Batuti, der Herkules aus Gambia, ebenfalls. Er würde wohl nie mehr in den schwarzen Erdteil zurückkehren.

      Einmal, es war gar nicht so lange her, hatte Ben Brighton gesagt: „Diese verdammte See verändert uns, wir passen nicht mehr an Land, wir sind im eigenen Land Fremde geworden.“

      Vielleicht verbarg sich in diesen drei knappen Sätzen die Antwort auf die Frage, warum noch keiner „abgemustert“ hatte und an Land geblieben war.

      Demgegenüber stand die schrankenlose Freiheit, die ihnen die See gab. Demgegenüber waren sie alle dem Fernweh verfallen, dem Drang, neue Welten zu suchen, noch Fremdes kennenzulernen, Abenteuer zu erleben, Geheimnisse der Erde zu erforschen.

      Und immer war ihr Landfall – wie jetzt in Plymouth – ein flüchtiger Augenblick gewesen, gemessen an der endlosen Zeit auf See.

      Wohin steuerten Seewölfe, wenn sie in Plymouth ein bißchen toben wollten‘

      Zu Nathaniel Plymsons „Bloody Mary“ an der Ecke Millbay Road – St. Mary Street. Das war Tradition, denn hier hatte alles seinen Anfang genommen – zumindest für Philip Hasard Killigrew, Dan O’Flynn, Blacky und den Kutscher. Dem feisten Schlitzohr Plymson hatten sie es zu verdanken, daß sie auf Drakes „Marygold“ gelandet waren.

      Alles wäre anders gelaufen, wenn sich die Preßgang Kapitän Drakes x-beliebige andere Männer geschnappt hätte – und keinen Philip Hasard Killigrew, dessen Kampf gegen die Preßgang bereits damals zur Legende geworden war.

      Vielleicht wären Francis Drake und Philip Hasard Killigrew dann niemals zu Feinden geworden.

      In der „Bloody Mary“ hatten sich Schicksale entschieden. Das war alles schon recht merkwürdig, eben wie das Leben so spielt. Nathaniel Plymsons Kneipe war Angelpunkt, Drehbühne, Plattform, Basis für das Schicksal Hasards und damit seiner Seewölfe.

      Die „Bloody Mary“ war zu ihrer Ansteuerungstonne geworden, wenn sie Plymouth anliefen. Und mit liebevoller Sorgfalt pflegten sie dann regelmäßig Plymsons Kneipe auseinanderzunehmen. Sie übten gewissermaßen Rache auf Zeit. Denn nichts ging ihnen mehr gegen den Strich als dieser Mensch Plymson, der es gewagt hatte, mittels Schlaftrunk und anderer rüder Methoden harmlose Trinker an Bord irgendwelcher Schiffe zu verschachern.

      Der dicke Plymson hatte längst bereut, damals den jungen Philip Hasard Killigrew an die Preßgang Drakes verhökert zu haben. Er war mit dem Menschenhandel seitdem auch vorsichtiger geworden. Ganz aufgegeben hatte er dieses einträgliche Geschäft allerdings nicht. An den Seewölfen würde er sich nicht mehr vergreifen, an keinem, nie mehr!

      Das waren nicht nur Seewölfe, das waren Teufel – allen voran dieser wüste, zernarbte Profos Edwin Carberry, mit dem regelmäßig jede Kneipenschlacht begann. Nicht daß Carberry anfing – o nein. Aber der hatte so eine Art, den Krawall herbeizuzaubern. Irgendeiner fiel immer auf den Profos herein, ließ sich von ihm reizen, schlug zu – und gab damit dem ungeschlachten Rauhbein Anlaß, seinerseits zuzulangen.

      Und dann wackelte die „Bloody Mary“ in ihren Grundmauern.

      Nathaniel Plymson atmete direkt auf, als an diesem Abend kein Carberry in der „Bloody Mary“ auf sondern „nur“ einige der Seewölfe. Zwar war Smoky, der Decksälteste, unter ihnen, der ebenfalls keinem Streit


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