Seewölfe Paket 9. Roy Palmer

Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer


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Auf den Duchten sitzend ergab sie sich ihrem Schicksal, das heißt, gemäß der tiefersackenden Jolle kroch das Wasser an den stummen Gestalten hoch.

      Mit dem Hintern saßen sie bereits im nassen Element, dann reichte ihnen der Wasserspiegel sehr schnell bis zum Bauch, zur Brust und schon bis zum Hals. Und immer noch hielten sie ihre Sitzformation inne – vier Mann hintereinander auf der Backbord- und vier Mann hintereinander auf der Steuerbordseite, aber die beiden Bordseiten waren längst unsichtbar und schwebten der Tiefe entgegen. Und achtern „saßen“ Mister Parsons sowie der Bootssteurer im Wasser, beide mit Beulen an den Köpfen.

      Es war fürwahr ein ergötzliches Bild – bis die Starre überwunden war. Fast gleichzeitig planschten diese zehn Gestalten los, Richtung „Revenge“, und sie waren sichtlich des Schwimmens unkundig, denn sie paddelten wie junge Hunde, die sich zum ersten Male im Wasser tummeln und noch nicht so recht wissen, ob dieses merkwürdige Element Wasser sie auch trägt.

      „Feuer!“ brüllte der Admiral und zerschlug sich die Handknöchel auf dem hölzernen Umlauf des Schanzkleides.

      Kein Schuß fiel.

      Drake fuhr herum und starrte zu den Seesoldaten auf der Kuhl. Die standen wie versteinert. Die Läufe ihrer Musketen zeigten sonstwohin, aber nicht auf die Jolle der „Isabella“, von der aus bereits die Schwimmer der anderen „Isabella“-Jolle geborgen wurden.

      „Ich befahl Feuer!“ schrie Drake zu den Seesoldaten hinunter. „Seid ihr schwerhörig?“

      Keiner schaute zu ihm hoch.

      Drake keuchte. „Was ist das? Meuterei? Ich lasse euch alle füsilieren!“

      Der Hauptmann der Seesoldaten, ein harter Brocken, der schon in den Niederlanden gegen die Spanier gekämpft und in Irland einige Aufstände niedergeschlagen hatte, wandte sich zu ihm um und sagte: „Bei allem Respekt, Sir, aber wenn wir schießen, gefährden wir unsere eigenen Leute im Wasser. Das kann ich nicht verantworten.“

      „Aber ich verantworte es, Mister Meadows!“ schrie Drake. „Oder geben Sie jetzt hier die Kommandos?“

      „Bitte um Verzeihung, Sir“, sagte Meadows, „die Seesoldaten unterstehen meinem Befehl, wie es in der Dienst- und Gefechtsvorschrift der Royal Navy, Abschnitt zwei, römisch vier eindeutig festgelegt wurde. An diese Vorschrift bin ich gebunden. Dort wird gesagt: Der für die Abteilung Seesoldaten an Bord eines Schiffes der Royal Navy verantwortliche Offizier hat …“

      „Interessiert mich nicht!“ brüllte der Admiral. „Halten Sie mir hier keine Vorträge, Mann! Gehorchen Sie, oder ich lasse Sie in Ketten legen!“

      Den Hauptmann erschütterte das keineswegs, dazu war er viel zu hartgesotten – und er wußte das Recht auf seiner Seite.

      „Sir“, sagte er, „die Dienst- und Gefechtsvorschrift der Royal Navy bleibt nach wie vor gültig, auch wenn Sie mich in Ketten legen. Ich bin gern bereit, vor einem Militärgericht meinen Standpunkt zu vertreten, wobei ich bereits jetzt darauf hinweisen möchte, daß Ihr erster Befehl, auf die Jolle Kapitän Killigrews das Feuer zu eröffnen, höchst bedenklich war. Es lag seitens dieses Kapitäns kein aggressiver Akt vor. Im übrigen waren er und seine Männer unbewaffnet …“ Weiter gelangte er nicht.

      „Profos!“ gellte Drakes Stimme.

      „Sir?“ Der vierschrötige Profos trat an den Niedergang zum Achterdeck.

      „Mister Meadows ist in seine Kammer zu führen. Er steht unter Kammerarrest. Lassen Sie die Kammer unter Bewachung stellen. Widerstand oder ein eventueller Fluchtversuch ist unter Waffeneinsatz zu verhindern.“

      „Aye, aye, Sir.“ Der Profos zog seine Pistole und richtete sie auf den Hauptmann. „Vorwärts, Mister Meadows. Sie haben gehört, was der Admiral befohlen hat.“

      Der Hauptmann zuckte mit den Schultern und lächelte kalt. Widerstandslos ließ er sich abführen.

      Zu diesem Zeitpunkt befand sich die zweite Jolle der „Isabella“ bereits außer Schußweite der Musketen und wurde zur Mill Bay gepullt. Hasard und seine Männer von der ersten Jolle waren an Bord – unverletzt.

      9.

      Der Wurm steckte im Detail. Hasard hatte das Verschwinden des Beiboots der „Revenge“ zwar bemerkt, aber keine Schlüsse daraus gezogen, als er mit seinen Männern zu dem Flaggschiff gepullt war. Drakes so listenreich aufgebaute Falle war ein Fiasko geworden. Er hatte den verhaßten Gegner demütigen und im Wasser schwimmen sehen wollen. Dort hatte die Jolle ihn und seine Kerle herausfischen sollen. Jetzt waren sie alle entwischt. Dabei wäre der einfachste Weg der gewesen, Philip Hasard Killigrew – wie er es gewünscht hatte – an Bord kommen zu lassen und festzuhalten. Mit dem Kapitän hätte Drake die gesamte Mannschaft gehabt. Aber die Chance war vertan.

      Hasard hatte zwar einen Fehler begangen, ihn aber mit viel Glück noch korrigieren können. Und Ben Brighton hatte rechtzeitig die zweite Jolle losgejagt, um den Schwimmern zu helfen.

      Jetzt beging der Admiral wiederum einen Fehler – nein, er hatte ihn bereits begangen. Denn er hatte der Hakenprothese des einarmigen Matt Davies keine Beachtung geschenkt – er nicht und kein Mann seiner Besatzung. Dabei hatte jeder sehen können, wie scharfgeschliffen dieses Ding war, das Matt Davies die rechte Hand ersetzte, und zwar voll ersetzte.

      Die drei Seewölfe waren nach ihrem Ausbruchsversuch gefesselt worden – Hände auf den Rücken. Dann hatten sie Wiedersehn mit dem Vorpiekloch gefeiert und zunächst einmal verschnauft. Einen Schimmer von Licht hatten sie, da man die Stelle, wo die Ankerflunke durchs Schott gekracht war, noch nicht repariert hatte. Zwar waren zwei Posten vor dem Schott aufgezogen, aber wenn die durch die Bruchstelle vom Hellen ins Dunkle linsten, konnten sie so gut wie gar nichts erkennen.

      So vergingen nur zehn Minuten, und die drei Seewölfe hätten erneut randalieren können. Denn in dieser Zeit hatten sie die Fesseln an Matts scharfem Prothesenhaken bereits durchgesäbelt und waren frei. Dazu hatte sich Stenmark nur Rücken an Rücken mit Matt Davies zu setzen und ein bißchen zu fummeln brauchen. Alles weitere war geradezu simpel.

      Einmal mehr konnten sie über Matts Prothesenhaken des Lobes voll sein. Auch Jeff Bowie trug ja so ein Ding, allerdings links. Und Jeff hatte von Matt gelernt, wie man mit dem Haken umzugehen hatte. Beide fühlten sich keineswegs den anderen gegenüber, die ihre gesunden Hände hatten, benachteiligt, ganz abgesehen davon, daß sie mit diesen Haken zu gefährlichen Kämpfern geworden waren.

      Ferris Tucker, der trick- und geniereiche Schiffszimmermann der „Isabella“, hatte ihnen für diese Prothesen zusammen mit Will Thorne, dem Segelmacher, Ledermanschetten konstruiert, die über die Unterarmstümpfe gezogen wurden und absolut festsaßen – auch bei gestrecktem Arm –, weil sie von Riemen unter der Achsel hindurch und über die Schulter gesichert wurden. Um die Prothese zu verlieren, hätte man den beiden schon die Schulter abreißen müssen.

      Die drei Seewölfe wollten, wenn es die Situation erforderte, Handlungsfreiheit haben. Und die hatte man nur, wenn man nicht gefesselt war. Aber um den Gegner irrezuführen, mußte man gefesselt sein.

      Also hatten sie sich die Fesseln gegenseitig wieder angelegt, aber so, daß jeder selbst in der Lage war, sie im geeigneten Moment zu sprengen Seeleute, die sie waren, barg das keine Probleme. Sie setzten ein paar Knoten auf Slip, und damit war auch dieser Fall geregelt.

      Im übrigen hatten sie, wenn auch karg, gefrühstückt, denn Sam Roscill hatte beim Sturmlauf durchs Mannschaftslogis einige Kanten Brot und sogar Speck mitgehen lassen.

      Gegen Mittag hatten sie dann wieder Hasards Stimme gehört und prompt ihren Schlachtruf geschmettert, um zu melden: Wir sind hier! Vor den Musketen der beiden Posten waren sie dann verstummt.

      Dann war geschossen worden. Seitdem zergrübelten sie sich die Köpfe, was passiert war. Sie hatten nur Drake toben hören, aber der tobte in der letzten Zeit ja ständig.

      Eine Stunde später, da war längst wieder Ruhe eingekehrt, erschien der Admiral persönlich am Schott der Vorpiek, um sich


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