Seewölfe Paket 24. Roy Palmer
auch hier alles eingehend. Kein Leck, nur das übliche bißchen Wasser in der Bilge. Ein schmuckes, sauberes Schiffchen, das nicht einmal einer Überholung bedurfte. Er konnte es sofort übernehmen.
Nicht einmal keimte in de Zavallo der Verdacht auf, daß es sich bei der „Goldenen Henne“ gar nicht um ein deutsches Schiff handelte. Wie sollte er das auch ahnen? Er wußte ja nichts von den Umständen, unter denen der Seewolf und sein Potosi-Trupp das Schiff der Schnapphahn-Bande Flores-Caspicara am Golf von San Blas abgenommen hatten. Und noch weniger konnte er wissen, daß wiederum Flores und Caspicara die Karavelle von Spaniern erobert hatten.
Seine Überlegungen gingen in eine andere Richtung. Für ihn war es wichtig, so schnell wie möglich St Augustine zu erreichen und dafür zu sorgen, daß man ihm die „Goldene Henne“ unterstellte. Da er das Schiff besetzt hatte, würde man es sicherlich auch seinem Kommando übergeben, sobald die Deutschen in das Festungsgefängnis gesteckt worden waren.
Im Prinzip handelte es sich nur darum, dem Festungskommandanten Don Lope de Sanamonte anschaulich genug darzustellen, wie sich alles zugetragen hatte. Und der Verbandsführer würde natürlich alles genau bestätigen.
Don Lope würde doppelt erfreut sein – erstens, weil er ein neuwertiges, gutes und wendiges Schiff als „Geschenk“ erhielt, zweitens, weil er die Gefangenen zur Zwangsarbeit einsetzen konnte.
De Zavallo würde es ihm empfehlen. Was sollte man sonst mit diesen Kerlen anfangen? Sie auf freien Fuß setzen? Damit sie beim Gouverneur von Kuba Protest erhoben? Auf keinen Fall. Außerdem waren sie ordentlich und fleißig, sie eigneten sich also hervorragend als Sklaven.
All das beschäftigte Don José de Zavallos Geist. Er malte sich bereits alles aus – die Ankunft im Hafen von Fort St. Augustine, die Begeisterung seiner Landsleute über den „Fang“, die Folgen, die sich daraus ergaben. Sicherlich würde man ihn befördern.
Der Teniente beendete seine Inspektion in der Kapitänskammer. Noch einmal befaßte er sich mit dem Schiffstagebuch und den Papieren. Sie waren in Deutsch geschrieben, er konnte kein einziges Wort entziffern. Aber welche Rolle spielte das schon? Dieser „Kram“ würde ohnehin verschwinden. Wer wollte ihn schon lesen?
Und das Handelshaus in Havanna? Würde dieser deutsche Kaufherr Arne von Manteuffel keine Nachforschungen anstellen, wenn seine „Goldene Henne“ überfällig wurde und schließlich überhaupt nicht erschien? Gewiß doch, aber das Schiff konnte ja gesunken sein. Untergegangen mit Mann und Maus.
De Zavallo grinste unwillkürlich. Wenn er der Kommandant von St. Augustine gewesen wäre, hätte er schon gewußt, wie man die Mannschaft für ewige Zeiten in die Versenkung verschwinden ließ. Der Zweck heiligte die Mittel.
Nun, das mußte er Don Lope de Sanamonte überlassen. Noch war er der Kommandant in St. Augustine, und es oblag ihm, über das Schicksal dieser Gefangenen zu entscheiden. Doch eines Tages würde ein anderer Mann seinen Posten übernehmen – er, Don José de Zavallo. Dieses Ziel hatte er ständig vor Augen.
Wer war für das Amt des Nachfolgers von de Sanamonte geeigneter als er? Niemand. Es gab keinen besseren Mann in St. Augustine als ihn, de Zavallo. Er war davon fest überzeugt. Und er war sicher, daß der Tag nicht fern war, an dem er das Kommando über St. Augustine übernehmen würde.
Wer denn wohl sonst? Etwa der Verbandsführer? Über den konnte er nur lachen. Der tat ohnehin, was sein Teniente ihm empfahl, und war froh, wenn ihm jemand die Entscheidung und Verantwortung abnahm.
Don José de Zavallo kehrte auf das Achterdeck der „Goldenen Henne“ zurück und sah, daß der deutsche Kapitän mit zwei anderen Kerlen tuschelte. Ausgerechnet der Mischling war dabei!
Sofort fuhr de Zavallo dazwischen. „Was gibt es hier zu besprechen – noch dazu mit dem Indianerbastard?“
Renke Eggens’ Erwiderung war nicht minder rabiat. „Auf meinem Schiff kann ich Besprechungen abhalten, mit wem ich will! Und was ich bespreche, geht Sie, Señor Teniente, einen feuchten Kehricht an!“
„Sie irren sich!“ rief de Zavallo.
„Und Sie scheinen zu verkennen, daß Sie sich auf einem deutschen Schiff befinden, auch wenn Sie sich anmaßen, es zu beschlagnahmen!“
„Irrtum“, sagte de Zavallo noch einmal, und dieses Mal grinste er höhnisch. „Sie haben wohl immer noch nicht begriffen, daß Ihre Karavelle nunmehr in spanischen Besitz übergegangen ist.“
„Wie bitte?“ stieß Renke hervor. „Ich habe mich wohl verhört!“
„Künftig wird die Karavelle unter spanischer Flagge segeln“, sagte Don José de Zavallo von oben herab.
„So, jetzt wissen wir es“, sagte Ribault. „Jetzt hat er die Katze aus dem Sack gelassen.“
De Zavallo gab einem der Soldaten einen Wink. „Die deutschen Flaggen niederholen, Sargento!“
„Jawohl, Señor“, entgegnete der Sargento und beeilte sich, dem Befehl Folge zu leisten.
„Señor!“ schrie Renke Eggens. „Unterstehen Sie sich, das zu tun!“
Aber der Teniente beachtete ihn nicht mehr. Er schaute dem Sargento zu und verfolgte, wie dieser zum Besan trat, um die Flagge von Kolberg von der Besanrute niederzuholen.
„Gut so“, sagte er. „Dann die andere. Dies ist ein spanisches Schiff.“
„Nein!“ brüllten die Männer der Crew plötzlich wie aus einem Mund.
Renke konnte nicht länger an sich halten. Seine Gegenreaktion war spontan und außerhalb jeglicher Vernunft, aber sie entsprach dem, was Ribaults Männer und die vier anderen Deutschen in diesem Moment einmütig empfanden.
Mit einem Satz stürzte sich Renke auf den Teniente und rammte ihm die Faust unters Kinn.
De Zavallo geriet ins Taumeln und stöhnte auf. Renke war vor ihm und hieb noch einmal mit der Faust zu. De Zavallo flog den Backbordniedergang hinunter und krachte auf die Kuhl.
Jean Ribault griff den Sargento an, der bereits die Besanflaggleine in der Wand hatte. Der Mann wollte seine Pistole zücken, aber Ribault war schneller. Seine Faust prallte unter das Kinn des Mannes.
Der Sargento gab nur noch einen ächzenden Laut von sich, dann kippte er rücklings auf die Planken und blieb bewußtlos liegen.
Die „Vengeurs“ und die vier Deutschen stürzten sich auf die restlichen Soldaten. Ein Spanier hatte sich bereits der Flaggleine des Großmastes genähert, doch Hein Ropers verpaßte ihm eine schallende Ohrfeige.
Dem Spanier flog der Helm vom Kopf. Scheppernd landete er auf den Planken. Fast wirkte es so, als hätte Hein Ropers dem Soldaten auch den Kopf versetzt. Der Kopf stand bedenklich nach rechts. Hein Ropers gab ihm noch eine gepfefferte Maulschelle, diesmal von der anderen Seite, und der Kopf flog wieder herum.
Dann knallte Ropers dem entsetzten Mann die Faust unters Kinn, und auch er brach zusammen.
Hanno Harms fällte einen Soldaten, der seine Muskete auf ihn richten wollte, mit einem einzigen, gewaltigen Hieb. Aber dann krachten doch Schüsse – und Kugeln pfiffen wie wütende Hornissen über die Decks der „Goldenen Henne“.
Jean Ribault, Renke Eggens und die anderen Männer mußten sich in Deckung werfen. Fluchend registrierten sie, daß die Kugeln von den Begleitschiffen abgefeuert worden waren. An Bord der beiden Kriegsgaleonen standen die Seesoldaten aufgereiht am Schanzkleid und hatten ihre Musketen auf die Karavelle angeschlagen. Drehbassen wurden auf die „Goldene Henne“ gerichtet.
Jetzt ertönte auch eine scharfe Stimme vom Achterdeck der Galeone an Backbord. „Ergebt euch!“
„Was tun wir?“ zischte Karl von Hutten. „Ergeben wir uns wirklich?“
„Wir feuern zurück“, sagte Renke Eggens.
„Nein“, entschied Jean Ribault.
„Streicht die Flagge!“ schrie der Mann auf dem Achterdeck der spanischen Kriegsgaleone.