Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
vorzeitig aus dem Leben, oder man half selbst etwas nach, zum Beispiel mit Gift. Nur hatte der Alte dieser Möglichkeit einen Riegel vorgeschoben, indem er nie als erster einen Bissen zu sich nahm oder den ersten Schluck trank.
Wozu hat man denn Söhne, nicht wahr?
Pflichtgemäß trank auch jetzt Thomas Lionel den ersten Schluck des irischen Whiskys, und da er zufrieden schmatzte und nicht umfiel, blieb der weitere Inhalt der Flasche dem Alten vorbehalten.
Nach der Trinkprozedur konnte man zur Sache kommen, und Sir John verlangte nun nähere Auskünfte über seinen Bastardsohn.
Samuel Taylor Burton berichtete: „Er und seine Bande von Halsabschneidern sind plötzlich wieder in Plymouth aufgetaucht, merkwürdigerweise trafen sie nacheinander in drei Gruppen ein, alle tiefbraun gebrannt und so gewalttätig wie eh und je. Die erste Gruppe, offenbar unter der Führung des ungehobelten Schiffszimmermanns und des narbengesichtigen Klotzes von Profos, brach denn auch gleich im Hafen einen Streit vom Zaun und demolierte die Schenke eines gewissen Mister Plymson.“
„Ah, die ‚Bloody Mary‘, nicht wahr?“ fragte der Alte.
„So ist es, Sir“, bestätigte der dicke Burton. „Es war ein Akt von roher Gewalt, und niemand scheint in Plymouth in der Lage zu sein, diese Strolche dem Richter zuzuführen und hinter Schloß und Riegel zu bringen.“
„An den Galgen gehören sie!“ ereiferte sich Mark Bromley mit zuckendem Gesicht. „Gevierteilt …“
„Ja, ja, schon gut, mein lieber Mark“, sagte der dicke Burton hastig, denn er wußte, was der liebe Mark nun wieder alles aufzählen würde an Möglichkeiten, um die Seewölfe zu Tode zu befördern. „Ich möchte bitte alles der Reihe nach vortragen, um Sir John genau ins Bild zu setzen. Also weiter. Die zweite Gruppe unter Führung des Bootsmanns Brighton lief mit einem höchst merkwürdigen Schiff in Plymouth ein. Meine Gewährsleute sagten mir, solche Fahrzeuge solle es im südlichen Osten des Mittelmeers geben, zum Beispiel in der Umgebung des großen Stroms, den man Nil nennt.“ Der Dicke räusperte sich, weil sein Blick auf Thomas Lionel gefallen war, der ihn dümmlich anstierte, was ihn irritierte. Wahrscheinlich hatte dieser Killigrew-Sohn noch nie etwas über den Nil gehört.
So war es auch, denn dieser Sproß des Alten sagte: „Nil, hä? Was is’n das?“
„Halt’s Maul, du Idiot“, erklärte der Alte unwillig. „Fahren Sie fort, Burton.“
Der Dicke räusperte sich ein zweites Mal. „Nun, ich möchte zunächst auf zweierlei hinweisen. Die erste Gruppe lief mit einer kleinen Karavelle in Plymouth ein, die so morsch war, daß sie an der Pier versank. Die zweite Gruppe hingegen erschien mit einem fremdartigen Fahrzeug. Aber sofort begaben sich die Führer der beiden Gruppen, der Schiffszimmermann und der Bootsmann, zu der Werft eines gewissen Ramsgate, um ein neues Schiff bauen zu lassen – eine Galeone vermutlich. Die Frage, die sich Mister Bromley und ich stellten, lautete: Woher haben diese Kerle das Geld, um ein solches Schiff in Auftrag geben zu können?“
In den hellblauen Augen des Burgherrn begann es zu glitzern, und er fragte: „Na, und woher?“
Burton log einfach drauflos. „Sie haben wieder irgendwo geplündert, Sir. Und natürlich denken sie gar nicht daran, den Anteil, den die Krone erhalten müßte, herauszurücken. Es war ein Fehler unserer erlauchten Majestät, einem Gauner und Betrüger wie diesem Killigrew einen Kaperbrief auszustellen. Daß Ihre Majestät einen solchen Mann auch noch zum Ritter schlug, war ein weiterer Fehler. Das muß einmal sehr deutlich gesagt werden.“ Und der dicke Burton blickte mit salbungsvoller Miene zur Decke hoch, als gelte es, den Herrn im Himmel zum Zeugen seiner Worte aufzurufen.
Sir John gurgelte den Whisky gleich aus der Flasche. Dann sagte er: „Weiter, Burton. Sie haben den Bastard noch nicht erwähnt.“
Burton nickte. „Aus gutem Grund, Sir. Er traf nämlich als letzter mit der dritten Gruppe in Plymouth ein, und das paßt nun überhaupt nicht mehr ins Bild. Vor Jahren kaufte er bei dem bereits genannten Ramsgate eine sehr neuzeitlich konzipierte, äußerst ranke Galeone, die er auf den Namen ‚Isabella VIII.‘ taufte. Nur kehrte er nicht mit diesem Schiff nach Plymouth zurück, sondern mit einer Galeone namens ‚Pride of Galway‘, die von meinen Gewährsleuten zweifelsfrei und eindeutig als Besitz des George Darren Burke aus Galway identifiziert wurde.“
Sir John hatte schon bei der Nennung der „Pride of Galway.“ aufgehorcht. Jetzt fuhr er hoch, als Burton den Namen des Besitzers nannte.
„Burke?“ stieß er hervor. „Dieser verdammte irische Hurensohn?“ Sein Blick wurde lauernd. „Was hat der denn mit dem Bastard zu tun, he? Hat Burke ihm etwa die ‚Pride of Galway‘ geschenkt?“
Der dicke Burton hüstelte. „Leider konnten das meine Gewährsleute noch nicht in Erfahrung bringen, Sir. Aber es dürften schwere Verdachtsmomente bestehen, daß Killigrew mit den Iren paktiert. Bekannt wiederum ist, daß Burke als Galway mit den Spaniern Handel treibt.“
Sir John grinste dreckig. Jawohl, darüber wußte er selbst bestens Bescheid – fing er doch die spanischen Handelsfahrer ab, die zum Beispiel auch Galway anlaufen sollten. Und mit der „Pride of Galway“ war er bei einem seiner Raubzüge schon einmal aneinandergeraten, wobei er allerdings Fersengeld hatte geben müssen, weil ihm diese irischen Lümmel von der „Pride of Galway“ mächtig zugesetzt hatten.
„Sir“, fuhr Burton fort. „es ist schon sehr merkwürdig, daß Killigrew plötzlich im Besitz eines irischen Schiffes ist. Höchst verdächtig ist das, denn man gelangt zu dem logischen Schluß, daß dieser Mann auch mit den Spaniern paktiert …“
„Ein Verräter!“ zischte Mark Bromley. „Er bereitet eine spanische Invasion vor. Das ist es! Seine ‚Isabella‘ hat er den Spaniern überlassen, damit sie dieses Schiff nachbauen können. Darum sind sie auch in drei Gruppen nach Plymouth zurückgekehrt, damit es nämlich nicht so auffällt.“
Er war ganz schön am Spinnen, dieser ehemalige Hauptmann, denn er unterstellte in seinem verrückten Kopf seinem Feind Philip Hasard Killigrew etwas, was er selbst tun würde, wenn es ihm Vorteile einbrächte. Allerdings muß hier hinzugefügt werden, daß Burton und er vorher untereinander abgesprochen hatten, wie sie Sir John einseifen wollten, um ihn als Bundesgenossen für eine Sache zu benutzen, an der sie selbst bereits gescheitert waren.
Mit dem Hinweis, der Bastard paktiere mit den Iren und demzufolge auch mit den Spaniern, wollten sie sich gewissermaßen einen legalen, patriotischen Anstrich geben. Sich dieses Mäntelchen umzuhängen, war immer gut. Wenn etwas schiefging, konnten sie sofort behaupten, im Interesse Englands und zu dessen Wohl gehandelt zu haben.
Das alte Schlitzohr Sir John – selbst so wenig ein Patriot wie Burton oder Bromley – begriff sofort, wie der Hase lief und hieb in dieselbe Kerbe.
„Natürlich!“ röhrte er. „Dieser Bastard hat sich auf die Seite der Dons geschlagen! Konnte ich mir doch denken, ha! Wie ich hörte, soll seine Mutter eine Spanierin gewesen sein. Ein Fluch liegt über diesem Haus, seit ich ihn an Sohnes Statt annahm. Eine Natter nährte ich an meiner Brust!“ Er schielte zu dem mächtigen Hirschgeweih hoch, an dem er einst gezappelt hatte, mühelos von der „Natter“ da oben hineingehängt! Und die Wut begann in ihm zu brodeln und zu kochen.
Hastig soff er aus der Whiskyflasche, verschluckte sich prompt, erlitt einen Erstickungsanfall, riß die Arme hoch und war am Röcheln, wobei ihm die Augen aus dem Kopf quollen.
Seine Söhne rührten keinen Finger. Ein Diener sprang hinzu und klopfte ihm kräftig den Rücken ab. Das dauerte gute zehn Minuten. Anschließend empfingen Simon Llewellyn und Thomas Lionel die obligaten Maulschellen, weil es sie, wie der Alte brüllend verkündete, einen Dreck gekümmert hätte, wenn er verreckt wäre.
Da hatte er allerdings recht.
Jeder halbwegs normale Besucher hätte derartige Szenen, in denen erwachsene Söhne von ihrem Erzeuger mit Ohrfeigen gezüchtigt werden, als sehr peinlich empfunden. Vielleicht wäre er auch aufgestanden und hätte sich mit einer Entschuldigung verabschiedet. Aber ein solches Verhalten lag weder Burton noch Bromley. Sie sahen gleichgültig