Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
über dem Kamin hoch. „Mit einer Breitseite fege ich ihn weg!“
Burton zuckte zusammen und starrte den Alten entsetzt an.
„Das – das haben wir auch schon versucht, Sir“, sagte er verzweifelt.
Sir John kniff die Augen zusammen und fixierte den ehemaligen Friedensrichter. Sein jäh aufgeflammter Jähzorn schien wie weggewischt.
„Was habt ihr versucht?“ fragte er. Seine Stimme war wieder völlig normal.
„Wir – wir ließen von einer – äh – gecharterten Galeone aus die im Bau befindliche neue ‚Isabella‘ beschießen.“
„Und?“ Das klang knapp und scharf.
„Es – es wurde eine andere Galeone getroffen, die auf der Werft lag.“
„Schwachsinn“, erklärte der Alte rigoros. „Komplett verrückt! Dilettantisch! Da muß man ganz anders vorgehen, mein lieber Burton.“
„Darum haben wir uns ja an Sie gewandt, Sir“, sagte der Dicke eifrig und verbeugte sich im Sitzen. „Was schlagen Sie vor? Sie haben in solchen Dingen die größere Erfahrung.“
„Wo liegen die beiden Schiffe der Kerle?“
„An der Pier in Plymouth“, erwiderte Burton – ohne zu ahnen, daß die Sambuke, mit der die Ben-Brighton-Gruppe bis nach England gesegelt war, und die „Pride of Galway“ von den Seewölfen nach Rame Head verholt worden waren, um den Zugang zur Werft des alten Ramsgate abzusichern und einen zweiten Überfall zu verhindern.
„Dieses Schiff aus dem Mittelmeer – ist es größer als die ‚Pride of Galway‘?“
„Nein, viel kleiner.“
„Hm.“ Der Alte zwiebelte wieder seine Knollennase. „Wie ist es bewaffnet?“
„Überhaupt nicht, Sir.“
Der Alte riß die Augen auf. „Überhaupt nicht? Die Kerle sind mit einem nicht armierten Schiff gesegelt?“
„So scheint es“, erwiderte der dicke Burton. Die Fragen des Alten verwirrten ihn etwas.
Der klatschte plötzlich die rechte Hand auf den Schenkel und lachte dröhnend.
„Das ist es!“ röhrte er. „Diese Roßtäuscher! Sie segeln mit einem unbewaffneten Schiff, weil sie sich einbilden, niemand würde sich für einen solchen Kahn interessieren! Ein ganz harmloses Schiff nach außen! Aber was haben sie im Laderaum? Die Schatzbeute, jawohl, dort, und nicht auf der armierten irischen Galeone!“
Der dicke Burton starrte den Alten verblüfft an. Dann grinste er verstehend. Die Logik Sir Johns leuchtete ihm ein. Richtig, niemand würde einem solchen Schiff besondere Beachtung schenken – oder nur insofern, daß es etwas fremdartig wirkte. Aber das war kein Grund, eine wertvolle Ladung in dem Schiff zu vermuten. Über einen Torfkahn sah man ja auch hinweg, nicht wahr? Da war eine Galeone vom Typ der „Pride of Galway“ schon viel interessanter. Wenn man auf Beute aus war, würde man die Galeone angreifen, aber nie dieses Fahrzeug, das nur hinten gedeckt war. O ja, dieser Sir John war schon ein gerissener Kerl, alle Achtung!
„Sir“, sagte der Dicke schmalzig, „ich bewundere Ihren Scharfsinn. Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Dieses Schiff aus dem Mittelmeer ist ein Trick, das haben Sie völlig richtig erkannt.“
Der Ex-Hauptmann konnte dem Gespräch nicht mehr so richtig folgen. Lallend sagte er: „Wir – wir werden dieses Schiff zerschmettern …“
„Werden wir nicht!“ fuhr ihn der Alte an. „Man schlachtet keine Kuh, von der man Milch haben will, verstanden?“
Bromley wackelte mit dem Kopf, stierte den Burgherrn an und sah ihn doppelt.
„W-welche Kuh, Sir?“ fragte er. Dabei schielte er erschreckend.
„Mark, Sie haben zuviel getrunken“, sagte der Dicke verärgert. „Sir John hat Ihnen nur mit einem Vergleich geantwortet, den Sie offenbar nicht begriffen haben, weil Sie bereits betrunken sind. Mäßigen Sie sich mit dem Wein.“ Fast entschuldigend sagte er zu dem Alten: „Er hat zu lange im Kerker gesessen, Sir. Da darf man ihm nicht verübeln, daß er das Maß verliert. Aber auch daran hat dieser verdammte Killigrew schuld. Mister Bromley hatte eine glänzende Karriere als Offizier vor sich …“
„Schon gut, schon gut“, unterbrach ihn der Alte, den die Karriere des Mark Bromley nicht im geringsten interessierte. Und daß der Kerl sich die Hucke vollsoff, kratzte ihn auch nicht weiter. Einer, der soff, imponierte ihm sogar mehr als einer, der auf eine Karriere aus war. „Also“, fuhr er fort, „dieses Schiff aus dem Mittelmeer werden wir unangetastet lassen. Dafür aber werden wir die ‚Pride of Galway‘ in Grund und Boden schießen.“ Er grinste wie ein Faun. „Wenn wir diese Galeone unter Wasser getreten haben, fällt uns der Mittelmeerkahn wie eine reife Pflaume in den Schoß!“
„Genial!“ rief der dicke Burton begeistert, und dieses Mal heuchelte er keineswegs, obwohl er sich im nächsten Moment darüber ärgerte, daß Bromley und er nicht selbst auf diese Möglichkeit verfallen waren. Sie hätten sich gleich auf dieses Schiff aus dem Mittelmeer konzentrieren sollen, statt diesen unsinnigen Angriff auf den Neubau in Szene zu setzen, mit dem sie überhaupt nichts erreicht hatten – im Gegenteil, diese Seewölfe-Bande war gewarnt worden und wußte bereits, wer hinter der mißglückten Gefangennahme des Hesekiel Ramsgate und dem Anschlag auf seine Werft steckte.
Der Dicke schalt sich selbst einen Narren. Da waren sie nun zu dem alten, schlitzohrigen Sir John geritten, und der hatte im Handumdrehen einen Plan entwickelt, den sie auch selbst hätten fassen können. Und jetzt mußten sie noch mit dem alten Halunken die Beute teilen!
Dieser Gedankengang war richtig, wie der Dicke im nächsten Moment zu hören kriegte.
Der Alte hatte die Augen zusammengekniffen und sagte lauernd: „Das wäre ja dann soweit alles klar, mein lieber Burton – bis auf eins. Sie nehmen doch wohl nicht an, daß ich mit leeren Händen ausgehen möchte, nicht wahr? Schließlich habe ich den richtigen Plan entwickelt, setze für das Unternehmen meine Karavelle und meine Leute ein und riskiere Kopf und Kragen.“ Er zwinkerte dem Dicken zu und rieb Daumen und Zeigefinger der rechten Hand wie ein ausgebuffter Pferdehändler aneinander. „Na, wie steht’s denn damit, mein Guter? Haben Sie mir da was vorzuschlagen?“
„Ä-hem“, sagte der Dicke und räusperte sich die Kehle frei, denn da hatte sich so etwas wie ein Kloß festgesetzt, „darüber hatte ich gerade mit Ihnen sprechen wollen, Sir.“ Das klang ziemlich gequält.
„Immer frei von der Leber weg!“ röhrte der Alte und soff aus der Flasche.
„Ja, Sir“, sagte der Dicke, „ich dachte, daß wir die Beute teilen, nicht wahr?“
Sir John setzte die Flasche ab und schob den Kopf vor, als habe er sich verhört. „Teilen? Sie meinen, fünfzig zu fünfzig?“
Samuel Taylor nickte stumm.
Des Alten Stimme war jetzt sehr leise und bösartig: „Wollen Sie mich betrügen, mein Guter?“
„Aber Sir, ich muß doch sehr bitten …“
„Papperlapapp!“ unterbrach ihn der Alte ruppig. „Dreiviertel der Beute für mich, ein Viertel für Sie und Bromley. Sonst läuft nichts, gar nichts. Das Viertel ist schon happig genug. Denn, daß der Bastard wieder im Lande ist, hätte ich sowieso erfahren. Wenn ich Ihnen und Bromley ein Viertel zugestehe, dann ist das schon mehr als großzügig, ein Geschenk ist das, ein Geschenk für nichts und wieder nichts!“
So wurde Samuel Taylor Burton einfach überrollt und kriegte kein Bein auf die Erde, ja, ihm wurde auch noch gesagt, daß es eine Gnade sei, wenn er und Bromley an der Beute beteiligt würden. Eine Gnade!
Der Dicke hätte den schlitzohrigen Sir John am liebsten erwürgt, aber dazu war er nicht Manns genug, und sein Kumpan Bromley konnte ihm auch nicht beistehen, denn der schnarchte bereits in dem hölzernen Lehnstuhl. Den Rest Rotwein aus seinem Humpen hatte er sich dabei in den rechten