Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
nicht alltäglichen Geschehens. Wirklich schade, daß sie so etwas so selten erlebten.
Als die Tür hinter der Burgherrin ins Schloß krachte, zuckten die beiden Ferkelkerle noch einmal zusammen. Der Alte konnte nicht mehr zucken, weil er total zerschlagen war. Aber das Zukrachen der Tür verriet ihm, daß seine bessere Hälfte die Halle nunmehr verlassen hatte. Dann knirschten irgendwo hinter ihm Schritte über Scherben, und er wälzte sich stöhnend herum.
Sein Blick fiel auf seine beiden Stammhalter, und an deren dreckigem Grinsen erkannte er, daß sie Zeugen seiner schmachvollen Züchtigung geworden waren. Das stimmte ihn keineswegs fröhlich.
Die beiden hatten sich schleunigst verdrücken wollen, ohne vom Alten bemerkt zu werden, aber das war nun leider danebengegangen. Das Knirschen der Bruchscherben hatte sie verraten. Ihr Grinsen vereiste sehr schnell.
Vater und Söhne starrten sich also an und ihren Blicken war zu entnehmen, daß sie einander keineswegs in Liebe zugetan waren, jedenfalls nicht so, wie es zwischen Vätern und Söhnen wünschenswert wäre.
So zerschlagen der Alte auch war, er konnte schon wieder brüllen, und seine Söhne erhielten den Befehl, ihm aufzuhelfen. Sie hätten jetzt noch auskneifen können, aber dazu fehlte ihnen der Mumm. Und früher oder später wäre der Alte doch über sie hergefallen. Vielleicht war es jetzt sogar besser, alles über sich ergehen zu lassen, zumal der Alte Federn hatte lassen müssen – wie die zehn gestohlenen Hühner.
Ohne viel Begeisterung latschten sie über die Scherben, griffen dem Alten unter die Achseln, hievten ihn hoch und zerrten ihn zu einem Stuhl, der noch nicht umgekippt war.
Der verdammte Wüterich ließ sich hängen wie ein ausgewrungener Putzlappen. Aber kaum saß er mit dem dicken Hintern auf dem Stuhl, kriegte der dümmliche Thomas Lionel, der nicht schnell genug reagierte, ein Ding an die Ohren gescheuert, das ihn ins Taumeln brachte. Simon Llewellyn schaffte es rechtzeitig, sich dem Zugriff des Alten zu entziehen. Er tat es mit dem Hinweis, in der Küche für das Frühstück sorgen zu wollen. Das war immerhin eine gute Ausrede, und sie wurde auch akzeptiert, weil der Alte Hunger hatte. Thomas Lionel durfte ihm dafür einen Eimer mit kaltem Wasser bringen und dem Alten kalte Kompressen auf den Kopf legen.
Zu diesem Zeitpunkt tauchten auch der dicke Burton und sein Kumpan Bromley in der Halle auf. Sie hatten die Mienen von Sargträgern, vor allem Bromley, der inzwischen von Burton erfahren hatte, wie von dem Alten „der geschäftliche Teil“ geregelt worden war. Immerhin waren diese beiden Gauner bereits übereingekommen, sich nicht mit einem Viertel der Beute zu begnügen. Irgendwie würden sie schon einen Dreh finden, sich vor der Teilung die Taschen vollzustopfen.
Als sie den Burgherrn erblickten, lockerten sich ihre verkniffenen Mienen um einige Nuancen.
Und zuckersüß sagte der dicke Burton: „Ah, Sir John, ich hoffe doch sehr, daß Sie eine gute Nacht hatten!“
Als Antwort erhielt er einen bitterbösen Blick und ein unverständliches Grunzen.
Mittags gab’s also das Frühstück, und die Trauergemeinde hatte sich nicht viel zu sagen. Die Killigrews schmatzten wie üblich und waren maulfaul, Burton hüstelte dann und wann, und Bromley brütete finster über seinem Teller. Er dachte schon wieder an Philip Hasard Killigrew. Die herrlichen Spiegeleier auf dem gebratenen Speck konnten ihn davon auch nicht abhalten.
4.
Erst gegen zwei Uhr am Nachmittag wurden unten im Hafen von Falmouth die Leinen gelöst. Zwölf wüste Kerls gehörten zur Stammbesatzung der Karavelle, die Sir John sein eigen nennen konnte. Sie war gut bestückt, denn sie diente dem alten Schnapphahn ja dazu, bei den Scillys oder in der Irischen See herumzuwildern. Er konnte ja nie den Hals voll genug kriegen, und das ausschweifende Leben, das er zwischendurch führte, verschlang ganz hübsche Sümmchen.
Armiert war die Karavelle mit je sechs Culverinen an Backbord und an Steuerbord, ferner mit demontierbaren Relingsbüchsen – zehn an der Zahl –, die überall jederzeit in die dafür vorgesehenen Halterungen auf dem Schanzkleid eingesetzt werden konnten, sowie mit je vier Dreh@assen auf dem Achterdeck und der Back.
Zur Bedienung dieser Waffen hätte Sir John gern ein paar Kerle mehr gehabt, aber da wäre dann auch mehr Sold fällig gewesen, und er war nun mal ein notorischer Geizkragen, was die Bezahlung seines Gesindes oder seiner Mannschaft betraf. So war er auch stets unterbemannt, was er aber dahin ausglich, daß er von seinen Kerlen eben mehr als üblich an persönlichem Einsatz verlangte. Sie hatten statt zwei Händen eben vier Hände zu haben – basta. Daß er seine beiden Ferkelsöhne als zusätzliche Decksleute betrachtete, versteht sich am Rande.
Dieser verwilderten Crew stand ein Bootsmann vor, O’Leary mit Namen, ein rüder Klotz von einem Kerl mit Holzhackervisage, mächtigen Fäusten und einem breiten Kreuz. Wenn Sir John nicht an Bord war, dann hatte er die Funktion eines Kapitäns. Er war ein guter Seemann und verstand auch was von der Navigation.
Hier muß noch hinzugefügt werden, daß O’Leary den beiden Ferkelsöhnen übergeordnet war, was bedeutete, daß er mit ihnen nach Belieben verfahren konnte, ohne vom Alten deswegen gerüffelt zu werden, ja, er verlangte sogar, daß O’Leary den beiden „Lümmeln“ was an die Ohren gab oder sie in den Hintern trat, wenn sie Mist bauten oder meinten, faulenzen zu dürfen.
Das hatte überhaupt nichts mit Erziehung zu tun, die mit spätestens zwanzig Jahren hätte abgeschlossen sein müssen. Nein, von solchen Überlegungen war Sir John meilenweit entfernt. Er hatte nur eine perverse Freude daran, seine Söhne zu kujonieren und zu piesacken – und was ihm bei Philip Hasard Killigrew nicht gelungen war, das ließ er an seinen beiden Ferkelsöhnen aus, ungeachtet dessen, daß diese Söhne bei einer solchen „Erziehung“ weiß Gott nichts anderes als nichtsnutzig werden konnten.
Wahrscheinlich auch wußte der Alte nichts von der Redensart in seinem Land, die da lautet: like a cornered rat – wie eine in die Enge getriebene Ratte. Denn das konnte eines Tages passieren, daß sich seine Söhne wie cornered rats fühlten und so handelten, nämlich mit dem letzten wahnsinnigen Mut der Verzweiflung den Folterknecht anzuspringen und sich in ihn zu verbeißen.
Seltsamerweise war es der dümmliche Thomas Lionel, der an diesem Tage zur Ratte wurde.
Es ließ sich alles gut an, wenn man von der schlechten Laune und der Brüllerei des Alten einmal absah.
Ein paar von den zwölf Kerlen, die allesamt so rechte Galgenstricke waren, drückten mit langen Bootshaken die Karavelle von der Pier weg, bis sie im Wind lag, der von Westen wehte. Die Fock wurde backgesetzt, bis der Bug nach Lee zu drehen begann, dann herumgeholt, während gleichzeitig auch Großsegel und Besan vorgeheißt wurden. Der Alte stand selbst am Ruder, während O’Leary, der Bootsmann, das Segelsetzen und Durchholen der Schoten überwachte.
Burton und Bromley befanden sich natürlich an Bord. Sie standen reichlich überflüssig auf dem Achterdeck herum und damit jedem im Wege. Von der Seefahrt verstanden sie soviel wie die Kuh vom Bauerntanz. Da ihnen die See dazu noch fremd war, hatten sie Beklemmungen, Schweißausbrüche und das dumpfe Gefühl, demnächst von dem nassen Element verschlungen zu werden.
Dieses Gefühl verstärkte sich, als sich die Karavelle nach Lee neigte und mit halbem Wind die Bucht von Carrick Roads durchlief und an Pendennis Point vorbei Zone Point ansteuerte, die Spitze jener Halbinsel, die gerundet werden mußte, wenn man entlang der kornischen Küste Plymouth anlaufen wollte.
Noch war bei dem Wind aus Westen die Bucht von Carrick Roads gut geschützt und der Seegang beileibe nicht aufregend. Aber der dicke Burton und sein Kumpan Bromley standen seltsam verdreht auf den Planken des Achterdecks und klammerten sich am Schanzkleid an Steuerbord fest, als befürchteten sie, im nächsten Moment auf dem mäßig schiefgeneigten Deck abwärts nach Lee zu rutschen.
Ihre Haltung sah schon reichlich komisch aus. Sie wirkte, als hätten sie die Hosen voll. Und Ihre Mienen wiesen aus, daß sie von erbärmlicher Angst erfüllt waren. Die durchzechte Nacht war auch nicht dazu angetan, ihr Wohlbefinden zu stärken.
Als Zone Point gerundet und damit die Atlantikdünung wirksam