Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
und sie opferten. Ungetrübt von den Gesetzen des Windes entleerten sie sich, über dem Schanzkleid hängend, nach Luv. Das Zeug – noch nicht verdaute Spiegeleier mit Speck und Roggenbrot – flog ihnen wieder entgegen und um die Ohren, verkleisterte ihnen die Augen, das Gesicht und die Halskrausen, und so stimmten sie unisono ein Jammergebrüll an, als befänden sie sich auf dem Wege zur Schlachtbank.
Das war so richtig was für den Alten, der die Ruderpinne einem der Kerle übergeben hatte. Er lachte sich halbtot über die beiden Gestalten am Steuerbordschanzkleid. Dann wurde ihm der Geruch zuwider, der ihn von dort anwehte, und er brüllte den Bootsmann an, dafür zu sorgen, daß die Schweinerei, mit der auch das Deck bekleckert war, beseitigt würde.
O’Leary stand auf der Kuhl, röhrte sein „Aye, aye, Sir!“ und scheuchte Thomas Lionel aufs Achterdeck, nachdem er ihn angebrüllt hatte, was er mitzunehmen hätte, nämlich eine Pütz samt Fangleine, eine Handbürste und einen Lappen.
Thomas Lionel gehorchte.
Inzwischen war gehalst worden, und die Karavelle lag nunmehr über Steuerbordbug auf Nordost-Kurs, um Dodman Point anzusteuern, die nächste Halbinselspitze auf dem Wege nach Plymouth. Der Wind aus Westen fiel raumschots ein, die Karavelle wiegte sich in der von achtern anlaufenden Atlantikdünung – für magenschwache Landratten eine sehr üble Bewegung, die beharrlich und stetig ein Schiff hochklettern und hinuntergleiten läßt. Beim Hochklettern schwenkte der Bug hoch, beim Hinuntergleiten das Heck. Mit dem Magen verhält sich das nahezu synchron. Feste Mägen vertragen das, schwache Mägen rebellieren.
Bei Burton und Bromley rebellierten sie also weiterhin.
Sie hatten inzwischen begriffen, daß es unzweckmäßig war, gegen den Wind zu opfern. So lehnten sie jetzt achtern am Schanzkleid, den Rücken fast zum Wind, und versauten die Planken. Sie hatten noch allerlei in ihren Mägen.
Der Alte, achtern drüben am Backbordschanzkleid, sah genüßlich und grinsend zu, als sein Sohn Thomas Lionel, bewaffnet mit Pütz, Handbürste und Lappen, den Niedergang hochenterte, auf dem Achterdeck jedoch stehenblieb und zögerte.
O’Leary tauchte hinter ihm auf, verpaßte ihm spornstreichs einen Tritt in den Hintern und beförderte ihn auf diese Weise in Richtung des verunreinigten Decks, also dorthin, wo es nicht sehr appetitlich aussah.
Thomas Lionel sauste bäuchling über die Ferkelei auf den Planken und nahm insofern bereits mit seinen Klamotten eine Art Vorreinigung vor. Seine Rutschfahrt endete kurz vor den beiden Gentlemen, denen so speiübel war. So passierte es, daß er deren Magenkram auch noch ins Genick kriegte, sozusagen frisch, denn die beiden Gentlemen scherte es nicht, wer da zu ihren Füßen lag. Er hätte ja woanders hinrutschen können.
Als Thomas Lionel noch ein Bübchen gewesen war, da hatte sich sein älterer Bruder Malcolm oft daran verlustiert, ihm kaltes Wasser hinten in den Kragen zu gießen oder bei Frost auch mal Eisstückchen dort hineinzustopfen. Wenn dann der kleine Thomas Lionel wie am Spieß gebrüllt hatte, war Malcolm ganz weg gewesen vor lauter Lust an diesem Spaß.
Seit jenen Jahren reagierte Thomas Lionel nahezu hysterisch, wenn ihm irgend etwas hinten ins Genick geriet, es brauchte gar nicht einmal kalt zu sein.
Einmal war ihm unter Deck, als er mit seinem Alten und Simon Llewellyn an der Back gesessen hatte, eine Kakerlake hinten in den Kragen gefallen. Die war ihm noch dazu den nackten Rücken hinuntergekrabbelt. Da hatte er sich gebärdet wie ein Tobsüchtiger, einen Veitstanz hatte er aufgeführt, Geschirr zerschlagen und die Kammer demoliert. Erst ein Kinnhaken des Alten hatte ihn außer Gefecht setzen können.
Da war nun dieses Mal etwas anderes im Genick des Thomas Lionel gelandet, etwas nicht sehr Schönes, denn es roch mächtig übel. Für etliche Sekunden lag der Ferkelsohn starr und stumm platt auf den Planken, stierte das Holz an und das, was sich dort schon angesammelt hatte. Gleichzeitig spürte er jenes andere bereits im Genick, und er wagte kaum, sich zu rühren, damit es nicht tiefer rutschte.
Schritte waren hinter ihm, gleich darauf klatschte ein Tauende auf seinen Hintern, und die Stimme O’Learys dröhnte in seine Ohren.
„Willst du da pennen, du Sack?“ brüllte der Bootsmann. „Hoch mit dir, verdammt noch mal! Hier wird nicht gefaulenzt!“ Und wieder kriegte er das Tau zu kosten, schon härter als zuvor.
Das genau war der Moment, der jene Situation heraufbeschwor, in der Thomas Lionel, der plumpe, dumme Kerl, zu einer in die Enge getriebenen Ratte wurde.
Er schoß mit einem schrillen, quiekenden Schrei von den Planken hoch, als sei er von dort abkatapultiert worden. Dann passierte etwas, was für O’Leary viel zu schnell ging, um noch reagieren zu können. Er hatte auch mit gar keiner Gegenwehr gerechnet.
Thomas Lionel kreiselte herum, schwang dabei die Pütz mit der Fangleine aus, die Leine prallte seitlich an das Kinn des Bootsmanns und hatte genug Drall drauf, um sich samt Pütz um dessen Hals zu wikkeln.
Dieses Mal brüllte Thomas Lionel wie ein wilder Stier, dann packte er blitzschnell mit der anderen Hand zu und riß die Fangleine mit einem wahnsinnigen Ruck zu sich heran, sprang aber gleichzeitig zurück.
Der Ruck genügte, um den Klotz von Bootsmann umzuwerfen. Mit der schweren Masse seines Körpers krachte er vierkant auf die Planken und begrub die Pütz unter sich. Die Fangleine lag wie eine Würgemanschette um seinen Hals.
Thomas Lionel geriet außer sich vor Triumph, den Kerl umgelegt zu haben. Mit einem Satz sprang er auf den Rücken des Bootsmanns und trampelte wie ein Irrer auf ihm herum, als wolle er ihn durch das Deck stampfen.
Der dicke Burton und der hagere, krummrückige Bromley flüchteten schreiend vor den Ruderstand. Die anderen Kerls an Bord standen wie erstarrt. Das hatte noch keiner geschafft, den Bootsmann O’Leary von den Füßen zu holen.
Simon Llewellyn wieherte über den Spaß wie ein liebeshungriger Hengst, und dann nahm er die seltene Gelegenheit wahr, sich ebenfalls an dem Bootsmann für die bisher empfangenen Prügel, Fußtritte und Beschimpfungen zu rächen. Er tobte aufs Achterdeck, stieß seinen Bruder weg und bearbeitete den Bootsmann mit Fußtritten.
Thomas Lionels Tätigkeitsdrang war noch längst nicht erloschen. Grölend packte er den Haarschopf des Bootsmanns und donnerte dessen Kopf auf die Planken.
„Aufhören!“ brüllte der Alte, hochrot im Gesicht vor Wut. „Seid ihr verrückt geworden?“
Seine Söhne waren taub. Wer Rache nimmt, hört nichts mehr. Sie warfen sich über den Bootsmann und prügelten mit den Fäusten auf ihn ein. Sie rissen ihm Haare aus, kniffen und zwackten ihn, und wenn sie Wölfe gewesen wären, hätten sie ihn auch aufgefressen. Kurz, sie tobten wie die Wilden auf ihm herum.
Der Alte beging den Fehler, seine tobsüchtig gewordenen Söhne in der alten Manier bändigen zu wollen, das heißt, zu versuchen, ihnen Maulschellen zu verpassen. Das mißlang gründlich.
Entweder waren sie allmählich immun geworden, oder sie empfanden zur Zeit nichts mehr, weil sie außer sich vor Lust waren, es dem gefürchteten und gehaßten Bootsmann endlich einmal heimzahlen zu können – letzteres traf wohl zu. Das heißt, die Bestien waren los und total entfesselt.
Der Alte wurde von einem wilden Schwinger Simon Llewellyns erwischt und geriet gleichzeitig mit dem Kinn unter den hochruckenden Kopf Thomas Lionels. Dem machte das überhaupt nichts aus, weil er sowieso nur Stroh im Kopf hatte. Aber das Kinn des Alten war empfindlich, ganz abgesehen von dem Schwinger, der auf sein rechtes Ohr krachte.
Die Nacht war für Sir John schon mies genug gewesen, die Prügel von Lady Anne gegen Mittag hatte er auch noch nicht verdaut, also nippelte er ab wie eine verlöschende Kerze. Er rollte – dieses Mal jenseits von Gut und Böse – über die Planken nach Lee, und da war zum Glück das Steuerbordschanzkleid, das ihn davor bewahrte, außenbords ein kühlendes Bad zu nehmen.
Genau das wäre der Moment für seine beiden Ferkelsöhne gewesen, das Kommando über die Karavelle an sich zu reißen – nicht nur über die Karavelle, sondern im weiteren Sinne auch über die Feste Arwenack. Eine bessere Gelegenheit würden sie aller Wahrscheinlichkeit nie mehr erhalten – der Alte total aus