Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
Burton und Bromley schon wieder die Hosen flatterten.
Burton, der ehemalige Friedensrichter, war nie ein Draufgänger gewesen. Der Ex-Hauptmann Bromley mochte vielleicht früher etwas Kampfgeist gehabt haben, aber nur in der Deckung einer überlegenen, schlagkräftigen Truppe. Im Kerker allerdings hatten sich seine wenigen soldatischen Tugenden sehr schnell verflüchtigt. Er war nicht an sich selbst gewachsen und hart geworden, sondern hatte sich zum Jammerlappen entwickelt. Allerdings hielt ihn sein Haß auf Philip Hasard Killigrew aufrecht – was bei ihm so aufrecht hieß mit seiner krummen Haltung.
Während der Alte herumtönte, was sie doch für einen feinen Spaß gehabt hätten und wie prächtig er es dem Bastard gegeben hätte, erschien noch eine Figur auf dem Achterdeck – Simon Llewellyn.
Seine verfettete Brust war so breit wie ein Rahsegel geworden, sein Grinsen dumm, dreist und aufgeblasen. Da war ihm wohl nach dem gelungenen Schuß der Kamm geschwollen. Er stelzte auch heran wie ein Gockel, der gerade zum erstenmal „Kikeriki“ geschrien hat.
„Was willst du denn hier?“ fuhr ihn der Alte an.
„Ich habe ihn hingemacht!“ erklärte Simon Llewellyn patzig. Er klopfte sich an die Brust. „Ich ganz allein. Ich bin der beste Kanonier von ganz Cornwall. Ich bin der Größte, jawohl. Und jetzt will ich einen Whisky!“
Der Alte schnappte nach Luf. Dann explodierte er.
„Was bist du? Der Größte?“ brüllte er. „Ein Arschloch bist du, ein Eselsfurz, nichts weiter! Pack dich auf die Kuhl, du Rotznase von einem Lümmel! Die Geschütze müssen gereinigt werden, verstanden?“
„Ich bin …“
Man erfuhr nicht mehr, was der Ferkelsohn Simon Llewellyn war. Der Alte wurde wieder mal gewalttätig, wie das so seine Art war, und in seiner Faust steckten immer noch Saft und Kraft. So segelte der beste Kanonier von ganz Cornwall zurück auf die Kuhl, und er hatte dabei noch das Glück, sich nicht das Genick zu brechen. Er überschlug sich nur ein paar Male, als er den Niedergang hinunterflog. Es bumste auch ordentlich.
Auf der Kuhl beschäftigte sich dann der Bootsmann weiter mit ihm, und zwar in etwa dergestalt, daß er mit ihm die Planken aufwischte. Und weil Ferkelbruder Thomas Lionel tückische Augen kriegte und eine Schweineschnute zog, empfing er auch gleich seine Bimse. Der Klotz von Bootsmann war da nicht weiter zimperlich. Außerdem war er es gewohnt, wenn schon, dann beiden die Jacke durchzuklopfen. Da war er ein entschiedener Anhänger der ausgleichenden Gerechtigkeit, von seiner Gründlichkeit ganz abgesehen.
Der Alte stand oben an der Balustrade des Achterdecks und spornte seinen Bootsmann mächtig an, obwohl das gar nicht nötig war, denn O’Leary war ein fleißiger Klopfer.
So verlief alles in seinem gewohnten Gang. Verwunderlich war nur, daß diese beiden Killigrew-Pflanzen bei all den ruppigen Behandlungen im Laufe der Jahre noch nicht eingegangen waren. Aber da bewahrheitete sich wohl der Spruch von dem Unkraut, das nicht vergeht. Sie waren sozusagen ein prächtiges Unkraut.
6.
Rame Head, etwa zwei Stunden nach Mitternacht.
Die verdammte Wache von Mitternacht bis vier Uhr morgens nannten die Seewölfe manchmal „Friedhofswache“. Zu diesem Zeitpunkt wurde sie auf der „Pride of Galway“ von Batuti, dem schwarzen Riesen aus dem fernen Afrika, und Matt Davies, dem Hakenmann, gegangen. Beide Wachgänger hatten auch ein Auge auf die Sambuke, die zusammen mit der Galeone den Eingang zur Werft von Hesekiel Ramsgate versperrte.
Rame Head, die südlichste Spitze einer Halbinsel, die im Westen von der Whitsand Bay und im Osten vom Plymouth Sound begrenzt wurde, war im Grunde ein recht verrückter Platz, um dort eine Werft zu errichten. Verrückt deswegen, weil Plymouth etwa acht Meilen entfernt war, noch dazu getrennt von der Halbinsel durch die Mündungen des Lynher River, des Tamar River und des Tavy River, die alle drei ein fjordähnliches Mündungsgebiet in den Plymouth Sound gebildet hatten. Ferner war Rame selbst, das nächste Kaff von der Werft, auch eine Meile entfernt, und zum dritten konnte man in der Werft selbst das Zittern kriegen, wenn der Atlantik schlechte Laune hatte und von Süden heranstürmte. Das passierte nämlich zu bestimmten Zeiten, die mit dem Mondwechsel etwas zu tun hatten, wie die Leute an dieser Küste wußten.
Bei einer solchen Stoßrichtung der herandonnernden Wassermassen war Rame Head in Not.
Hesekiel Ramsgate andererseits war ein sturer Büffel. Aus lauter Trotz hatte er an diesem idiotischen Platz seine Werft errichtet. Einmal hatte er Hasard anvertraut, daß er die unmittelbare Nähe, der See brauche – mit allem, was eine See bedeuten kann, nämlich das Sanfte und die Wildheit, und das in allen Abstufungen.
Hasard hatte das verstanden. Ihm erging es ja ähnlich. Darum mochten sich die beiden auch. Aber daß sie beide der See verfallen waren, würden sie einander nie eingestehen.
Für das Geschäft des Schiffbaus war dieser Platz in einer Bucht von Rame Head so förderlich wie Ofenruß für die Reinlichkeit, nämlich überhaupt nicht.
Das focht den zähen Alten, einen Künstler seines Fachs, keineswegs an. Entweder hatte er einen Auftrag, oder er hatte keinen. Letzteres war die Regel. Dabei baute er Schiffe, die ein Sturm dreimal zerschlagen mußte – wahrscheinlich noch öfter –, bevor sie sich beugten. Diese Schiffe waren eben genauso zäh wie der Alte. Das hatte die „Isabella VIII.“ zur Genüge bewiesen, und die hatte noch nicht einmal die See umgebracht, sondern die raffinierte Tücke eines Ali Abdel Rasul.
Also, Batuti und Matt Davies gingen ihre Friedhofswache und hatten allen Grund, sie auch so zu nennen. Der Nebel trug dazu bei. Manchmal war er so dicht, daß sie sich nicht einmal sahen, wenn sie zwei Schritte voneinander entfernt waren. Ein verrückter Zustand. Das Wort „Wache“ war da kaum noch angebracht. Man sah ja nichts. Nur lauschen, das konnte man. Und wenn man dann etwas hörte, wußte man nicht, aus welcher Richtung der Laut das Ohr erreicht hatte. Der Nebel verzerrte alles.
Batuti war vor etwa einer Stunde bei einem Kontrollgang auf die Back plötzlich von dichtem Nebel umgeben gewesen. Dummerweise hatte er sich nach rechts gedreht, um nach der Nagelbank des Fockmastes zu greifen, weil ein fester Halt in einer solchen Suppe irgendwie Sicherheit bedeutete. Aber er hatte daneben gegriffen. Er mußte sich wohl verschätzt haben.
Dann war er einen Schritt vorgegangen und hatte mit langen Armen herumgetastet – wie ein Blinder, ja, er war zu diesem Zeitpunkt tatsächlich blind. Die Nagelbank fand er nicht. Da, wo sie sein sollte, war sie nicht. Oder war sie gar nicht rechts gewesen, als der Nebel plötzlich dick wurde?
Batuti wurde unsicher. In diesem Moment begriff er sehr deutlich, daß man im Nebel völlig orientierungslos werden kann. Der einzige feste Punkt, den er noch hatte, waren die Planken unter seinen Füßen. Aber links und rechts, vor, hinter und über ihm war nichts, nur Watte.
Nebel war für Batuti etwas Unheimliches. Er biß die Zähne zusammen und unterdrückte den Wunsch, nach Matt zu rufen. Er war auf der Kuhl geblieben, als sich Batuti auf die Back begeben hatte. Aber wo war jetzt die Kuhl?
Batuti tastete sich weiter mit weit vorgestreckten Armen. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Irgendwo mußte er ja schließlich gegenstoßen. Oder etwa nicht?
Dann spürte er, daß sein linker Fuß plötzlich im Leeren schwebte. Hastig zog er ihn zurück. Was war das denn jetzt? Er bückte sich und tastete mit den Händen die Planken vor seinen Füßen ab. Da war eine Kante und dann nichts mehr.
Batuti ächzte.
Das war der Augenblick, in dem der Nebel plötzlich aufriß.
„Was ist denn mit dir los?“ fragte Matt und schaute grinsend zu Batuti hoch.
Der schwarze Riese richtete sich auf und starrte zu dem Hakenmann hinunter. Der stand auf der Kuhl, direkt am Niedergang zur Back hoch.
„Ich – ich hab mich verirrt“, sagte Batuti gepreßt. „Ich dachte, ich wäre vorn an der Galion.“
„Ja, mit dem Denken ist das so eine Sache“, meinte Matt. „Vor allem