Seewölfe Paket 15. Roy Palmer

Seewölfe Paket 15 - Roy Palmer


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Lionel nämlich verließ seinen Standort auf dem Rücken des Bootsmanns und stolperte zum Steuerbordschanzkleid, um seinen Alten weiter in die Mangel zu nehmen.

      Da war also plötzlich einer weniger auf dem Rücken des Bootsmanns, der gerade in diesem Augenblick mit dem Ersticken kämpfte und sich in einem letzten Reflex aufbäumte. Das geschah so jäh, daß Simon Llewellyn von seinem Rücken geschleudert wurde. Fast automatisch griff O’Leary nach der Fangleine um seinen Hals und löste sich aus der Erdrosselung. Die Pütz flog sonstwohin.

      Mit einem mächtigen Atemzug holte der Bootsmann Luft in seine Lungen, mit dem nächsten Atemzug war er auf den Beinen, wirbelte herum, griff sich Simon Llewellyn, der sich noch nicht aufgerappelt hatte, und damit war die Schlacht auf dem Achterdeck der Karavelle auch schon entschieden.

      Simon Llewellyn sank mit glaisgen Augen nach einer Explosion an seinem Kinn auf die Planken, und Thomas Lionel landete Sekunden später neben ihm, gleichfalls im Zustand totaler Passivität. Da war nichts mehr drin. Die alte Ordnung war wiederhergestellt, alles blieb so, wie es gewesen war.

      Der Zorn des Alten, als er ins Bewußtsein zurückkehrte, war fürchterlich. Seine beiden Söhne, die ein einziges Mal über ihn triumphiert hatten, fanden sich in der Vorpiek wieder, gefesselt an Händen und Füßen, grün und blau geschlagen.

      Aber irgendwann würden sie wieder den Zustand von „cornered rats“ erreicht haben und die Bestie in sich loslassen. Ob der Alte das überleben würde, war jetzt schon fraglich.

      Es ging auf eine Stunde vor Mitternacht zu, als die Karavelle Rame Head passierte, dann Penlee Point rundete und mit nunmehr halbem Wind in die Cawsand Bay steuerte. Das Feuer von Breakwater, dem schmalen langen Wellenbrecher im Plymouth Sound, blieb an Steuerbord.

      Der Wind aus Westen wehte nicht mehr so stark, eher mäßig. Und die Sicht war alles andere als klar. Nebelschwaden hatten sich gebildet und waberten über dem Wasser. Ab und zu rissen sie auf und gaben die Sicht frei.

      Wären der dicke Burton und sein hagerer Kumpan beim Passieren von Rame Head in den Großmars geentert, dann hätten sie an dem Kai zur Werft des Hesekiel Ramsgate die Zweimast-Sambuke und die irische Galeone gesehen.

      Aber keine hundert Pferde hätten sie auf den Mars gebracht – Gott bewahre! Und das auch noch bei Dunkelheit! Und dann in ihrem leidenden Zustand! Ihre Mägen waren zwar so leer wie die Geldkatze eines bankrotten Kaufmanns, aber ihnen war nach wie vor hundsmiserabel zumute. Das Würgen hatten sie immer noch in den Kehlen. Sie fühlten sich schlapp und wie ausgewrungen.

      Die Karavelle war gefechtsklar.

      Natürlich brauchte Sir John jetzt jede Hand. Und darum hatte er auch seine Ferkelsöhne aus der Vorpiek holen lassen. Ihr einmalig aufgeflammter Widerstand war gebrochen. Sie standen ziemlich lahm und krumm auf der Kuhl, Thomas Lionel an einer Backbord-Culverine, Simon Llewellyn an einer auf der Steuerbordseite. O’Leary, der Bootsmann, belauerte sie mit einem Auge. Er traute dem Frieden noch nicht, obwohl er diese beiden Killigrews verachtete und für miese Schlappschwänze hielt. Beim geringsten Aufmucken würde er ihnen den Marsch blasen, handfest mit den Fäusten, versteht sich.

      Wie ein Geisterschiff glitt die Karavelle durch die Nebelfetzen. Graue Schwaden in den bizarrsten Formen tanzten wie Gespenster über die Decks, mal da, mal dort. Schemenhaft flatterten sie vorbei, lautlos, kalt und feucht. Nässe schlug sich überall nieder.

      Natürlich waren alle Lichter gelöscht. Nur in den Kohlebecken brannte die Glut zum Zünden der Lunten – dunkelrote Höllenaugen längs der beiden Schanzkleider.

      Sie lauschten und spähten alle in die diesig-neblige Nacht. Andere Schiffe waren noch nicht gesehen worden, und darauf spekulierte Sir John auch. Er wollte unbemerkt bleiben. In einer Nacht wie dieser hatte er dafür auch die besten Voraussetzungen. Was ihm allerdings passieren konnte, das war das mögliche Pech, einen Ankerlieger zu rammen.

      Das war eben das Unwägbare. Auf der weiten See konnte es ein Kapitän riskieren, in Fahrt zu bleiben. Das mußte schon mit dem Teufel zugehen, in der Weite des Atlantik ein anderes Schiff im Nebel über den Haufen zu rennen.

      Eins war sicher: bei dieser verhangenen Sicht lief kein Kapitän mit seinem Schiff aus Plymouth aus. Von daher war also nichts zu befürchten. Aber Schiffe, die den Hafen von Plymouth anlaufen wollten und in den Nebel geraten waren, die würden vor Anker gegangen sein, um bessere Sicht abzuwarten. Und mit diesen Schiffen mußte Sie John rechnen, ganz abgesehen von diesen oder jenen Seglern, die vor dem Hafen aus irgendwelchen Gründen auf Reede lagen.

      Es war also keineswegs ungefährlich, sich bei diesen Sichtverhältnissen in den Hafen zu wagen. Allerdings war der alte Schnapphahn kaltschnäuzig genug, es eben doch zu riskieren. Er gehörte ja auch zu der rauhbeinigen Sorte. Wenn er zu seinen Raubfahrten auslief, mußte er ganz andere Risiken auf sich nehmen. Vom Nebel hatte sich der Alte noch nie ins Bockshorn jagen lassen. Die Witterungsverhältnisse an den Küsten von Cornwall waren ihm viel zu vertraut. Der Nebel gehörte dazu.

      Der Alte war oft in Plymouth gewesen. Er kannte sich mit den Gegebenheiten aus und war sich selbst der beste Lotse. In etwa einer halben Stunde mußte Steuerbord voraus die Felseninsel St. Nicholas gesichtet werden – wenn der Nebel nicht noch dicker wurde. Dann allerdings würde auch Sir John gezwungen sein, den Anker zu werfen und darauf zu warten, daß die Sicht besser wurde.

      Die St.-Nicholas-Insel, von der man sich an der kornischen Küste erzählte, daß sie in Drake-Insel umgetauft werden sollte, zu Ehren des Admirals, lag direkt vor der Mill Bay, etwa eine Meile von ihr getrennt. Und auf der Ostseite der Mill Bay, so hatten Burton und Bromley jedenfalls behauptet und darüber auch eine Zeichnung angefertigt, sollten an der Pier die „Pride of Galway“ und der fremdländische Zweimaster vertäut sein.

      Bei dem Wind aus Westen war das alles sehr günstig. Sir John würde sich an dem Fort Eastern King, vorbeimogeln, in die Mill Bay vorstoßen, dicht an der Ost-Pier vorbeisegeln und die volle Steuerbordbreitseite in die irische Galeone feuern. Vor der Mill Bay Road würde er anluven, durch den Wind gehen und auf Gegenkurs nun die Backbordbreitseite zum Einsatz bringen.

      Bei einer Distanz von etwa fünfzig Yards mußte jede Kugel voll treffen. Da konnte selbst ein schielender Schwachsinniger nicht danebenballern. Wenn doch, würde er dem Kerl etwas zu kosten geben, nämlich die Neunschwänzige. Schließlich ging es nicht an, daß Sir Johns Pulver und Kugeln sinnlos vergeudet wurden, nur um schöne Fontänen aus dem Wasser zu zaubern. Das Schießzeug war eh teuer genug, damit konnte man nicht herumaasen.

      O’Leary erschien auf dem Achterdeck und näherte sich dem Alten, der beim Rudergänger stand.

      „Sir“, sagte er, „gestatten Sie, daß ein Mann als Ausguck am Bug geht? Wir finden dann die Einfahrt in die Mill Bay leichter.“

      Der Alte winkte ab. „Nicht nötig, O’Leary. Die finde ich im Schlaf.“

      „Ich meine nur wegen des Nebels, Sir. Der wird dicker.“

      Da hatte der Bootsmann allerdings recht. Sir John spähte voraus. Da war im Moment noch nicht einmal der Bug der Karavelle zu sehen, sondern nur eine grau-weiße Wand, die Sekunden später auch den Großmast erreichte und im Nu einhüllte, als würde er in Watte verpackt. Kurz darauf legten sich die milchigen Schleier auch über das Achterdeck.

      Sir John fluchte verbittert. Das hatte ihm gerade noch gefehlt!

      „Raus mit dem Anker!“ knurrte er seinen Bootsmann an. „Fiert weg die Segel! Beeilung, sonst brummen wir auf die verdammte St.-Nicholas-Insel!“

      „Aye, aye, Sir.“ Der Bootsmann verschwand wie ein Geist in der Nebelsuppe.

      „Anluven!“ blaffte der Alte dem Rudergänger zu.

      Der wiederholte den Befehl und @egte Ruder. Jetzt war nur zu ahnen, wie der Bug der Karavelle in den Wind schwenkte. Undeutliche Stimmen drangen durch die Watte. Tauwerk knarrte, irgendwo quietschte ein verdammter Block. Dann klatschte etwas ins Wasser – der Buganker. Wenn er nicht faßte, würden Wind und die Versetzung durch den Strom, der ostwärts driftete, die Karavelle drüben zwischen der Batten Bay und Stadden Point an Land setzen, oder sie würden sich dort irgendwo


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