Seewölfe Paket 15. Roy Palmer

Seewölfe Paket 15 - Roy Palmer


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des Sir John ein Langfinger gewesen war, der zehn Hühner aus dem Federvolk Lady Annes gemaust hatte, die dann als Bratvögel auf der gestrigen Abendtafel des Burgherrn gelandet waren.

      Die Mamsell meldete ihrer Herrin den Vorfall, und da war das Maß voll. Lady Anne hatte sich vieles von ihren Mannskerlen bieten lassen, aber wenn man jetzt auch noch hinging und ihr die eigenen Hühner klaute – nur um der eigenen Freßsucht zu frönen –, dann war das Mundraub und im übrigen eine Unverschämtheit, die sie sich nicht gefallen ließ.

      Lady Anne war noch so resolut und voller Energien wie eh und je. Bewaffnet mit ihrem Krückstock aus harter Eiche, der unten in einer Zwinge mündete, marschierte sie hinüber in den Wirtschaftstrakt Sir Johns. Dort befand sich auch die Küche, in der die Fressereien für Sir Johns Gelage zubereitet wurden.

      Anwesend dort zu diesem Zeitpunkt waren der Küchenchef, ein schmutziger Kerl namens Baxter, ein Gehilfe von ihm namens Haig sowie zwei Küchenmädchen, die alle vier zusammenzuckten, als Lady Anne in der Küche erschien – stämmig, mit drohender Miene und funkelnden blauen Augen, die sich jetzt auf Baxter richteten.

      Der grinste frech, aber das Grinsen verging ihm, als Lady Anne auf ihn zurückte, den Krückstock wie einen schweren Säbel in der Faust.

      „Baxter!“ fauchte Lady Anne. „Wer hat veranlaßt, daß zehn meiner Hühner geklaut wurden? Heraus mit der Sprache!“

      „Ich – ich weiß nicht, von was Sie sprechen …“

      Weiter gelangte Baxter nicht, denn der Krückstock trat in Aktion, und Lady Anne wußte ihn bestens zu handhaben. Die beiden Küchenmädchen flohen kreischend aus der Küche, und als sich Haig, der Gehilfe Baxters, ebenfalls verziehen wollte, nahm Lady Anne einen Zielwechsel vor und ließ den Krückstock auf dem Buckel Haigs herumtanzen.

      Lady Anne wußte sehr genau, wer geräubert hatte, nämlich Haig, der von einem Knöchelbruch her einen nach innen gedrehten linken Fuß hatte, und genau dieses Merkmal hatte sie bei den Fußspuren in ihrem Hühnerhof entdeckt. Nur hatte Haig nicht aufgrund eigener Initiative die Hühner entwendet, sondern das war ihm befohlen worden.

      Baxter und Haig schrien um die Wette, während sie grün und blau geschlagen wurden, Haig schwor tausend Eide, daß er das nie wieder tun würde, und Baxter rückte endlich damit heraus, daß Sir John angeordnet habe, die Hühner zu stehlen.

      Da tobte Lady Anne erst richtig los. Binnen kurzer Zeit verwandelte sie die Küche Sir Johns in ein Schlachtfeld und stülpte zum Abschluß Baxter den Abfallkübel mit den gerupften Federn, den abgehackten Köpfen und Beinen über den Schädel. Und Haig empfing zur Abrundung der Prügel einen schmetternden Schlag mit der Bratpfanne auf den Kopf. Er ging zu Boden, als sei er mit einer Axt gefällt worden.

      Aber Lady Annes Feldzug war noch nicht beendet, denn auch der Urheber dieses Bubenstücks hatte sein Fett zu kriegen. Aus Erfahrung wußte Lady Anne, wo ihre schlechtere Ehehälfte zu finden war – natürlich in der Wohnhalle wie immer nach Zechgelagen.

      Lady Annes Wut loderte auf wie eine Flamme, in die der Wind stößt, als sie die Halle betrat, die zwar Halle genannt wurde, aber nichts anderes war als ein Schweinestall.

      Das war ja wohl nicht mehr zu fassen!

      Lady Anne fluchte wie der letzte Fuhrknecht, und als einer der Köter sie anknurrte, empfing er mit dem Krückstock was aufs Maul, daß er aufjaulend und mit eingezogenem Schwanz flüchtete. Die beiden anderen Bestien zogen es vor, sofort zu verschwinden. Vor Sir Johns Hunden hatte Lady Anne noch nie Angst gehabt.

      Als der Köter aufjaulte, war Sir John aus seinem Suffschlaf aufgewacht, aber er hatte keine Gelegenheit mehr, irgendwie zu reagieren.

      Lady Anne war bereits hinter den Lehnstuhl geglitten. Sie bückte sich, packte links und rechts die beiden hinteren Stuhlbeine, ruckte sie hoch und kippte den Lehnstuhl vornüber.

      Sir John merkte nur, daß er plötzlich abgelüftet wurde, und schon saß er nicht mehr, sondern segelte durch die Luft und klatschte vor dem Kamin auf den Steinboden. Er prellte sich Nase und Kinn und brüllte los.

      Sekunden später tanzte der Krückstock über seinen Rücken, über Genick und Schultern, daß ihm Hören und Sehen vergingen. Lady Anne klopfte den Erzeuger ihrer Ferkelsöhne windelweich. Auch und gerade den dicken Hintern ihres Gemahls sparte sie nicht aus, und sie klopfte so lange, bis keine Staubwolken mehr aus dem Hosenboden aufstiegen.

      Aufatmend hielt sie inne und wartete, bis sich Sir John stöhnend und ächzend umgedreht hatte. Als er sein zorniges Weib entdeckte, wollte er hoch, empfing aber mit dem Krückstock einen rabiaten Stoß vor die Brust, der ihm die Luft nahm und ihn wieder zurücksacken ließ.

      „John Killigrew!“ donnerte Lady Anne. „Es ist das letzte Mal gewesen, daß du mich bestohlen hast! Das letzte Mal! Wird noch ein Stück aus meinem Besitz entwendet – und sei es ein Buchenscheit –, dann lade ich eine Muskete mit gehacktem Blei und schieß dich über den Haufen. Das gilt auch für deine verdammten Söhne! Ich habe es satt, mir das noch länger gefallen zu lassen. Hast du mich verstanden, du Mistkerl?“

      Sir John schielte mit tückischen Augen zu der Feuerzange, die leider nicht ganz in seiner Reichweite lag.

      Lady Anne sah das sehr genau.

      „Nur zu!“ höhnte sie. „Hol dir die Feuerzange, Killigrew. Oder bist du zu feige?“

      „Ich – ich dreh dir den Hals um, du alte Ziege …“

      Lady Anne explodierte, und wieder hagelte es Hiebe mit dem Krückstock. Ja, sie war ein verdammt harter Brocken, diese Lady Anne, und jetzt zahlte sie dem Alten alles zurück, was er ihr in den letzten Jahren angetan hatte. Das war alles in Lady Anne angestaut gewesen, und jetzt brach es sich Bahn wie eine Naturkatastrophe.

      Gleich der erste Hieb prallte Sir John an den Hals, nahm ihm die Luft zu weiteren Beschimpfungen und legte ihn im Sitzen um. Lady Anne kannte kein Erbarmen, zu häufig war sie von diesem Ungetüm entwürdigt, beleidigt, betrogen und sogar bestohlen worden. Nur ihr Stolz hatte es ihr verboten, die Feste Arwenack zu verlassen.

      Ja, heute war Zahltag, und stellvertretend für die Schlampen, die Saufkumpane und die eigenen Söhne empfing Sir John die Prügel, und Lady Anne ließ ihm keine Chance, um den Spieß umzudrehen.

      Als sie das Feld räumte, hatte Sir John die Dresche seines Lebens bezogen, und da war wohl keine Stelle an seinem Körper, die Lady Anne verschont hatte.

      Nun waren Thomas Lionel und Simon Llewellyn vor einem Viertelstündchen etwa ebenfalls in die Gegenwart zurückgekehrt, der eine im Rübenkeller, der andere in der Kiste. Sie hatten sich ins Wachsein zurückgequält und litten an allerlei Störungen, wie sie nicht ausbleiben, wenn der Geist des Alkohols zuschlägt. Beide hatten etwa das Gefühl, mit den Köpfen zwischen zwei Mühlsteinen eingeklemmt worden zu sein.

      Sie trafen sich am Kellerniedergang, und da keiner den anderen zunächst erkannte – da unten herrschte ein schummriges Halbdunkel –, fuhr ihnen der Schreck in die Glieder und ließ sie noch mehr wanken. Vermutlich meinte jeder vom anderen, einem Geist begegnet zu sein oder vielleicht sogar dem Gehörnten. Als sie voreinander Reißaus nehmen wollten, ertönte oben in der Halle die donnernde Stimme, die unschwer als die ihrer resoluten Mutter zu identifizieren war. Da zuckten sie wieder zusammen.

      Und sie lauschten. Als in der Standpauke auch von ihnen die Rede war, setzten sie sich in Bewegung, um die Steintreppe hochzuschleichen. Erst da erkannten sie einander. Sie grinsten sich gequält an, zwei derangierte Kerle mit vom Suff verquollenen Visagen. Man hätte sie nie als gut aussehend bezeichnen können, aber jetzt ähnelten sie Ferkeln mehr denn je.

      Wie Spitzbuben schoben sie sich längs der Seitenmauern die Stufen hoch und spähten oben aus dem Halbdunkel des Niedergangs in die Halle, wo ihr Alter verdroschen wurde.

      Natürlich waren sie weit davon entfernt, sich einzumischen oder etwa ihrem Alten beizustehen. Erstens hätten sie selbst Senge bezogen, zweitens kannten sie den Zorn ihrer Mutter, und drittens labten sie sich an der Schadenfreude. Es war zu schön, zusehen zu dürfen, wie dem Alten das Fell gegerbt wurde. Zu gern hätten sie


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