Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
„Pfoten weg!“ knurrte Sir John.
„Ah, Sie sind es, Sir, Verzeihung …“ Der dicke Burton war es. Er schnaufte erregt und roch sauer. „Ist – ist was passiert, Sir?“
Sir John stöhnte. Was für eine dämliche Frage!
„Ja, es ist was passiert!“ fauchte er.
„Oh! Was denn?“
„Nichts!“ brüllte Sir John. „Wir sind nur ein bißchen eingenebelt, Sie Holzkopf!“
Plötzlich ruckte die Karavelle, und der dicke Burton fiel dem Alten um den Hals.
„Hilfe!“ röchelte er. „Ich – ich ertrinke …“
„Quatsch! Der Anker ist eingeruckt!“ Der Alte stieß den Dicken von sich. „Mann, bleiben Sie mir bloß vom Leib! Sie stinken wie eine vergammelte Wildsau!“
Der Bootsmann tauchte auf.
„Anker hat gefaßt, Sir“, meldete er.
Sir John nickte. Dann sagte er barsch: „Bringen Sie Mister Burton unter Deck, O’Leary. Den anderen auch, falls Sie ihn finden.“
„Ich will aber nicht unter Deck!“ jammerte der Dicke. „Mir ist so schlecht …“
O’Leary packte ihn einfach am Genick und schob mit ihm ab.
Sir John tastete sich hinüber zum Backbordschanzkleid und lehnte sich dagegen.
„Saunebel“, murmelte er.
5.
Etwa zwei Stunden nach Mitternacht riß der Nebel wieder auf, und die Sicht wurde klarer, abgesehen von den Schwaden da und dort.
O’Leary ließ den Alten wecken, der sich in seine Kammer verzogen hatte.
Fünf Minuten später wurde der Anker gehievt, und unter dem Großsegel nahm die Karavelle wieder Kurs auf die Mill Bay. Tatsächlich passierten sie knappe Zeit später die St.-Nicholas-Insel, die an Steuerbord blieb. Jetzt war es nicht mehr weit bis zur Mill Bay.
Sir John befahl dem Rudergänger, etwas abzufallen. Die Karavelle war wieder gefechtsklar. Der Wind wehte immer noch aus westlicher Richtung, nicht allzu stark, so daß auch die See im Plymouth Sound keineswegs kabbelig oder grob war.
Der Alte hatte eine Whiskyflasche mit an Deck genommen und gluckerte einen – im Vorgenuß dessen, was in der nächsten Viertelstunde passieren würde.
Auch Burton und Bromley waren wieder an Deck. Sie sollten ja die irische Galeone identifizieren. Sie sahen beide nicht sehr gut aus, nein, beschissen sahen sie aus, so richtig ausgekotzt.
Der Alte war wieder bei guter Laune und amüsierte sich. Er winkte mit der Flasche.
„Wollen die Gentlemen auch einen Schluck?“
Die Gentlemen wollten nicht. Sie schüttelten stumm die Köpfe und waren am Schlucken. Da stieg ihnen wohl wieder etwas hoch, obwohl nichts mehr drin war, allenfalls Galle.
Sir John drohte mit dem Finger, der Schelm. Und ganz ruppig sagte er: „Jetzt wird nicht mehr gekotzt, verstanden? Wer es dennoch tut, fliegt außenbords. Außerdem ist überhaupt kein Seegang, Gentlemen. Wir steuern jetzt die Mill Bay an, da bitte ich mir konzentrierte Aufmerksamkeit aus, damit Sie die Galeone auch erkennen. Vielleicht erinnern Sie sich bei dieser Gelegenheit an das, was wir wegen einer bestimmten Teilung vereinbarten. Ich könnte mich unter Umständen genötigt sehen, von einer Teilung Abstand zu nehmen, wenn Sie hier versagen. Sie verstehen?“
Sie nickten wieder stumm, wenn auch jetzt etwas erbitterter. Das fehlte noch, daß dieser verdammte alte Gauner die Beute allein kassierte – bei all den Nöten, die sie auf sich geladen hatten, nachdem sie an Bord dieses schaukelnden Monstrums gegangen waren.
„Die Ost-Pier in der Mill Bay wird auf der Seite sein, auf der Sie jetzt stehen“, sagte Sir John süffisant. „Sie brauchen Ihr Augenmerk also nur dorthin zu richten.“
Erneutes stummes Nicken.
Sir John spähte voraus und entdeckte die Einfahrt zur Mill Bay. Drüben beim Fort Eastern King tat sich nichts. Kein Licht brannte dort. Sir John grinste vor sich hin. Er hatte eine gute Nachtzeit erwischt – die Stunde der Diebe. Da mußte er sogar dem Nebel noch dankbar sein, der ihn aufgehalten hatte.
Er wies den Rudergänger ein. „Etwas mehr Steuerbord – recht so. Kurs halten!“
„Recht so. Kurs halten“, wiederholte der Rudergänger. Und dann: „Kurs liegt an, Sir.“
Sir John trat an die Balustrade zur Kuhl. „O’Leary! Aufpassen, welches Ziel ich nenne. Sonst bleibt alles wie besprochen. Zuerst feuert die Steuerbordseite, dann wenden wir, und die Backbordseite ist dran, klar?“
„Aye, aye, Sir, alles klar.“
Nur unter dem Großsegel schob sich die Karavelle fast majestätisch langsam in die Einfahrt zur Mill Bay. Drüben auf der Steuerbordseite tauchten die ersten Schiffe auf, die an der Pier lagen. Burton und Bromley standen am Schanzkleid und starrten hinüber.
Sir John baute sich neben ihnen auf.
„Na?“ fragte er.
Der hagere Bromley hob plötzlich den rechten Arm.
„Da!“ sagte er erregt und deutete. „Da!“
„Wo?“ knurrte Sir John. „Haben Sie als Hauptmann keine Zielansprache gelernt, Mann?“ Er fuhr zum Rudergänger herum. „Noch etwas nach Steuerbord, ja, noch ein bißchen – recht so!“
„Recht so“, murmelte der Rudergänger.
„Die – die Galeone liegt direkt vor dem dritten Schuppen links vom Anfang der Pier!“ stieß Bromley hervor.
„Jawohl, das ist sie!“ Der dicke Burton keuchte. „Genau. Vor dem dritten Schuppen.“
Sir John trat grinsend an die Balustrade und gab die Zielansprache weiter. Er meinte, ebenfalls die „Pride of Galway“ erkannt zu haben, mit der er vor ein paar Jahren schon mal aneinandergeraten war. Jetzt würde er zurückzahlen – dafür, daß er damals den Schwanz hatte einziehen müssen. Zwar waren nicht die irischen Lümmel an Bord, aber das kratzte ihn überhaupt nicht, nicht im geringsten. Ha! Die Kerle von der Seewölfe-Bande würde er in die Hölle blasen, allen voran den verdammten Bastard, diesen Hurensohn, der es gewagt hatte, wider den Stachel zu löcken und ihm eine Schlappe nach der anderen zuzufügen.
Ja, das war die Nacht der Rache!
Jetzt geriet auch Sir John in Erregung, und der Haß auf Philip Hasard Killigrew flammte in ihm hoch, genau wie bei Burton und Bromley, vor allem bei Bromley, der am ganzen Körper zitterte und die Fäuste aufs Schanzkleid schlug, als wolle er es ertrümmern. Dabei stieß er unverständliche Worte hervor, Haßtiraden wohl, gemünzt auf den Mann, der ihn als Dieb entlarvt hatte.
Burton und Bromley – plötzlich war ihnen nicht mehr übel. Ihr hervorbrechender Haß hatte die Seekrankheit hinweggewischt, als hätten sie nie darunter gelitten. Es war schon erstaunlich, wie schnell sich Menschen wandeln konnten.
Langsam glitt die Karavelle näher und näher an die Galeone, die vor dem dritten Schuppen an der Pier lag. Sir John gab mit heiserer Stimme dem Rudergänger den Befehl, wieder etwas anzuluven, um die Ka@avelle auf einen Kurs zu bringen, der parallel an der Ost-Pier entlang führte.
Die Richtschützen lauerten an den Culverinen auf der Steuerbordseite und peilten über die Rohre das Ziel an, das langsam in die Visierlinie einzuwandern begann. Die Lunten brannten bereits. Ja, etwa fünfzig Yards würde der Querabstand zu der Galeone betragen, vielleicht sogar noch weniger. Das bedeutete Kernschußweite. In direkter Linie, ohne Parabel, würden die sechs Kugeln in den Rumpf der Galeone rasen, noch heiß von der Treibladung, mit der sie aus den Rohren gejagt wurden, glühend heiß.
Allmählich dachte Sir John in diesem Moment