Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
auf, von dem es offiziell hieß, daß es seit zwei oder drei Jahren leerstehe. Wegen des zunehmend schlechten Wetters hatte der Piratenführer es vorgezogen, mit seinem kleinen Schiffsverband in einer Bucht zu ankern und das Ausweichversteck aufzusuchen, bis sich der Sturm ausgetobt hatte.
Vangard hatte mitgeholfen, das alte Haus etwas wohnlich zu gestalten und mit den erforderlichen Vorräten zu versehen, die die Bande brauchte, wenn sie hier einmal nächtigte oder gezwungen war, sich zu verkriechen. Vangard wußte im übrigen von seinen Freunden im Umland von Lannion und Sillon de Talbert, daß Grammont noch mehr kleine Schlupfwinkel entlang der gesamten bretonischen Küste unterhielt, um immer so beweglich wie möglich zu sein und nie Mangel an Nahrung, Trinkwasser und Munition für seine Geschütze zu haben.
Hinzu gesellte sich das erprobte, gut funktionierende Nachrichtensystem, das mit zu den Erfolgen beigetragen hatte, die Grammont während dieser vergangenen Monate zu verzeichnen gehabt hatte.
Kein englisches Schiff, das sich der Küste näherte, konnte der Aufmerksamkeit der Kundschafter entgehen – auch bei Schlechtwetter nicht, wo alle anderen Fischer, Deichbauern, Schafhirten und Strauchritter es doch sonst vorzogen, irgendwo unterzuschlüpfen und die Nase lieber nicht in Wind und Regen zu halten.
Vangard trank seinen Becher Wein leer, Grammont schenkte nach.
„Rede jetzt“, sagte er dann. „Wie viele Schiffe hast du gesehen?“
„Zwei. Englische Kauffahrer.“
„Wie kannst du wissen, daß es Kauffahrer sind?“ erkundigte sich der Anführer der Piraten mißtrauisch.
„Ich habe mich ganz dicht an das Ufer der Bucht rangeschlichen“, erläuterte Vangard so ruhig wie möglich. „Es gibt dort genug Buschwerk, keiner hat mich entdeckt.“
„Welche Bucht ist es?“
„Diejenige, die zwei Meilen westlich von Sillon de Talbert liegt. Zum Ankern ist sie ideal, die Kapitäne dieser zwei Dreimast-Galeonen haben unerhörtes Glück gehabt, daß sie sie gefunden haben.“
„Weiter“, drängte Grammont.
„Das Licht war ausreichend, ich habe genug erkannt“, fuhr Vangard, nun eifriger, fort. „Es sind schöne und ziemlich neue Schiffe, aber sie haben kaum Waffen an Bord. Ich habe keine Stückpforten gesehen.“
„Die Geschütze könnten auf den Hauptdecks stehen.“
„Das ist möglich, aber sehr viele sind es bestimmt nicht.“
„Bist du sicher, Vangard?“
„Ich teile dir das mit, was ich beobachtet habe.“
Grammont trank selbst seinen Becher leer, setzte ihn mit einem Knall auf der Tischplatte ab und wischte sich mit der Hand über den Mund. Sein Grinsen war verschwunden. „Hoffen wir, daß du deine Augen weit genug aufgesperrt hast. Wie groß sind diese Prachtkähne?“
„Jeder etwa dreihundert Tonnen, schätze ich.“
„Was haben sie deiner Meinung nach geladen?“
„Das weiß ich nicht“, erwiderte Vangard. „Ich kann nur Vermutungen anstellen, aber die helfen dir auch nicht weiter, Grammont.“
„Richtig. Jetzt zu den Mannschaften.“
„Etwa zwanzig Mann pro Schiff. Nicht mehr, bestimmt nicht. An Bord der einen Galeone habe ich einen Schwarzen gesehen, vielleicht kommen sie ja aus Afrika.“
„Möglich, oder aber er gehört zu der Crew“, brummte Grammont. „Hast du die Namen der Schiffe gelesen?“
„Nur den einen. Der Segler, der dem Ufer am nächsten liegt, heißt ‚Hornet‘.“
„Was bedeutet das, Grammont?“ wollte Ferret wissen.
„Hornisse.“
Die Kerle lachten, doch Yves Grammont lachte nicht mit. Er sah Vangard an und sagte: „Diesen Namen habe ich noch nie gehört, und der Kahn ist mir noch nirgends vor die Rohre gesegelt.“
„Ich sagte doch, beide Galeonen sehen sehr neu aus. Es ist bestimmt nicht lange her, daß sie vom Stapel gelaufen sind.“
Nachdenklich fuhr sich Grammont mit der Hand über den Vollbart. „Es wird doch wohl keine Falle sein, Vangard? Hast du keine anderen Schiffe entdeckt?“
Vangard bemühte sich, seiner Stimme einen eindringlichen, überzeugenden Klang zu verleihen. „Ich habe mich an deine Ratschläge gehalten und die Umgebung abgeforscht, ehe ich hergeritten bin. Es gibt keine anderen Schiffe.“
„Auf was warten wir dann noch?“ fragte Jean Bauduc. Er war der Kapitän der „Petite Fleur“, die wie die „Antoine“ und die „Coquille“ zu dem Verband der Piratenschiffe gehörte, der von der Galeone „Louise“ geführt wurde. Bauduc war groß und schwarzhaarig und hatte ein glattes Gesicht mit dunklen Augen, das von einem typisch südländischen Teint geprägt war. Sein Bauchansatz zeugte von den großen Mengen Wein und Bier, die er zu trinken pflegte. Sein äußeres Kennzeichen war der riesige Waffengurt, den er quer über der Brust trug und in dem drei Pistolen steckten.
Vangard blickte sich im Raum um. Die Kerle grinsten alle nur, keiner antwortete, daher wandte er sich Bauduc zu und sagte: „Auf besseres Wetter, denke ich doch. Oder?“
„Nein“, sagte Yves Grammont. „Wir laufen sofort aus.“
„Bei diesem Sturm?“ Vangard war verblüfft, das hatte er denn nun doch nicht erwartet.
„Bei diesem Sturm“, bestätigte Grammont. „Hör zu, Vangard, unsere Schiffe sind nicht so wacklig und baufällig wie deine verfluchte Schaluppe, sie halten sich etwas besser über Wasser.“
Wieder lachten die Piraten, und diesmal stimmte Grammont laut mit ein. Als er sich genügend über seinen Witz amüsiert hatte, beugte er sich vor und fragte: „Was Verlangst du für diesen Hinweis, Vangard?“
„Das übliche. Ist das zuviel?“
„Das weißt du selber besser als ich. Wenn es dir zuviel erscheint, gebe ich dir weniger. Ein Mann muß genau wissen, was seine Worte wert sind.“
Vangard nahm hastig wieder einen Schluck Wein. Zur Hölle, wollte Grammont ihn dieses Mal hereinlegen? Was sollten diese Anspielungen?
Grammont griff unters Hemd und förderte einen prall gefüllten Lederbeutel zutage. Er öffnete ihn, entnahm ihm zwei Golddukaten und legte sie vor Vangard auf den Tisch.
„Da, nimm hin“, sagte er barsch. „Du hast sie dir verdient, und du wirst noch mehr davon einsacken, wenn du weiterhin so aufmerksam die Küste und die Buchten beobachtest. Es verirren sich nicht selten Schiffe hierher. Wenn mich nicht alles täuscht, ist es jetzt schon das dritte Mal, daß du uns einen brauchbaren Hinweis lieferst.“
„Ja.“ Vangard steckte die Münzen weg, aber es gelang ihm kaum, den Blick von dem Lederbeutel zu nehmen. Wie viele Gold- und Silbermünzen mochte Grammont wohl schon bei seinen Beutezügen an sich gebracht haben? Wo versteckte er seine Schätze?
Es war besser, nicht weiter darüber nachzudenken. Das, was Grammont ihm zahlte, mußte ihm genügen. Selbst wenn er herausgefunden hätte, wo die Schätze der Bande lagen, wäre es glatter Selbstmord gewesen, sie zu vereinnahmen. Allein der Versuch war tödlich.
Doch hätte es sich nicht eher gelohnt, spanische Silberschiffe zu überfallen, die aus der Neuen Welt herübersegelten, ihr Heimatland anliefen und dabei durch die Biskaya mußten? Wäre das nicht viel gewinnbringender gewesen?
Nun, Grammont mußte ja wissen, was er tat. Er hatte sich auf englische Schiffe „spezialisiert“, und das hatte bestimmt seine guten Gründe. Ein Armenhaus war England auch nicht mehr. Vielleicht hatten die Schiffe, die er versenkt hatte, Gold, Silber, Diamanten und Elfenbein an Bord gehabt. Und die Waffen? Auch die konnte man in klingende Münzen verwandeln.
Vangard konnte ja nicht ahnen, daß die Unternehmungen von Yves Grammont aus der Kasse spanischer Spione finanziert