Unerschütterlich im Glauben. Fulton J. Sheen
wurde. Peoria brachte also drei berühmte Rundfunkstars hervor – ja sogar, einen gnädigen Leser vorausgesetzt, noch einen vierten.
Jedes Jahr führten die Schüler, um Geld für ihre Schule zu sammeln, ein Theaterstück auf. Ich hatte, wie es aus den Tests hervorgeht, kein Talent für Theateraufführungen, aber die Verantwortlichen meinten, dass ich auf die eine oder andere Art im Stück vorkommen sollte, weil mein Vater für das Programm Geld gespendet hatte. Ich erinnere mich noch heute an die eine Zeile, die ich aufsagen musste: Es war eine Fürsprache. Irgendjemand war kurz davor, meinen Vater in einem Wald umzubringen, und ich musste sagen: »Hab Erbarmen mit ihm um deines kleinen Angelos willen.«
Im vierten Jahr an der High School war ich Jahrgangsbester und derjenige, der die Abschiedsrede halten durfte, aber die Lehrer fanden mich als Abschiedsredner nicht sonderlich überzeugend. Am Ende des Schuljahres wurde eine Medaille für die beste Note im Fach Trigonometrie9 vergeben. Ralph Buechel und ich waren gleich gut, jeder hatte 100 Prozent für das Jahr erreicht. Um die Sache zu entscheiden, wurden uns in einer Sonderprüfung drei Aufgaben zur Trigonometrie vorgelegt. An die dritte Aufgabe erinnerte ich mich aus dem Lehrbuch. Kaum hatte der Lehrer begonnen, sie vorzulesen, schrieb ich die Lösung schon aus dem Gedächtnis nieder. Als die Arbeiten ausgewertet wurden, erhielt ich 66 2/3 Prozent, Ralph erhielt 100 Prozent und die Medaille. Ich sagte danach zu dem Lehrer: »Ich glaube, ich habe die dritte Aufgabe richtig gelöst, denn ich habe mich daran erinnert, dass sie im Buch vorkam.« »Ach ja«, sagte er, »stimmt, sie war richtig nach dem, was im Buch stand, aber du hast mir nicht zugehört. Ich habe nämlich den Winkel des Fahnenmasts verändert, deshalb hast du die Medaille nicht bekommen.«
Nach der High School schrieb ich mich am St. Viator College ein (das heute nicht mehr existiert, doch ich habe es in guter Erinnerung). Es wurde von den Viatoristen geleitet und zum Lehrkörper gehörten sehr gute Professoren, unter anderem Professor Kenyon aus Harvard, der uns ausgezeichneten Shakespeare-Unterricht erteilte … Pater Bergan, der Philosophieprofessor, eine der wichtigsten Inspirationsquellen meines Lebens …
Pater McGuire, der als anglikanischer Priester zum römischen Katholizismus übergetreten war und seinen Abschluss in Oxford gemacht hatte … und Dr. Potter, Absolvent der Wharton School of Economics.
Während des Semesters beteten die Studenten täglich den Rosenkranz. Bei schönem Wetter geschah das auf dem Fußballplatz, bei schlechtem Wetter in der Turnhalle. Die Studenten wählten mich zum Vorbeter. An einem Nachmittag fand das Gebet in der Turnhalle statt, und am anderen Ende der Halle war eine Bühne aufgestellt, auf der eine Diskussion mit einem College in Iowa stattfinden sollte. Ich gehörte zum Diskussionsteam. Der Gedanke daran, abends auf dieser Bühne zu sitzen, lenkte mich so stark ab, dass ich den Rosenkranz nicht zu Ende beten konnte. Ich glaube, dass die Nervosität meines ganzen Lebens sich auf diese wenigen Augenblicke konzentriert haben muss, denn nie mehr danach hatte ich Lampenfieber.
1913 bei seinem Abschluss am Spalding Institute in Peoria, Illinois (Fulton J. Sheen Archiv).
Die Modellierung des Tons geschah unter großen Opfern seitens meines Vaters und meiner Mutter. Sie versagten sich jede persönliche Bequemlichkeit und jeden Luxus, damit ihre Söhne gut gekleidet und gut versorgt waren. Unser Familienleben war einfach, die Atmosphäre zu Hause war christlich. Vor und nach jeder Mahlzeit wurde gebetet. Wenn Besuch kam, durften wir nicht ohne Jackett und Krawatte am Esstisch erscheinen. Jeden Abend wurde der Rosenkranz gebetet. Die Priester der Kathedrale besuchten uns jede Woche zu Hause und häufig kamen auch Verwandte zu Besuch.
Ich erinnere mich, dass ich von meinem Vater einmal eine Tracht Prügel bekam. Wir hatten ein Pferd, das in einem Stall hinter dem Wohnhaus untergebracht war. Es wurde für Familienausfahrten unter der Woche und am Sonntag benutzt. An jenem Tag war es meine Aufgabe, das Pferd Morgan zu füttern, was ich zur üblichen Zeit auch tat. Als mein Vater abends heimkam, fragte er mich, ob ich das Pferd gefüttert hätte, und ich bejahte es. Morgan muss an diesem Tag besonders hungrig gewesen sein, denn offensichtlich war im Futtertrog kein bisschen Heu mehr. Mein Vater dachte, dass ich gelogen hätte, und deshalb gab er mir eine Tracht Prügel. Er ließ seine Handfläche mit beträchtlichem Geschick auf meine Hose niedersausen. Nichts trägt zur Entwicklung des Charakters eines Jungen so effektiv bei wie eine Tracht Prügel, vorausgesetzt sie erfolgt oft genug, fest genug und tief genug. Ich beklagte mich später bei meiner Mutter, dass ich das Pferd doch gefüttert hätte, und sie bestätigte die Richtigkeit meiner Aussage. Mein Vater sagte: »Es tut mir leid – dann gilt das für das nächste Mal.« Ich erinnere mich nicht an ein nächstes Mal, denn ich verbrachte mein weiteres Leben ohne Prügel, allerdings nicht ohne Maßregelungen.
Im Rückblick auf diese frühen Zeiten erinnere ich mich an große Unterschiede in der Wirtschaftsordnung. Mein Vater verkaufte von seiner Farm Mais für fünfzig Cent pro Bushel10 und Weizen für einen Dollar pro Bushel, was in jenen Tagen, bevor Russland begann, unseren Weizen zu kaufen, als teuer galt. Ein besserer Anhaltspunkt für den Unterschied bei den Preisen war der Umstand, dass ich an fast jedem Tag außer Freitag zum Lebensmittelgeschäft geschickt wurde, um ein Lendensteak für dreißig Cent zu kaufen. Der Metzger packte zu jedem Kauf immer noch ein Wiener Würstchen dazu. Diese dreißig Cent machten meinen Vater, meine Mutter, die Großmutter und uns vier Jungen satt, ohne dass wir knausern mussten. Milch kostete pro Gallon11 fünf Cent.
Wir hatten in einem der Lebensmittelgeschäfte ein Anschreibkonto. Als ich ungefähr neun Jahre alt war, ließ ich eine Schachtel Nabisco-Kekse anschreiben, die damals ungefähr zehn Cent kostete. Mein Vater entdeckte diese List später, und ich erhielt eine ebenso knappe wie prägnante Lektion zum Thema Ehrlichkeit.
Eine weitere Lektion zum selben Thema erfuhr ich, nachdem ich eine Geranie gestohlen hatte, die vor einem Lebensmittelladen stand. Ich sah, dass diese Geranien für zehn Cent pro Pflanze verkauft wurden. Ich wusste, dass meine Mutter Geranien in Tomatendosen auf der Fensterbank aufstellte, und da ich annahm, dass ich ihr damit eine Freude machen würde, nahm ich eine der Blumen, brachte sie meiner Mutter nach Hause und sagte: »Hier habe ich eine Geranie für dich, Mutter.« Sofort begann die Inquisition: »Hast du sie gekauft?« – »Nein, Mutter.« – »Hast du sie gestohlen?« – »Ja, Mutter.« Dann schickte sie mich zu meinem Sparschwein und ließ mich fünfzig Cent herausschütteln. Ich wandte ein, dass die Pflanze doch nur zehn Cent gekostet habe und eine einzige Blume doch keine fünfzig Cent wert sei. Aber sie bestand darauf, dass ich eine Entschädigung in dieser Höhe leisten solle. Meine Unehrlichkeit, die mit einer Entschädigung meinerseits bestraft wurde, vermittelte mir die Lehre für mein ganzes Leben, dass Ehrlichkeit die beste Strategie ist. Jedenfalls gab mir Mr Madden, als ich ihm das Geld brachte, zwei Töpfe mit Geranien.
Während unserer gesamten Schulzeit schickten uns meine Mutter und mein Vater, die beide an den Wert harter Arbeit glaubten, auf eine der beiden Farmen, die ihnen damals gehörten, östlich und westlich der Stadt Peoria. Der Pächter akzeptierte an den Wochenenden und während der Sommermonate die Sheen-Jungen als Lohnarbeiter. In den frühen Zeiten saßen während einer Pause zwischen der schweren Farmarbeit mein Vater und einige seiner Freunde zusammen, und ein fröhlicher dicker Nachbar namens Billy Ryan sagte zu meinem Vater: »Newt, dein Ältester, Fulton, wird später mal keinen Pfifferling wert sein. Ständig steckt er die Nase in ein Buch.« Meine Brüder mochten die Arbeit auf der Farm, ich litt darunter. Wenn ich heute Tausende von jungen Leuten in Latzhosen herumlaufen sehe, erinnere ich mich daran, dass ich mich schämte, als ich einen Overall tragen musste – die Latzhosen der damaligen Zeit. Vom modischen Gesichtspunkt aus konnte man praktisch nicht tiefer sinken.
Diejenigen, die mich heute kennen, können sich kaum vorstellen, dass es einmal eine Zeit in meinem Leben gab, als ich den Maisacker umpflügte, bei sonnigem Wetter Heu machte, Fohlen anschirrte, Pferde striegelte, ihre schmutzigen Ställe ausmistete, morgens und abends bei feuchter und kalter Witterung Kühe melkte, Mais enthülste, die Schweine fütterte, Pfostenlöcher aushob, Pferde, die sich am Stacheldraht verletzt hatten, mit Salbe einschmierte, an dem Tag, als der Zirkus in die Stadt kam, gegen Kartoffelkäfer kämpfte und täglich meinen Vater zu überzeugen versuchte, dass eine Existenz als Farmer kein gutes Leben sei und dass man nur gutes