Chronik von Eden. D.J. Franzen
Endlich! Er kam zu einem seiner Soldaten durch!
Geht nach Osten! Frank legte alle Macht in diesen einen Gedanken.
Osten?, kam es zurück, und Frank spürte, dass keinerlei Verstehen darin lag.
Kommt zu mir! Das hatten die anderen bislang immer verstanden.
Zu mir … zu mir … zu mir …, echote der andere, und die Verbindung riss ab.
Frank wankte einen kuren Moment, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Die Energie, die ihn dieser Versuch gekostet hatte, zehrte sogar an den übermenschlichen Kräften, die ihm der Dunkle Mann verliehen hatte. Aber was viel wichtiger war: Hatte seine Kompanie in Kerpen den Befehl empfangen? Und vor allem auch richtig verstanden?
Er wusste es nicht, konnte es nur hoffen.
Frank richtete sich auf und setzte sich in Bewegung, um der Gruppe um Sandra zu folgen. Dabei bemerkte er wieder den weißen Hund, den er vor einigen Stunden aus den Augen verloren hatte.
Was wollte das Vieh denn schon wieder hier? In Frank wallte dunkle Wut hoch. Am liebsten hätte er seinen Soldaten befohlen, den Köter in Stücke zu reißen, aber am Tag war dieser viel zu schnell für sie. Es würde sie zu lange aufhalten, und das durfte keinesfalls passieren, denn wenn er Sandra verlor, würde die Strafe Gabriels schrecklich sein.
*
Am späten Nachmittag erreichten Sandra und ihre Begleiter die Ortschaft Horrem.
»Suchen wir dort auch nach Vorräten?«, wollte Martin von der jungen Frau wissen.
Sandra schüttelte stumm den Kopf und machte Stephan mit einem »Pssst!« auf sich aufmerksam. Als dieser den Kopf drehte, deutete sie nach links und erklärte: »Wir biegen hier nach Süden ab und lassen die Häuser rechts liegen.«
Stephan nickte und schlug wortlos die neue Richtung ein.
»Für eine Frau kennst du dich verdammt gut mit Himmelsrichtungen aus.« In Martins Stimme lag Bewunderung.
Sandra schenkte ihm jedoch nur einen kalten Blick, zuckte kurz mit Schultern und wandte sich von ihm ab, um mit ihren Augen wieder das Gelände zu sondieren.
Martin schluckte trocken. Was war nur mit dieser Frau los? Im einen Moment sorgte sie sich um die Kinder in der Gruppe wie eine Glucke um ihre Küken, im nächsten war sie ein eiskalter Klotz, der nichts menschliches an sich zu haben schien und an dem alles abglitt, als wäre seine Oberfläche mit Teflon beschichtet. Welche Erfahrungen hatten sie zu dem werden lassen, was sie heute war?
Zusammen mit den anderen setzte sich Martin in Bewegung. In der Ferne konnte er bereits wieder seinen Affen spüren. Martin hatte die kurze Pause genutzt, um sich etwas von dem Nasenspray zu verabreichen, aber das konnte den Affen nicht wirklich aufhalten – zumindest nicht auf Dauer. Hoffentlich hatte Sandra nicht gerade wieder eine »eiskalte Phase«, wenn er in die wirklich harte Zeit des Entzugs eintrat …
*
»Nun mein Freund, wie geht es dir?«
Frank hatte das Auftauchen des Dunklen Mannes zuerst nicht bemerkt, aber nun packte ihn die eisige Kälte wie eine physische Gewalt. Er registrierte jetzt auch wieder das leise Rascheln feinen Stoffs, das für die Präsenz Gabriels so charakteristisch zu sein schien.
»Wie soll es mir schon gehen?« Frank zuckte mit den Schultern. »Ich warte auf meine Gelegenheit, und die wird sicher bald kommen.«
»Möchtest du mir deinen kleinen Plan vielleicht verraten?«
Täuschte Frank sich, oder klang in der Stimme des anderen so etwas wie leichter Spott mit? Und wenn dem so war, was hatte Gabriel davon? Frank fragte sich sowieso, warum dieser ihn die Drecksarbeit machen ließ. Bei der Macht, über die der Dunkle Mann verfügte, musste es ihm doch ein Leichtes sein, den Flüchtenden den Garaus zu machen. Einfach so. Mit dem Zucken eines Augenlids.
Was also hatte Gabriel davon, Frank mit dieser Aufgabe zu betrauen? Seelen sollte er ihm bringen, das hatte er zumindest gesagt. Aber warum holte er sich diese nicht selbst? Ja, das waren Fragen. Viele Fragen sogar. Und der Dunkle Mann liebte keine Fragen, das hatte er ihm klargemacht.
»Der Plan ist eigentlich ganz einfach …«, setzte Frank an, doch der andere unterbrach ihn mit einem Handzeichen.
»Du bist ein braver Junge, dass du artig auf meine Fragen antwortest.« Gabriel lächelte vieldeutig. »Trotzdem möchte ich mir die Spannung nicht verderben, behalte ihn also bitte für dich.«
War es das? Hatte der Dunkle Mann ihn testen wollen, sehen, ob er auch loyal war?
Erneute fühlte Frank sich herumgeschoben wie eine Schachfigur, und das gefiel ihm nicht. Er war niemandes Spielzeug, er war ein Mensch! Wirklich? War er das noch? Und spielte das überhaupt noch eine Rolle?
Wieder wallte Zorn in ihm hoch, doch dieser war nicht heiß, sondern merkwürdig kalt, fast wie ein wütender Klumpen.
Dann riss Gabriels Stimme Frank aus seinen Gedanken: »Ich habe gesehen, wie deine Soldaten zwei weitere Male versagt haben. Trotzdem war es – nun, wie soll ich sagen? - auf eine ganz eigene Art erheiternd. Du testest deine Möglichkeiten aus, und das ist gut so. Deine kleine Freundin führt dich an der Nase herum.« Der Dunkle Mann kicherte.
Sandra! Diese miese kleine selbstsüchtige Schlampe! Gabriel hatte recht, sie war ihm immer eine Nasenlänge voraus. Vermutlich hatte sie von Anfang an alles genau so geplant, selbst dass er sich in Köln für sie und die Kinder opfern würde.
Aber sie würde schon noch sehen, was sie davon hatte! Er war schließlich kein Idiot, und er verfügte über etwas, das sie nicht besaß: Macht über die Untoten!
Er hatte zu Gabriel gesagt, dass seine Chance noch kommen würde, und er hatte es genau so gemeint. Und dann würde sie für alles bezahlen, was sie ihm angetan hatte. Qualvoll sterben lassen würde er sie, damit sie sich noch lange an ihn erinnerte, wenn sie schon längst in der Hölle schmorte.
»Ich sehe, du weißt, was du zu tun hast.« Gabriel nickte zufrieden. »Dann will ich dir mal nicht länger deine kostbare Zeit stehlen.«
Wieder dieser Spott in der Stimme, gefolgt von einem Kichern. Wurde der Dunkle Mann langsam verrückt?
Dann war er von einem Moment auf den anderen verschwunden, so als sei er nie da gewesen. Oder hatte Frank das eben nur geträumt?
Die eisige Kälte, die nur langsam wieder wich, belehrte ihn jedoch eines Besseren.
*
»Dort vorne richten wir uns für die Nacht ein.« Sandra deutete auf ein Gebäude am südlichen Ortsrand von Götzenkirchen.
Sie hatten Horrem im Osten umgangen, mittlerweile die A4 überquert und ein gutes Stück weit hinter sich gelassen. Eigentlich hatte Sandra damit gerechnet, sich den Weg über die Autobahn erkämpfen zu müssen, aber zu ihrer Überraschung hatten sie wohl mehr durch Zufall eine Stelle erwischt, die frei von Autos und somit auch frei von Zombies war.
Das Gebäude vor ihnen war ein schnuckeliges Einfamilienhaus, wie es sich jeder gestandene Familienvater für sich und seine Lieben wünschte. Hier war man nicht weit von Äckern und Wäldern entfernt. Ein traumhaftes Idyll vor den Toren Kölns, wären da nicht die ein wenig unangenehmen Umstände gewesen, die dafür gesorgt hatten, dass Sandra und die anderen hierhergekommen waren.
Martin sah Sandra verstohlen von der Seite an, dann wanderte sein Blick zurück zu dem schmucken Häuschen. Hätte er sich in einer besseren Zeit vielleicht hier zusammen mit ihr niedergelassen und eine Familie gegründet? Der Gedanke hatte etwas Verlockendes. Dann packte ihn sein Affe wieder – noch sanft – im Genick und begann damit, ihn ein wenig durchzurütteln.
Sandra schien nichts davon zu bemerken, oder tat zumindest so. »Nachdem wir sichergestellt haben, dass das Haus sauber ist, teilen wir die Wachen für die Nacht ein«, erklärte sie gerade. Dann bedeutete sie Patrick und Martin, bei den Kindern zu warten, und betrat zusammen mit Stephan das Haus.
Keine