Chronik von Eden. D.J. Franzen
»Patrick übernimmt die erste Wache.« Sandras Stimme duldete – wie so oft – keinen Widerspruch. »Stephan macht die zweite und ich die dritte. Martin ist als letzter dran.«
»Wir können auch Wachen übernehmen«, erklärte Tom, wobei er sich bemühte, seiner Stimme einen festen Klang zu geben, was ihm aber nicht so recht gelingen wollte.
»Das ist nicht nötig.« Sandra schüttelte den Kopf. »Wir schaffen das schon.«
»Ist es, weil du es uns nicht zutraust?«
»Das hat damit nichts zu tun. Ihr seid Kinder, wir sind die Erwachsenen. Also sind wir für euch verantwortlich und schützen euch. Seht lieber zu, dass ihr euch heute Nacht gut erholt, damit wir morgen zügig vorankommen.«
Einen Augenblick sah es so aus, als wollte Tom noch etwas sagen, dann nickte er stumm und ging wieder zu den anderen Kindern. Diese waren bereits dabei, sich notdürftig für die Nacht einzurichten, so gut es eben ging.
Kapitel V - Unerwartete Bekanntschaften
»Der schwarze Mann!« Zitternd zeigte Rosi in die Richtung, in der sie das dunkle Schemen erblickt hatte.
Doch die anderen hörten nicht auf sie. Sie saßen im Kreis und sangen fröhlich ein Lied.
»Schnell!« In Rosis Stimme schwang Panik mit. »Wir müssen hier weg, solange es noch geht!«
Immer noch keine Reaktion.
Rosi packte Peter an der Schulter und rüttelte daran.
»Hörst du denn nicht? Der schwarze Mann ist da, um uns zu holen!«
Peter drehte den Kopf und grinste sie an. »Ach, hör doch mit dem Unfug auf, Rosi. Damit macht man höchstens kleinen Kindern Angst. Den schwarzen Mann gibt es doch gar nicht.«
»Aber ich habe ihn gesehen. Er stand gleich dort drüben!«
»Und wohin ist er dann so schnell verschwunden?«
»Spürst du denn gar nicht, wie kalt es hier auf einmal ist?«
»Es ist nicht kalt, was redest du da? Setz dich lieber zu uns und sing mit!«
Rosi wollte jedoch nicht. Der schwarze Mann machte ihr zu viel Angst. Und warum konnte Peter die Kälte nicht spüren? Sie zitterte schon am ganzen Leib. Aber auch die anderen schenkten ihr keine Beachtung, sangen einfach weiter, so als wäre nichts.
Übergangslos begann Rosi zu laufen. Nur weg von hier! Weg vom schwarzen Mann!
Ohne sich umzusehen, hastete sie die verlassene Straße entlang. Die Häuser schienen sie aus leeren Fensteröffnungen regelrecht anzustarren. War denn niemand hier, der ihr helfen konnte?
Rosis Beine brannten, ihr Atem ging rasselnd. Lange würde sie ihre Flucht nicht mehr durchhalten können.
Da! Mit einem Mal war der schwarze Mann über ihr, hielt sie fest. Rosi konnte sich nicht mehr bewegen, war ihm hilflos ausgeliefert. Leise begann sie zu weinen.
»Pssssst, nicht weinen.« Die Stimme des schwarzen Mannes klang merkwürdig sanft. »Es wird alles wieder gut. Psssst, alles wird gut.«
Rosi spürte sanfte Berührungen, die so gar nicht zu der herrschenden Kälte passen wollten. Zuerst an den Schultern, dann an Bauch und Beinen. Irgendetwas glitt langsam die Innenseite ihres Schenkels nach oben.
Dann wachte sie auf.
*
»Was tust du da?« Martin sah Stephan fragend an. Dieser hatte sich über Rosi gebeugt und sprach leise zu ihr.
Stephans Kopf ruckte herum. »Mann, hast du mich vielleicht erschreckt! Was machst du hier? Deine Wache ist doch erst in einer Viertelstunde, ich hätte dich schon rechtzeitig geweckt.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.« Martins Stimme bekam eine gewisse Schärfe. »Ich will wissen, was du da machst.«
»Die Kleine hat offenbar schlecht geträumt.« Stephan zuckte mit den Schultern. »Da habe ich versucht, sie ein wenig zu trösten.«
»Zwischen ihren Beinen?!?«
»Wie? Ach das! Nein, es ist nicht so, wie es aussieht.«
»Aha? Wie ist es dann?«
»Ich … ich bin abgerutscht. So war das.«
»Am besten wecken wir Sandra und fragen sie, was sie von der Sache hält.«
»Das halte ich für keine gute Idee.« In Stephans Augen flackerte es kurz. »Sie braucht ihren Schlaf, denn schließlich hat sie die Verantwortung für die ganze Gruppe. Der Alptraum ist ja jetzt vorbei, nicht war?«
Der letzte Satz war an Rosi gerichtet gewesen. Diese hatte sich ein wenig aufgerichtet und schaute die beiden Männer aus schläfrigen Augen an.
»Ja, danke, es ist alles ok«, versicherte sie schließlich.
»Dann ist es ja gut.« Martins misstrauische Blicke straften seine Worte Lügen. An Stephan gewandt sagte er: »Du kannst dich hinlegen, ich übernehme jetzt.«
Als Stephan an ihm vorbeiging, zischte er ihm zu: »Ich behalte dich im Auge.«
»Mach das, Junkie, mach das …«, kam es ebenso leise zurück, dann war Martin mit den Kindern alleine.
*
Zufrieden rieb sich der Dunkle Mann die Hände. Besser hätte es gar nicht laufen können!
Eigentlich hatte er nur vorgehabt, sich in die Träume eines der Kinder zu schleichen, um sie ein wenig zu bespitzeln. Diese Rosi – was für ein dämlicher Name! - hatte seine Anwesenheit gespürt und mit einem Alptraum darauf reagiert.
Er musste vorsichtig sein. Die Kinder konnten mehr als ihm lieb war. Aber das machte das Spiel auch spannend. Ohne Spannung war es langweilig, und all die Vorbereitungen mussten sich doch schließlich am Ende auch auszahlen, oder etwa nicht?
Das Mädchen hatte also schlecht geträumt. Dann war dieser Neue in der Gruppe darauf aufmerksam geworden und hatte sich um sie gekümmert, wenn auch auf eine eigentümliche Weise. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Kerl, aber das konnte Gabriel nur recht sein.
Der Langhaarige musste etwas bemerkt haben. Auf jeden Fall war es zwischen ihm und dem anderen zu Spannungen gekommen, das hatte Gabriel deutlich spüren können. Unfrieden konnte die Gruppe spalten, das spielte ihm in die Hände.
Aber da war noch Luzifer, sein Gegenspieler. Deutlich spürte er dessen Präsenz, auch wenn er im Moment nicht ausmachen konnte, wo genau sich dieser herumtrieb. Es war jedoch auch nicht wirklich wichtig, denn Luzifer war ein Korinthenkacker, was die Regeln des Spiels anging. Das war er schon immer gewesen, und das würde er immer bleiben. Er stellte keine wirklich Bedrohung dar, eher eine Art Gewürz in der Suppe des Spiels.
Er, Gabriel, würde gewinnen. Wieder einmal. Und das bewies, dass er im Recht war.
Es war an der Zeit, nach seinem General zu sehen. Nicht mehr lange, und der Dunkle Mann würde am Ziel sein.
*
Der Rest der Nacht verlief ohne weitere Zwischenfälle. Sandra hatte Martin aufgetragen, die Gruppe im Morgengrauen zu wecken. Hastig schlangen sie nun ein karges Frühstück hinunter.
»Warum isst du nichts?«, wollte Sandra von Martin wissen, der wieder am Fensterrahmen stand und hinaus starrte.
»Ich habe keinen Hunger.« Der Affe streckte seine Hand nach ihm aus.
»Wenn du mir unterwegs zusammenklappst, lass ich dich einfach liegen. Klar? Wir können keinen Bremsklotz brauchen, wir sind auch so schon langsam genug.«
Martin zog es vor, nicht darauf zu antworten. Stattdessen schaute er weiter aus dem Fenster und versuchte einzuschätzen, wie das Wetter heute werden würde.
Sein Affe packte ihn im Genick und rüttelte ihn ganz sanft durch.