Chronik von Eden. D.J. Franzen
Fladen aus dem Backofen, um darin Platz für die Auflaufform zu schaffen.
Gut zehn Minuten später hatte jeder etwas auf seinem Teller. Trotzdem aß noch niemand, denn Patrick hatte sie gebeten zu warten.
»Magst du das Tischgebet sprechen, Rosi?«, wandte er sich schließlich an die jüngste in der Gruppe.
»Ich?« Das Mädchen sah erstaunt von seinem Teller auf.
»Warum denn nicht?« Patrick lächelte freundlich. »Irgendjemand muss ja damit beginnen, denn Herrn wieder in unseren Kreis zu holen. Und wer könnte besser dafür geeignet sein als ein Kind, dessen Seele noch rein ist?«
Sandra war anzusehen, was sie davon hielt, trotzdem sagte sich nichts und ließ den Pfarrer gewähren.
Rosi blickte unsicher zwischen Patrick und Sandra hin und her, dann presste sie hervor: »Herr, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast.«
»Das hast du prima gemacht.« In Patricks Stimme lag Anerkennung. »Ich wünsche euch allen einen guten Appetit.«
»Amen«, murmelte Sandra, dann tat sie es den anderen gleich und begann ebenfalls zu essen.
*
»Ich habe mir überlegt, dass jemand die Kinder unterrichten muss«, eröffnete Patrick nach dem Essen. »Wir sollten versuchen, in diesen wirren Zeiten wenigstens ein kleines Stückchen Zivilisation aufrecht zu erhalten.«
»Und welche Fächer schweben Ihnen dabei konkret vor?« Sandra runzelte die Stirn. »Streitkolben schwingen, Schießen und Zombies filetieren?«
»Diese Dinge gehören ins Fach ›Sport‹«, erwiderte Patrick trocken. »Das ist sicherlich eine Überlegung wert. Aber mir ging es in erster Linie um die Grundlagen einer jeglichen schulischen Ausbildung: Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion.«
»Religion?«, echote Martin, der bislang interessiert zugehört hatte. »Also die anderen Sachen kann ich ja noch einsehen, aber hat die Kirche in den vergangenen Jahrhunderten nicht schon genug Unheil angerichtet?«
Aus dem Augenwinkel bemerkte er Sandras beifälliges Nicken.
»In der Vergangenheit sind von meinen Glaubensbrüdern im Übereifer sicherlich einige Fehler begangen worden. Aber wir sollten nicht vergessen, dass die Kirche auch viel Gutes getan hat.«
»Ach ja?« Sandras Körper spannte sich. »Zum Beispiel kleinen Jungs Aufklärungsunterricht der besonderen Art zu erteilen?«
»Ich bitte dich, Sandra. Aus dir spricht die Verbitterung. Bei diesen Vorkommnissen handelt es sich um bedauerliche Einzelfälle. Was sie keineswegs verzeihlicher macht, damit wir uns nicht missverstehen. Und ich bin mir sicher, dass diese Frevler ihrer gerechten Strafe zugeführt wurden. Trotzdem sollten wir nicht vergessen, dass Gottes Wort schon immer eine Stütze in dunklen Zeiten war.«
»Und diejenigen, die sich nicht stützen lassen wollten, hat man kurzerhand auf den Scheiterhaufen gestellt.«
Patrick wollte protestieren, doch Sandra hob abwehrend die Hände: »Schon gut, schon gut. Wenn es Ihnen so wichtig ist, dann versuchen Sie Ihr Glück. Unterrichten Sie die Kinder, denn das ist sicherlich kein Fehler. Aber wenn Sie versuchen, Ihnen dabei irgendwelchen fundamentalistischen Unfug in die Köpfe zu pflanzen, dann sind wir die längste Zeit Freunde gewesen. Klar?«
»Sehe ich aus wie ein religiöser Eiferer?« Patricks klang verletzt.
»Diese Antwort verkneife ich mir jetzt besser.« Sandra grinste schief, und bevor Patrick etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: »Außerdem ist zu diesem Thema alles besprochen. Jetzt sehen wir zu, dass wir unsere Sachen packen und uns vom Acker machen.«
»Du willst aufbrechen?« Martin sah die junge Frau erstaunt an. »Ich dachte, wir übernachten heute hier.«
»Ja, ganz bestimmt. Das ist der beste Plan überhaupt: Eine Nacht vor Königsdorf, die nächste dahinter. So kommen wir ganz schnell voran.«
Mit zwei Schritten stand sie vor ihm und patschte ihm gegen die Stirn. »Mensch, überleg doch mal! Es ist Herbst, und der Winter steht vor der Tür. Bislang hatten wir mit dem Wetter Glück, das wird aber nicht ewig so bleiben. Also sollten wir zusehen, dass wir uns heute wenigstens noch bis zum nächsten Kaff durchschlagen.«
»Vermutlich hast du recht«, nuschelte Martin und sah sich dabei hilfesuchend nach Patrick um, doch dieser machte keinerlei Anstalten, etwas dazu zu sagen.
»Natürlich habe ich recht. Also los jetzt! Wir haben heute noch einiges vor.«
*
Knapp zwei Stunden später zeigte Sandras Gesicht eine gewisse Zufriedenheit. Zusammen mit Stephan hatte sie dessen Vorräte durchforstet und dabei entschieden, was sie davon mitnehmen würden. Zu ihrer Überraschung war sie in einem der Zimmer auf eine Nähmaschine gestoßen. Patrick hatte zu verstehen gegeben, dass er damit leidlich umgehen konnte, und versucht, aus den Tischtüchern des Restaurants und Dingen, die er in Stephans Haus vorfand, improvisierte Rucksäcke zu fertigen. Zum Erstaunen aller war ihm das sogar relativ gut gelungen.
»Unsere Marschordnung können wir nun auch optimieren«, stellte Sandra fest, als alle zum Aufbruch bereit waren. »Da wir vier Erwachsene sind, können wir die Kinder jetzt von allen Seiten beschützen. Stephan, du gehst voraus. Auf diese Weise kann ich dich besser im Auge behalten.«
Der Angesprochene nickte stumm.
»Ich übernehme die linke Flanke, Martin geht rechts.«
»Damit du mich besser im Auge behalten kannst, schon klar …«
»Das auch.« Sandra grinste. »Außerdem befinden sich auf diese Weise die beiden Schusswaffenträger der Gruppe in der Mitte, können also schnell in alle Richtungen eingreifen.«
»Dann bilde ich das Schlusslicht«, stellte Patrick überflüssigerweise fest.
»Na, besser der letzte als das Letzte«, murmelte Stephan so leise, dass es niemand außer ihm selbst hören konnte. Dabei wanderte sein Blick kurz zwischen Martin und dem Pfarrer hin und her, dann richteten sich seine Augen auf Sandra. »Können wir?«
Auf das Nicken der jungen Frau hin setzen sich die Pilger in Bewegung. Keiner von ihnen bemerkte, dass ihnen in einigem Abstand ein großer weißer Hund folgte.
*
Frank fluchte innerlich. Hatte Sandra womöglich geahnt, dass das Haus dieses Stephans zur tödlichen Falle werden würde, wenn sie ihm nur genügend Zeit dafür ließ? Oder steckte etwas anderes hinter dem fast schon hastig wirkenden Aufbruch?
Aber egal. Wie es aussah, würde sich die Gruppe wohl wieder zur Aachener Straße begeben und auf dieser weiter Richtung Westen gehen. Ihm blieb im Moment nichts anderes übrig, als ihnen mit dem Teil seiner Armee, den er bislang um sich sammeln konnte, zu folgen.
Unterwegs würden Sandra und ihre Begleiter in Sicherheit sein, denn Frank spürte deutlich, dass die nächsten seiner willenlosen Diener in dieser Richtung noch einige Kilometer entfernt waren. Vermutlich in der nächsten Ortschaft.
Er hatte sich nie für diese Gegend interessiert, konnte also auch nicht genau sagen, welche Ortschaften als nächstes kamen. Kerpen war ihm ein Begriff, aber es war fraglich, ob die Gruppe es heute noch bis dorthin schaffen würde.
Frank konzentrierte sich. In Kerpen gab es sicher weitere Mitglieder seiner dunklen Armee. Er streckte seine geistigen Fühler aus, tastete vorsichtig nach ihren tumben Gedanken. Vielleicht würde es ihm gelingen, die Flüchtenden in die Zange zu nehmen, ihnen seine Truppen aus Richtung Westen entgegenzuschicken.
Wäre er noch ein normaler Mensch gewesen, wäre ihm vor Anstrengung der Schweiß auf die Stirn getreten. Aber Frank hörte noch nicht einmal das Schlagen seines Herzens. War es überhaupt noch an seinem Platz?
Unwillig schüttelte er diese Gedanken ab. Sie hinderten ihn daran, seine Soldaten zu erreichen. Wenn es ihm gelang, Sandra, die Kinder und die drei Männer zu erledigen, würde Gabriel ihn belohnen, und