Chronik von Eden. D.J. Franzen
hinter ihm zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Keuchen und Japsen, immer wieder unterbrochen von einer kläglichen Parodie dessen, was ein Husten hätte sein können.
»Hey, Gabi, was ist los?« Toms Stimme klang besorgt.
Melanie hielt den Kopf ihrer Schwester und versuchte, sie in eine Lage zu bringen, in der sie besser Luft bekam.
»Was hat sie?«, fragten Patrick und Sandra unisono, die nun ebenfalls darauf aufmerksam geworden waren. Stephan hielt sich im Hintergrund.
»Asthma«, erklärte Tom. »Gabi hat Asthma.« Und an Melanie gewandt: »Was ist mit dem Spray?«
Melanie schüttelte den Kopf.
»Was will sie uns sagen?« Patricks Miene zeigte deutliche Sorge um das Kind.
»Das Spray ist alle.« Auf Toms Stirn bildeten sich Sorgenfalten, was bei einem dreizehnjährigen Jungen, den man gut und gerne auch für zehn halten konnte, irgendwie unpassend wirkte. »Sie hat gestern Abend die letzte Dosis verbraucht.«
»Woher weißt du das?«, platzte es Stephan heraus. »Die Kleine hat doch gar nichts gesagt. Kannst du etwa ihre Gedanken lesen?«
»Blödsinn!« Martin sah Stephan herausfordernd in die Augen. »Niemand kann die Gedanken eines anderen lesen.«
»Das ist mir auch klar, J… , äh, Martin. Es ist doch nur ein Spruch. Kein Grund, gleich ungeschmeidig zu werden.«
»Sind die Gockel dann mit dem Revierabstecken fertig?« Sandra sah die beiden vorwurfsvoll an.
»Wir brauchen Medizin«, stellte Martin überflüssigerweise fest.
»Hältst du es noch so lange aus?«, wollte Sandra von Gabi wissen.
Diese hatte sich inzwischen wieder ein wenig beruhigt und nickte schwach.
»Dann werden wir mal schauen, was Kerpen in dieser Richtung zu bieten hat. Wir brechen auf.«
*
Normalerweise brauchte man zu Fuß vom südlichen Ende Götzenkirchens bis zur Ortsmitte Kerpen nicht einmal eine Stunde. Durch das Gepäck sowie den angeschlagenen Gesundheitszustand von Gabi benötigte die Gruppe jedoch fast drei, um nur den Ortsrand zu erreichen.
Immer wieder mussten sie anhalten, damit sich das Mädchen ein bisschen erholen konnte. Patrick bot mehr als einmal an, sie zu tragen, aber sie weigerte sich standhaft. Tragen lassen würde sie sich nur von Martin, aber der war dazu im Moment nicht in der Verfassung, denn der kalte Entzug nahm seinen Körper mehr und mehr in Besitz.
»Was denkst du?«, wollte Patrick von Sandra wissen. »Wie viele der bedauernswerten Seelen haben sich hier versammelt?« Dann setzte er leise hinzu: »Möge der Herr ihnen gnädig sein.«
»Egal, wie viele es sind«, knurrte Sandra. »Im Zweifelsfall genügt einer, um uns Ärger zu machen.«
»Vielleicht sollten wir uns aufteilen«, schlug Stephan vor. »Ich bleibe mit den Kindern hier, und ihr seht nach, ob ihr ein paar Medikamente finden könnt.«
Martin wollte schon aufbrausen, als ihm Sandra zuvorkam: »Nichts da, wir bleiben zusammen! Was mich überhaupt darauf bringt: Wie geht es dir denn heute, Stephan? Irgendwelche Merkwürdigkeiten im Befinden?«
»Häh? Was meinst du?«
»Sie will sehen, ob du schon ein Stück weit zu einem der Freaks – wie du sie nennst – geworden bist.« Martin grinste. »Wundert dich das?«
»Bei euch wundert mich so langsam gar nichts mehr«, brummte Stephan, dann ergab er sich in sein Schicksal und ließ sich von Sandra ausgiebig mustern.
»Die Wunden heilen erstaunlich schnell bei dir«, stellte sie schließlich fest. »Aber es scheint alles okay zu ein.«
»Das waren ja auch nur ein paar oberflächliche Kratzer. Außerdem bin ich hart im Nehmen.«
»Gooock-gogooock-gogoooock!«, machte Martin das Gackern eines Huhns nach, was ihm von Stephan einen giftigen und Sandra einen vorwurfsvollen Blick einbrachte.
»Gibt es etwas zwischen euch beiden, von dem ich wissen sollte?«, fragte sie die beiden Männer. »Ich meine, bevor mir einer von euch in falsch verstandenem Geschlechterkampf ein Messer in den Rücken rammt oder so …«
»Nein, es ist alles bestens«, beeilte sich Stephan zu versichern. »Das ist so ein Männerding zwischen uns. Du weißt schon, die Rangordnung ermitteln, wenn ein Neuer ins Rudel kommt und all sowas. Nichts worüber man sich Sorgen machen müsste.«
»Siehst du das genauso?« Die Frage war an Martin gerichtet gewesen.
Einen kurzen Moment überlegte er, ob er Sandra davon erzählen sollte, was heute Nacht beim Wachwechsel vorgefallen war, ließ es dann aber lieber. Sie schien im Moment eh nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen zu sein, und wie es aussah, hielt sie Stephan für eine Bereicherung der Gruppe. Solange er nichts handfestes gegen diesen komischen Typen in der Hand hatte, war es wohl besser, den Ball erst einmal flach zu halten.
»Ja«, sagte er deshalb. »Stephan hat recht. Das ist so ein Männerding. Sobald wir ein paar Flöhe ausgetauscht haben, werden wir uns schon vertragen.«
»Genau das wollte ich hören.« Sandra nickte. »Aber reißt euch bei eurem ›Männerding‹ am Riemen, sonst mache ich euch nachhaltig klar, wer das Alphatier in diesem Rudel ist. Und dem ersten, der meint, sein Revier durch das Anpinkeln von Bäumen abstecken zu müssen, schieße ich die Eier weg.«
Ja, das bringst du fertig, ging es Martin durch den Kopf, dabei rieselte ihm ein wohliger Schauer den Rücken herunter, den er schnell seinen immer stärker werdenden Entzugserscheinungen zuschrieb.
*
»Wenn du den Karabiner fallen lässt, ist er hinterher vermutlich zu nichts mehr zu gebrauchen.« Sandra sah Martin skeptisch an.
Der war stehengeblieben, und sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt.
»Es geht gleich wieder«, presste er hervor. »Nur einen Moment noch. Und auf das Gewehr passe ich auf.«
So vorsichtig, wie es ging, lehnte er die Waffe gegen eine Hauswand, dann stütze er sich mit beiden Händen gegen die Mauer und wartete, bis sein Körper sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.
»Bist du dann soweit?«
Martin hätte sich nicht gewundert, wenn Sandra jeden Augenblick damit begonnen hätte, ungeduldig mit dem Fuß zu tappen. Er holte noch einmal tief Luft, dann drückte er sich von der Wand ab, nahm den Karabiner wieder auf und nickte. »Fertig, wir können.«
Sandra hatte recht, sie mussten weiter. Bislang hatte sich zwar kein Zombie blicken lassen, aber das konnte sich jederzeit ändern. Wenn es soweit war, waren die Pilger besser bereits wieder auf dem Weg aus der Ortschaft hinaus.
»Dort vorne!« Jonas zeigte auf eine Stelle, an der eine Seitenstraße einmündete. »Der weiße Hund ist wieder da!«
»Du musst dich irren«, meinte Patrick. »Das ist sicher ein anderes Tier. Ich denke nicht, dass uns der Hund aus Königsdorf hierher gefolgt ist, andernfalls hätte wir das sicherlich bemerkt.«
Martin war sich da nicht so sicher, konnte im Moment aber sowieso kaum einen klaren Gedanken fassen. Diese kreisten nämlich zunehmend nur noch um ein Thema: Stoff!
Der Hund stand ruhig da und schien die Gruppe zu beobachten. Plötzlich versteifte sich seine Haltung. Er knurrte, dann stieß er ein kurzes Bellen aus.
Sandra hob ihre Pistole und legte auf das Tier an. Die entsetzt aufgerissenen Augen der Kinder ignorierte sie dabei geflissentlich.
Doch bevor sie zum Schuss kam, zog sich der Hund zurück. Stattdessen tauchte im Eingang des Hauses, neben dem er eben noch gestanden hatte, ein Zombie auf. Fast im selben Moment krachte ein Schuss.
Da Sandra die Waffe sowieso schon grob in diese Richtung gehalten hatte, hatte es nur einer kleine Bewegung ihres Arms