Resilienz. Linda Graham

Resilienz - Linda Graham


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Langsames Atmen erhöht die Aktivierung des Vagus und den parasympathischen Tonus und führt damit zu einem besseren physischen und psychologischen Wohlbefinden. Langsames, tiefes Atmen kann wirksam Angst verhindern. Langsames und tiefes Atmen in Augenblicken der Angst bringt den Bauch-Vagus in einen Zustand der Kontrolle zurück, und so wie sich unser automatischer Zustand ändert, so kann sich auch unsere Geschichte ändern.

      DEB DANA, RHYTHMS OF REGULATION

      Sie atmen ständig. Zu atmen bedeutet zu leben. Jedes Einatmen aktiviert den Sympathikus Ihres Nervensystems ein wenig (oder sehr, wenn Sie auf etwas überreagieren oder hyperventilieren). Jedes Ausatmen aktiviert den Parasympathikus ein wenig (oder sehr, wenn Sie panische Angst haben und in Ohnmacht zu fallen drohen). Sie können lernen, diesen Rhythmus des Ein- und Ausatmens (längere Ausatmung) dazu zu benutzen, mehr Ruhe im Körper zu kultivieren und auf ein tieferes Gefühl des Wohlbefindens zuzugreifen.

      ÜBUNG 2–1: MINI-ATEM-MEDITATION31

      1. Atmen Sie bitte fünf bis zehn Atemzüge ganz natürlich und ruhig. Achten Sie dabei auf die Empfindungen des Einatmens (bemerken Sie die kühle Luft in den Nasenlöchern und im Hals und die sanfte Ausdehnung von Bauch und Brustkorb) und des Ausatmens (bemerken Sie die ausströmende wärmere Luft und die Entspannung von Bauch und Brustkorb). Und denken Sie an die praktische und enorm effiziente Formel »wenig und oft«. Halten Sie inne und wiederholen Sie die Übung dann mehrmals am Tag.

      2. Wenn Sie möchten, können Sie folgende Sätze des Zen-Meisters Thich Nhat Hanh still beim Atmen aufsagen: »Einatmen, ich bin zu Hause. Ausatmen, ich lächele.«

      3. Stellen Sie sich beim Einatmen »nach Hause kommen« vor und sagen dabei »Ich bin hier. Ich bin zu Hause«. Stellen Sie sich beim Ausatmen vor, wie Sie eine sichere Verbindung zu der äußeren Welt herstellen und in einen Zustand der Leichtigkeit und Harmonie mit anderen kommen. Stellen Sie sich vor, in das Wort Ich einzuatmen und in das Wort Wir auszuatmen. Wiederholen Sie diesen Rhythmus eine Minute lang.

      4. Diese Übung dient dazu, sich in ein beruhigendes Gefühl des Wohlbefindens und der Verbindung hinein zu entspannen und die Leichtigkeit beziehungsweise Ruhe in Körper und Geist zu vertiefen. Vielleicht bemerken Sie sogar ein Gefühl der Sicherheit in dem Augenblick: »Nichts wird in diesem Augenblick passieren, das mein Gefühl des Wohlbefindens zunichtemacht.« Lassen Sie sich in diese Leichtigkeit und Sicherheit fallen, auch wenn es nur diesen einen Augenblick lang ist.

      ÜBUNG 2–2: LIEBEVOLLES ATMEN32

      In dieser Übung benutzen Sie das gütige Gewahrsein Ihres Atems, um das Gefühl von Sicherheit und Ruhe in Körper und Geist zu stärken.

      5. Nehmen Sie eine bequeme Haltung ein, in der Sie Ihren Körper zwar stützen, sich aber nicht anstrengen müssen, um in dieser Haltung zu verweilen. Schließen Sie die Augen, wenn Sie möchten, oder lassen Sie Ihren Blick weich werden. Kommen Sie in ein Gefühl der Gegenwärtigkeit und entspannen Sie sich in Ihrem Körper. Atmen Sie mehrmals langsam ein und wieder aus, um unnötige Anspannung loszulassen.

      6. Richten Sie Ihr Gewahrsein auf den Atem. Bemerken Sie, wo Sie den Atem am ehesten spüren – vielleicht an den Nasenlöchern, im Hals oder im sich hebenden und wieder senkenden Bauch. Erlauben Sie sich, die einfachen Empfindungen beim Atmen zu bemerken. Fühlen Sie einfach nur Ihren Atem eine Zeit lang.

      7. Können Sie sich mit Offenheit, Neugier und Fürsorge auf sich selber und auf Ihren Atem einstellen? Wenn Sie dabei Unbehagen in Körper und Geist spüren, versuchen Sie einfach, mit diesem Unbehagen zu sein, lassen Sie sich auf das Unbehagen ein, akzeptieren Sie, dass es in diesem Moment so ist. Begegnen Sie sich selber mit Güte.

      8. Stellen Sie einfach fest, dass Sie sich nicht ans Atmen erinnern müssen. Ihr Körper atmet für Sie. Ihr Körper atmet Sie.

      9. Versuchen Sie, Ihren ganzen Körper beim Atmen zu fühlen. Bemerken Sie, wie Ihr Atem sich im ganzen Körper ausbreitet und jede Zelle mit Sauerstoff versorgt.

      10. Geben Sie sich dem Atem hin. Werden Sie Ihr Atem. Ruhen Sie eine oder zwei Minuten lang in der Leichtigkeit dieses Augenblicks.

      11. Erlauben Sie sich einen Moment der Wertschätzung und Dankbarkeit für diesen Atem, der Sie jeden Moment am Leben erhält.

      12. Lassen Sie dann Ihr Gewahrsein vom Atem los. Erlauben Sie allem, was in Ihr Gewahrsein tritt, für den Moment einfach nur so zu sein, wie es ist. Wenn Sie bereit sind, öffnen Sie wieder die Augen.

      Diese Übung hilft dabei, Ihre eigenen Intentionen und klugen Bemühungen anzuerkennen, ein authentisches Gefühl der Leichtigkeit und des Gleichgewichts zu erzeugen. Machen Sie sich klar, dass Sie ein Werkzeug lernen, mit dessen Hilfe Sie das Hoch- und das Herunterfahren Ihres Nervensystems zuverlässig regulieren können.

      Ein sanftes Ausrichten auf die Körperlichkeit Ihres Körpers kann Ihr Gewahrsein in der Sicherheit des gegenwärtigen Moments erden. Das Gewahrsein subtiler Bewegungen im Körper weckt Ihr Gehirn auf und bereitet dessen Neuroplastizität auf Neugier und Lernen vor.

      ÜBUNG 2–3: SICH AUF DIE FUSSSOHLEN FOKUSSIEREN33

      1. Stehen Sie bitte auf und fokussieren Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Fußsohlen im Kontakt mit dem Boden. (Ziehen Sie Ihre Schuhe aus, wenn Sie mögen.) Bemerken Sie die Empfindungen in Ihren Füßen, wie sie den Boden berühren.

      2. Wippen Sie vor und zurück und von einer Seite zur anderen. Bemerken Sie jede Veränderung in Ihrer Empfindung. Malen Sie mit Ihren Knien Kreise und fühlen Sie die Veränderungen der Empfindungen in den Fußsohlen.

      3. Wandert Ihr Geist, dann richten Sie einfach wieder Ihre Aufmerksamkeit auf die Fußsohlen.

      4. Heben Sie einen Fuß an und setzen ihn wieder ab. Heben Sie nun den anderen Fuß und setzen ihn wieder ab. Bemerken Sie, wie sich die Empfindungen in den Füßen beim Anheben und Absetzen verändern. Bemerken Sie dabei jede Veränderung im ganzen Körper.

      5. Beginnen Sie, langsam zu gehen, Schritt für Schritt, und bemerken Sie dabei jede Veränderung in den Fußsohlen. Achten Sie auf die Empfindung beim Anheben des Fußes, beim Schritt nach vorn und dann beim Absetzen des Fußes. Gehen Sie eine halbe bis eine Minute (oder länger, wenn Sie mögen).

      6. Halten Sie an und stehen Sie still. Bemerken Sie nun die Empfindungen in den Füßen und im Körper.

      7. Erkennen Sie an, dass die kleine Oberfläche der Füße Ihren ganzen Körper stützt. Vielleicht erlauben Sie sich einen Moment der Wertschätzung und der Dankbarkeit für diese großartige Leistung Ihrer Füße, die Sie durch Ihr gesamtes Leben hindurch tragen, Tag für Tag.

      8. Sie können diese Übung an der Kasse im Supermarkt machen (Sie müssen bei Punkt 5 Kreativität beweisen) oder anderswo, um in dieses Gefühl der Gegenwärtigkeit, Ruhe und Sicherheit in dem jeweiligen Moment zu kommen. Selbst die subtilen Bewegungen dieser Übung werden Ihr Nervensystem neu starten.

      Ebene 2: Pannen und Kummer, Unruhen und Stürme

      Wir geraten jeden Tag ein wenig aus dem Gleichgewicht. Selbst mit einer inneren sicheren Basis können Unruhen und Schwierigkeiten, eine kleine Krise oder eine große Katastrophe dafür sorgen, dass wir den Halt verlieren und unsere Resilienz zeitweise oder manchmal auch länger entgleist.

      Die nachfolgenden körperbasierten Übungen stärken das auf soziale Kontakte ausgerichtete System, welches unser Nervensystem beruhigt. »Dir geht es gut. Es ist in Ordnung. Alles wird gut«, auch dann, wenn die Dinge gar nicht gut aussehen. Diese Übungen unterstützen Sie darin, Ihre Resilienz wiederzuerlangen und die Ressourcen zu finden, es noch einmal zu versuchen.

      Laut Dacher Keltner, Gründer des Greater Good Science Center an der University of California in Berkeley, ist eine warmherzige, sichere Berührung der schnellste Weg, im Nervensystem Leichtigkeit und Ruhe wiederherzustellen.34 Berührung ist die »ursprüngliche Sprache des Mitgefühls, der Liebe und Dankbarkeit, das zentrale Medium, in dem das Gute eines Menschen auf einen anderen Menschen übergehen kann«. Warmherzige, sichere Berührungen aktivieren die Ausschüttung von Oxytocin, dem Hormon der Sicherheit und des Vertrauens,


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