Resilienz. Linda Graham

Resilienz - Linda Graham


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heute ein. Vielleicht haben sich die Folgen zu vieler Katastrophen mit der Zeit angesammelt und unsere Resilienz geschwächt. Wenn wir Störungen erleben, die einfach zu viel sind, können Traumata entstehen. Zu lernen, ein Trauma zu verarbeiten und es zu durchleben, ist die Grundlage von Resilienz.

      Zu jeder Zeit in Ihrem Leben können Sie sich einer dieser drei Ebenen der Resilienzstörung gegenübergestellt sehen. Die Werkzeuge in meinem Buch helfen Ihnen, sie alle zu umschiffen. Sie finden heraus, welche Werkzeuge Sie benötigen auf der Basis der Resilienz, die Sie in der bestimmten Situation fördern müssen, und verdrahten Ihr Gehirn nach Bedarf neu.

       Gehirnveränderung beschleunigen

      In meiner Arbeit habe ich fünf Praktiken entdeckt, die diese Prozesse der Gehirnveränderung beschleunigen.

      1. Wenig und oft funktioniert am besten

      Das Gehirn lernt immer von Erfahrung, jeder Erfahrung, ob positiv oder negativ. Das ist Teil der menschlichen Neurobiologie. Neurowissenschaftler haben auch festgestellt, dass das Gehirn am besten durch die Praxis von wenig und oft lernt, soll heißen, kleine Erfahrungen, viele Male wiederholt.22 Anders ausgedrückt: Es ist vermutlich besser für Sie, eher zehn Minuten pro Tag jeden Tag zu meditieren als eine Stunde lang nur einmal die Woche. Es ist vermutlich hilfreicher für Ihr Gehirn, die Perspektive zu ändern, wenn Sie drei bis fünf Dinge, für die Sie dankbar sind, wahrnehmen und jeden Abend notieren, als eine Liste mit zwanzig Dingen alle auf einmal am Wochenende aufzustellen.

      Der Neurowissenschaftler Richard Davidson sagt, Achtsamkeit und Selbstmitgefühl seien zwei der wissenschaftlich etabliert effektivsten Praktiken und Akteure für Gehirnveränderung.23 Diese Praktiken fungieren ganz genau so, wie das Gehirn am besten lernt: durch Moment-zu-Moment-zu-Moment-Praxis, die viele, viele Male wiederholt wird.

      Wollen wir die Folgen negativer, schädlicher oder traumatischer Erfahrungen rückgängig machen, ist wenig und oft die Devise, das heißt jeweils nur mit einem kleinen Teil der Erinnerung zu arbeiten. Wir machen kleine Schritte, damit das Gehirn nicht überwältigt oder von Neuem traumatisiert wird. Die Praxis von wenig und oft erlaubt es uns nicht nur, zu lernen und das neu Erlernte am besten zu untermauern, sondern sie hilft uns auch dabei, nutzlose Muster zu verlernen und neue Muster wirksamer zu etablieren.

      2. Sicherheit initiiert Neuroplastizität

      Die Notwendigkeit für Resilienz entsteht zunächst, weil wir auf etwas Neues oder Unbekanntes stoßen, ein Problem oder eine Gefahr, eine Herausforderung oder eine Krise. Wir entwickeln unsere Fähigkeit zur Resilienz jedes Mal dann, wenn wir uns erfolgreich mit diesen unbekannten Faktoren beschäftigen, das Problem lösen oder auf der anderen Seite einer Krise oder eines Traumas wieder auftauchen. Aber das Gehirn braucht auch eine Wahrnehmung (Neurozeption) von innerer Sicherheit, um die Neuroplastizität zu initiieren, die für alles Lernen und Neuverdrahten zuständig ist.24 Ein entspanntes Gehirn nimmt besser wahr und integriert das, was es aus Erfahrungen lernt, leichter als ein angespanntes, kontrahiertes Gehirn, das eng auf Überleben eingestellt ist.

      In Kapitel 2 werden Sie mehr über das natürliche physiologische Gleichgewicht des Gehirns erfahren und wie Sie damit kompetent arbeiten. Ruhig und entspannt und dabei gleichzeitig aktiv und wachsam zu sein ermöglicht es dem Gehirn – Ihnen –, jeder Aufregung, Störung, potenziellen Gefahr oder lebensbedrohlichen Situation kompetent zu begegnen. Sie bleiben in Ihrer Mitte, im Gleichgewicht, bewusst gegenwärtig für die Erfahrung, Sie sind in der Lage, ruhig zu bleiben und fortzufahren.

      Dieses natürliche Gleichgewicht des Gehirns wird in der Psychotherapie als Resilienzbandbreite und in der Traumatherapie als Toleranzfenster bezeichnet. In der buddhistischen Tradition gibt es ein ähnliches Konzept und wird dort Gleichmut genannt – als die Fähigkeit, den Tumult des Lebens mit ruhigen Augen zu betrachten. Und es gibt eine Geschichte aus dieser Tradition, die die Potenz dieser Art der inneren Sicherheitszone veranschaulicht.

      Ein buddhistischer Meister und seine Anhänger meditierten in einem Tempel, als ein Bandit mit seiner Bande, die die umliegenden Dörfer in Angst und Schrecken versetzte, hereinstürmte. Die Mönche flüchteten, aber der Meister fuhr still mit seiner Kontemplationspraxis fort. Außer sich vor Wut, dass der Meister nicht reagierte, zog der Bandit sein Schwert, hob es bis über den Kopf und schrie: »Verstehst du denn nicht? Ich könnte dich mit diesem Schwert durchbohren und dabei noch nicht einmal mit der Wimper zucken!« Der Meister erwiderte ruhig: »Verstehst du denn nicht? Ich könnte mit diesem Schwert von dir durchbohrt werden und dabei noch nicht einmal mit der Wimper zucken.« Der Bandit war durch den Gleichmut des Meisters so verunsichert, dass er mit seiner Bande umkehrte und floh. Er ward nie mehr gesehen.

      Das ist ein sehr hoher Maßstab, was das Bewahren von Ruhe angesichts von Gefahr anbelangt, aber Sie verstehen, was ich meine. Zu lernen, diese Art von Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, erlaubt es Ihnen, sich potenziellen Katastrophen ganz und gar zu stellen, ohne in Ihre automatischen Überlebensreaktionen von Kampf, Flucht, Erstarren oder Zusammenbruch zu fallen.

      3. Positive Emotionen schalten Gehirnfunktionen um

      Sämtliche Emotionen, negative und positive, sind starke Signale des Körpers an das Gehirn, die sagen: »Achtung! Es passiert gerade etwas Wichtiges!« Kapitel 3 stellt Werkzeuge vor, mit deren Hilfe Sie das Auf und Ab selbst der schwierigsten, manche würden sogar sagen destruktiven Emotionen bewältigen, damit diese Emotionen Sie eher informieren und motivieren, statt Sie zu überwältigen oder sich Ihrer vollständig bemächtigen. Sie werden auch lernen, wie Sie gewohnheitsmäßige Reaktionen neu verdrahten können, wenn solche negativen Emotionen an die Oberfläche gelangen.

      Aber zuerst sehen wir uns an, wie die Macht der positiven Emotionen die Funktionsweise des Gehirns aus Kontraktion und Reaktivität heraus und in mehr Offenheit, Empfänglichkeit und Optimismus hinein umschalten kann. Das direkte, messbare Ergebnis von Ursache und Wirkung dieser Umschaltung ist größere Resilienz. Sie lernen, positive Emotionen wie Dankbarkeit, Ehrfurcht und Freude zu kultivieren, nicht nur, um Ihre Stimmung zu verbessern und sich selber besser zu fühlen, sondern auch um es Ihrem Gehirn zu ermöglichen, besser zu arbeiten und klüger und kompetenter in all Ihren Interaktionen zu sein.

      4 Resonante Beziehungen vermitteln uns neue Strategien

      Von einem anderen Menschen wirklich gesehen, verstanden, akzeptiert und bestätigt zu werden als der Mensch, der wir wirklich sind, hilft uns sehr dabei, uns selber zu verstehen, zu akzeptieren, zu bestätigen und wertzuschätzen als der Mensch, der wir sind. Es hilft uns, eine innere sichere Resilienzgrundlage aufzubauen, die unerlässlich für unser Zurechtfinden in der Welt mit Ruhe, Mut und Kompetenz sind. Es erlaubt uns, anderen als Zuflucht und als Ressource für unsere Resilienz zu vertrauen.

      Vielleicht konnten Sie diese Wertschätzung nicht früh genug erleben oder ihr vertrauen. Fast der Hälfte von uns geht es so.25 Vielleicht zeigen Sie immer noch Muster des Misstrauens (gegenüber sich selber und anderen) aus der Kindheit, Muster, die durch wiederholte Erfahrungen von Verletzung, Verrat, Vernachlässigung, Verlassen-Werden, Zurückweisung und Kritik verstärkt werden. Kapitel 4 und 5 geben Ihnen einen Einblick in viele Werkzeuge und Techniken, um diese Muster aufzulösen und neu zu verdrahten, damit Sie dieses Vertrauen wieder vollständig zurückgewinnen. Sie werden Sie darin unterstützen, Ihre interpersonellen Fähigkeiten zu erweitern, wie um Hilfe zu bitten, Veränderungen auszuhandeln und Grenzen zu setzen. Diese Fähigkeiten, sowohl intime als auch soziale Beziehungen aufzubauen, sind eine grundlegende Quelle des Wohlbefindens und der Unterstützung Ihrer Resilienz.

      In ihrem Buch Macht der Liebe: Ein neuer Blick auf das größte Gefühl zeigt uns Barbara Fredrickson, die Pionierin der Positiven Psychologie, wie sich das Fundament für resonante Beziehungen entwickelt.26 Sind sich zwei Menschen körperlich nahe, haben Blickkontakt, teilen positive Emotionen (Güte, Heiterkeit, Freude) und das Gefühl der gegenseitigen Fürsorge und Sorge miteinander, dann fangen ihre Gehirnwellen an, sich aufeinander abzustimmen, sich widerzuspiegeln und das Gefühl von Resonanz zu schaffen, das ich als Vertrauen bezeichne und sie Liebe nennt.

      Diese neuronale Synchronie wird vermutlich durch die Freigabe von Oxytocin angetrieben, dem Hormon der Sicherheit und des Vertrauens,


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