Traditionelle Chinesische Medizin für Dummies. Jean Pélissier
angeborene Energie stammt auch aus einer unendlichen feinstofflicheren Energie, die sich weiterentwickelt, nämlich der Seele, die sich im Augenblick ihrer Inkarnation spaltet in eine »spirituelle Seele«, das Hun, das in der Leber »sitzt«, und eine körperliche Seele, das Po, das in der Lunge sitzt (siehe Kapitel 3).
Diese angeborene Energie kann mit einer Öllampe verglichen werden (dem Mikroprozessor des Computers). Dieses »energetische Öl« gestattet uns sowie allen anderen menschlichen Wesen, theoretisch 120 Jahre lang zu leben. Dies ist unser Lebenspotenzial zur Geburt, das sich abhängig von der Verbrennung des Dochts schneller oder langsamer verbraucht. Es gibt dabei einen direkten Zusammenhang mit unserem Lebensstil, der körperlichen und geistigen Hygiene. Dieser kleine Docht hat im Chinesischen einen Namen, das »Feuer des Ming Men«. Das Öl ist das Yuan Qi, die Ursprungsenergie.
Die erworbene Energie
Dies sind die Energieanschlüsse, die uns direkt mit unserer Umgebung verbinden. Sie können in drei Teile unterteilt werden:
Die Energie der Luft: Sie ist ein direkter Anschluss zu unserer Umgebung und zur Augenblicklichkeit, die vitalste der Energien. Professor Leung Kok Yuen (siehe Kapitel 1) sagte dazu: »Wenn Sie nicht mindestens zwei- bis dreihundertmal pro Tag ganz bewusst atmen, dann haben letztlich alle anderen Praktiken quasi keinen Sinn.«
Die Energie der Lebensmittel: Auch unsere Lebensmittel müssen energetisch geladen sein, und natürlich muss das Milz-Paket, Koordinationsleiter der Verdauung unserer Mahlzeiten, in der Lage sein, die richtigen Anweisungen zu geben, um diese Mahlzeiten weiterzuleiten. Eine der Ursachen von Depression ist ein Erlöschen der Energie der Milz. Die Depression begünstigt die Ansammlung von Lebensmittelabfällen im Organismus.
Die emotionelle Energie: Später werden wir sehen, dass sich jede Emotion direkt auf den Blutkreislauf und die Energie im Organismus auswirkt.
Die Bedeutung der Atmung
Die drei Säulen der Lebenskraft sind die Atmung, die Ernährung und unsere mentalen und emotionalen Zustände. Geraten unsere Emotionen aus dem Gleichgewicht, kann dies unsere Lebenserwartung beeinträchtigen, aber es braucht Monate, wenn nicht Jahre, bis sich daraus langsam ein Krebs entwickelt oder man sich das Leben nimmt. Wenn man aufhört, zu essen und vor allem zu trinken, lebt man noch circa zehn Tage. Wenn man aufhört zu atmen, bleiben noch drei Minuten zu leben!
Die Batterie des Organismus
Außerhalb dieser »Stromanschlüsse«, dank derer wir in Symbiose mit unserer Umgebung leben, hat unser Körpercomputer dank einer »Batterie« eine gewisse Funktionsautonomie. Wir werden sehen, dass sich diese virtuell im Unterbauch befindet, »zwischen den beiden Nieren«. Im Westen beginnt man langsam, die Bedeutung der Immunabwehr zu verstehen. Die TCM geht sehr viel weiter.
Diese Batterie steht für die immense Kapazität der Selbstverteidigung des Organismus, aber auch für seine völlig ungeahnten Fähigkeiten, sich anzupassen. Voraussetzung ist, dass diese Batterie regelmäßig maximal aufgeladen wird, nämlich durch die vorbeugenden Yang-Sheng-Fa-Methoden, die uns in diesem Buch immer wieder begegnen werden.
Wir können sagen, Ihr Organismus ist in gewisser Weise sein eigener Arzt, der sich um ihn kümmert:
Ein Gift ist über eine Mahlzeit in Ihren Magen gelangt? Wenn es sehr gefährlich ist, bedient sich Ihr Organismus einer der sieben therapeutischen Methoden, die ihm zur Verfügung stehen, des »Erbrechens«. Es erfolgt sofort oder innerhalb weniger Stunden, um das Gift loszuwerden. Handelt es sich um ein weniger auffälliges Gift, wie etwa Pflanzenschutzmittel oder andere chemische Produkte, scheidet sie unser Organismus am nächsten Tag über den Stuhlgang aus. Es bleibt ihm keine Zeit, sich im Organismus zu verteilen. Das geht aber nur, wenn die Batterie vollständig geladen ist. Natürlich sollte man am besten »sauber essen«, aber man kann nicht alles kontrollieren. Diese Sicht auf die Dinge gestattet uns, einige unserer Ängste abzulegen.
Eine extreme Emotion rüttelt an Ihrer Lebenskraft. Ihr Organismus muss in der Lage sein, sehr schnell eine sogenannte »Widerstandsfähigkeit« aufzubringen, einen Schutzmantel, um zu vermeiden, dass diese Emotion die Funktion Ihres Körpers zum Erliegen bringt. In einem zweiten Anlauf wird sie ihn definitiv vereinnahmen, Sie müssen also vermeiden, dass »emotionaler Abfall« in eine Position gelangt, von wo er sich auf Ihre Lebenskraft auswirken kann.
Wie geht das?
Die Batterie dient auch dazu, Ihnen »Alarmsignale« zu senden, wenn eines der fünf Organ-Pakete aus dem Gleichgewicht gerät. Beispielsweise bei einem abrupten Klimawandel oder in Zeiten der Epidemie gibt sie geeignete Anweisungen, um Sie vor allen sogenannten externen Angriffen zu schützen. Wir werden sehen, dass jede Emotion mit einer spezifischen Organ-Software zusammenhängt. Die zerstörerischste Emotion, mit der wir es zu tun haben können, ist die Angst. Sie »leert« die Batterie buchstäblich. Außerdem verhält sie sich wie ein Magnet: sie zieht den Gegenstand unserer eigentlichen Angst an. Die geladene Batterie blockiert dies, die Emotionen werden geregelt und die Angst verschwindet.
Diese täglich aufzuladende Batterie sorgt dafür, dass wir nicht unser Öl verlieren, das wir brauchen, um gesund alt zu werden. Wir vermeiden außerdem, vorzeitig zu altern. Dies ist die große Lehre der TCM im Hinblick auf die Langlebigkeit und auf die Fähigkeit, in einem bestimmten Alter »bei guter Gesundheit« zu sterben.
Abbildung 2.1: Die drei Energieformen
Die Energien verstehen – eine kleine Geschichte des sonntäglichen Halbmarathonläufers
Er steht morgens nach einer mehr oder weniger erholsamen Nacht auf. Niemand zwingt ihn, zu laufen: Seine mentale Energie steht bereit und hilft ihm, seine Batterie zu laden. Er hat die Ernährungsratschläge befolgt (Mischung langsamer und schneller Zucker), um sich mit Kraftstoff zu versorgen. Kurz gesagt, er startet mit seiner »Energie des Tages«. Der Lauf beginnt. Er fühlt sich stark und leistungsfähig. Aber nach ein paar Kilometern fängt seine Maschine an, Störungen zu zeigen. Ein Alarmsignal wird ausgegeben: die Müdigkeit. Ein taoistischer Weiser hätte sich nun ein wenig ausgeruht, um sich zu erholen. Unmöglich, weil er sonst zum Gespött der Gruppe wird. Er macht weiter. Was macht sein Organismus? Er zieht Kraft aus seiner Batterie, die nicht vollständig aufgeladen war. Er fühlt sich wieder in Form. Aber diese Batterie wird schnell völlig entladen sein. Ein großes Alarmsignal tritt auf: die große Müdigkeit. Er denkt an seinen Ruf in den Medien, und sein kleines Teufelchen flüstert ihm ständig ins Ohr: »Mach weiter, reiß dich zusammen, zeig, dass du ein Mann bist, mein Sohn!« Die Parole lautet: »Kein Problem!« Er macht weiter. In diesem Moment schaltet sein Organismus direkt auf seine Öllampe, seine Lebensessenz, die ihm eigentlich gestatten soll, mehr als 100 Jahre zu leben. Nicht nur dieses Öl wird aufgebraucht, sondern auch seine Leberenergie, die Endotoxine ausschüttet, die einer Droge ganz ähnlich sind: Die große Müdigkeit vergeht und er fühlt sich wie ein Übermensch und könnte selbst hinter der Ziellinie noch weiterlaufen. Aber zu welchem Preis! Er verschwendet unnötig seine Reserven. Er läuft zu seinem Schaden. Ein sehr weiser Taoist hätte nicht an diesem Lauf teilgenommen.
Die fünf Organ-Pakete