Traditionelle Chinesische Medizin für Dummies. Jean Pélissier
wie bei einer Wasserleitung in einem Gebäude, wo die großen, unter hohem Druck stehenden Zuleitungen tief liegen und dann auf das aus dem Wasserhahn kommende Wasser reduziert werden, haben wir auf der Oberfläche unseres Körpers einen Energiekreislauf auf drei Ebenen:
Der Meridian, also die große Energieleitung, befindet sich sehr tief zwischen Knochen und Muskel. Dies ist einer der Gründe, warum der Akupunkteur sehr feine Nadeln verwendet, um auf die Punkte einzuwirken, die sich auf dieser »Leitung« befinden.
Auf mittlerer Ebene zwischen dem Gewebe und dem Muskel. Dies sind Verzweigungen des Hauptmeridians, sehr viel kleinere Leitungen, die durch die Akupressur (siehe Kapitel 14) oder eine tiefere punktuelle Massage erreichbar sind.
Auf oberflächlicher Ebene sind dies beispielsweise Blutgefäße, Energiekapillaren, die sich an der Hautoberfläche befinden. Man spricht hier nicht mehr von Meridianen, sondern von Yin- oder Yang-Zonen. Auf der Hautoberfläche sehen wir ein Gewirr von Yin- und Yang-Meridianen. Wir erreichen diesen Bereich mit allen oberflächlichen Körpermassagetechniken.
Einfache Methode zum Erkennen von Yin- und Yang-Zonen des Körpers
Es reicht aus, auf alle viere zu gehen, die Hände nach außen. Alle verdeckten Zonen, die sich innerhalb dieses »Käfigs« befinden (Unterleib, Thorax, Innenseite der unteren und oberen Extremitäten), sind Yin-Zonen. Sie zeigen nach innen oder zur Erde, das ist Yin. Im Gegensatz dazu sind der Rücken, die Außenseite der oberen Extremitäten, dort wo sich die Haare befinden, die hintere äußere Seite der Beine »Yang-Zonen«. Diese Zonen sind nach außen gerichtet oder zum Himmel, das ist Yang.
Ein Grundsatz der TCM: »Das Yang schützt das Yin.« In der Praxis der Kampfkünste lernt man als Erstes, wie man sich zu einem Ball zusammenrollt und eine Art Energiepanzer schafft, der alle Muskeln umspannt. Die Yang-Zonen werden von den Schlägen getroffen, unter anderem der Rücken, aber die Yin-Seite, auf der sich die lebenswichtigen Organe befinden, bleibt geschützt. Ein Schlag gegen die Brust oder den Bauch kann jedoch tödlich sein.
Die Zerbrechlichkeit des menschlichen Wesens
Die meisten Tiere im Himmel und auf der Erde wenden ihre Yang-Seite des Körpers zum Himmel, ihre Yin-Seite zur Erde. Wir sind anders, wir legen unsere Yin-Seite offen, Unterleib und Thorax, wo sich unsere zwölf lebenswichtigen Organe befinden, unsere »denkenden« Organe, zeigen nach vorn, offen gegenüber anderen. Eine zweischneidige Angelegenheit. Als emotionale Wesen empfangen wir die negativen Emotionen anderer »im Bauch«. Wir können aber auch leichter dieselbe emotionale Energie von dort aussenden, um den anderen zu heilen. Das ist unsere Schwäche, aber auch unsere Stärke.
Die Entwicklung einer Krankheit vorhersagen
Eine innere Krankheit kann nicht unvermittelt auftreten, »ganz von selbst«. Wenn wir fallen, einen Stoß bekommen, wissen wir, warum wir uns verletzen. Doch bevor wir Rheuma, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen und Krebs haben, werden wir mehrere Monate lang »große Schmerzen« gehabt haben, vielleicht sogar mehrere Jahre, bevor zahlreiche Alarmsignale auftreten, die nicht zu übersehen sind.
Die TCM gestattet uns, anhand der Symptome die Entwicklung einer Krankheit vorherzusehen.
Normalerweise beginnt eine Krankheit mit den folgenden Signalen:
auf den Yin- oder Yang-Meridianen gegenüber dem angegriffenen Organ. Ein Blutkrebs beispielsweise, der mit emotionalen Blockaden verbunden ist, lässt die Energie auf Höhe der Leber stagnieren, beginnend bei der linken Brust auf der Außenseite, wo der Gallenblasenmeridian verläuft.
auf dem Yang-Meridian vor dem Yin-Meridian (das Yang schützt das Yin). Wenn ein Yang-Meridian erreicht ist, erscheint das Symptom meistens oben am Körper, auf der zum Himmel gewandten Seite, Yang, um anschließend am Körper nach unten zu verlaufen, Erdseite, Yin. Das Umgekehrte gilt für Yin-Meridiane.
Wenn man die Lebensgewohnheiten nicht ändert, entwickelt sich die Krankheit weiter und erreicht das Yang-Organ, das das Yin-Organ schützt. Letzten Endes wird das lebenswichtige Yin-Organ erreicht.
Kapitel 3
Die wichtigsten Konzepte der Traditionellen Chinesischen Medizin
IN DIESEM KAPITEL
Das Konzept des Yin-Yang
Das Qi, die Energie
Die große Hun-Po-Shen-Triade
Die drei Erwärmer, San Jiao
TCM: Ein potenzieller Detektiv oder die Geschichte eines einfachen Pilzes
Wir werden sehen, dass in der TCM jedes Element der Natur mit einem Organ zusammenhängt. Beispielsweise wird die Energie der Milz/Bauchspeicheldrüse mit der Erde in Verbindung gebracht. Wenn die Erde in der Natur warm und feucht ist, vermehren sich kleine Wanzen und es entsteht Dung. In unserem Organismus ist es nicht sehr viel anders. Man sagt, »die Milz mag keine Feuchtigkeit«. Welche Faktoren begünstigen diesen Zustand? Ein Übermaß an schnellen Zuckern, gesättigte Fette, Milch, Butter, Käse, Getränke, die Aussetzung gegenüber äußerer Feuchtigkeit und … übermäßig viele Gedanken und Grübeleien! Wenn alle Ursachen vorliegen und sich dieser Zustand im Organismus breitgemacht hat, »exportiert« er Alarmsymptome. Auf dem Fuß eines Patienten beobachten wir »Pilze« unter dem Nagel des Großzehs. Wir wissen, dass die Yin-Meridiane für Leber und Milz auf dieser Ebene beginnen. Wir erkennen ein Problem, das mit der Feuchtigkeit zu tun hat. Wir suchen nach ein paar weiteren Indizien (Zahnabdrücke am Zungenrand, auf einer verdickten Zunge, Gewichtszunahme durch Flüssigkeitsansammlungen, Kinn dunkler als das restliche Gesicht und so weiter). Die Diagnose ist gestellt: zu viel Flüssigkeit auf Höhe der Milz. Wenn der Arzt die Tiefe des Symptoms nicht erkannt hat, verschreibt er ein Mittel gegen den Pilz (oder vielleicht einen speziellen Nagellack, der die Mykose überdeckt). Damit verschleiert man ein Alarmsymptom. Der Patient wird wieder entlassen und verharrt in seinen Ungleichgewichten, weil er nicht »belehrt« wurde. Die Krankheit schreitet immer mehr nach innen fort: weiße Vaginalsekrete, Gefühl der Schwere, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Auftreten von Madenwürmern, analer Juckreiz und so weiter.
Wenn diese verschiedenen Symptome nicht behandelt werden, erreichen die Krankheiten irgendwann den Magen (Yang-Organ) und schließlich die lebensnotwendige Bauchspeicheldrüse (Yin-Organ). Langsam entstehen verschiedene Stufen des Diabetes, und ganz zum Schluss Pankreatitis oder Bauchspeicheldrüsenkrebs. Mit der Kenntnis und der Umsetzung der vorbeugenden Maßnahmen hätte dies vermieden werden können!
Das Konzept des Yin-Yang
Was das Yin-Yang nicht ist
Yin und Yang sind nicht, wie wir es allzu oft sehen, in zwei einander gegenüberliegende Listen aufteilbar, wo wir auf der einen Seite weiß, auf der anderen schwarz, ja/nein, oben/unten und so weiter haben. Diese Art der Betrachtung könnte uns glauben machen, die TCM sei manichäisch. Das klare Ja oder Nein unserer Sprache gibt es in der chinesischen Sichtweise nicht. Das Ideogramm bedeutet »Ja, aber …« oder »Nein, aber …«.
Definitionsversuch