Traditionelle Chinesische Medizin für Dummies. Jean Pélissier

Traditionelle Chinesische Medizin für Dummies - Jean Pélissier


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      Im menschlichen Körper heißt das Qi, das die Lebenskraft erhält, Zhen Qi, das ursprüngliche Qi, die Ursprungsenergie. Sie stammt aus der angeborenen Energie (wobei wir drei Generationen zurückblicken), aber auch aus der Energie des Himmels und der Erde, dem sogenannten Ling Qi. Nach der Geburt bilden diese beiden Energien ein angeborenes Kapital, das zunächst in der Niere sitzt. Dieses energetische Kapital heißt Yuan Qi, das grundlegende Qi, das Qi des Lebensbeginns (das wir zuvor als die »Öllampe« bezeichnet haben).

      Nach der Geburt beginnt die Lunge zu atmen. Wir nehmen die Energie der Luft auf, die Luft des Himmels, Yang Qi. Wir brauchen außerdem die Energie von Nahrungsmitteln. Im Chinesischen sprechen wir vom Shui Gu. Der Begriff bedeutet »Wasser und Getreide«. Dies ist die Energie der Milz, die die Essenz der Nahrungsmittel aufnehmen muss, Ku Qi, um zu funktionieren. Das Yang Qi der Luft und das Ku Qi vermischen sich zum Zhong Qi, dem Qi der Mitte, auch als Qi des mittleren Erwärmers bezeichnet.

       Wie wandeln sich Nahrungsmittel in Energie um?

Die Umwandlung des Qi aus dem Getreide erfolgt unter der wärmenden Wirkung des Yuan Qi, das in der Niere sitzt. Dieses wärmende Feuer heißt das Feuer des Ming Men (die kleine Flamme der Öllampe). Das Vorhandensein dieses Feuers startet die Arbeit der Milz (der Verdauungsprozess beginnt bei 28 Grad!). Dies könnte man mit dem Regler am Heizkörper vergleichen. Ab diesem Zeitpunkt beginnt die Milz, das Nahrungsmittel in Ku Qi umzuwandeln, um dieses an die Lunge zu schicken. Dort vermischen sich das Ku Qi, die Energie der Nahrungsmittel, und das Qi aus der Luft zum Zhong Qi (siehe Abbildung 3.2).

       Was ist die rechte Energie?

      Wenn sich das Zhong Qi mit dem Yuan Qi zum grundlegenden Qi vereinigt, bilden sie das Zhen Qi, die rechte, die normale Energie, die Energie der Verteidigung. Diese Energie erreicht selbst die entlegensten Zonen des Organismus. Sie durchläuft alle Organe und alle ihre Meridiane und deren Verzweigungen. Sie hat die bemerkenswerte Eigenschaft, dass sie dauernd erneuert wird, weil sie sich stetig im Organismus verteilt. Aus diesem Grund haben wir regelmäßig Hunger und Durst und müssen immer atmen. Eine materiellere Vorstellung als die Verteilung der Energie sind etwa die berühmten weißen Blutkörperchen, die den Körper schützen und in alle Regionen des Organismus vordringen. Der Körper braucht zu jedem Zeitpunkt eine ausreichende Menge an rechter Energie, Zhen Qi. Diejenige, die nicht sofort genutzt wird, wird in der Niere gespeichert (Batterie des Organismus). Man spricht auch vom Jing Qi, das ist das überschüssige Zhen Qi, die rechte Energie. Nicht vergessen: Wir befinden uns hier in der reinen Energetik!

      Was sind die drei wichtigsten Organe für die Produktion von Qi?

      Das Qi stammt hauptsächlich aus der Niere, der Milz und der Lunge, aber der größte Teil wird von der Niere abgedeckt. Diese beinhaltet zwei Energien, das angeborene Yuan Qi und das erworbene Jing Qi (die Chinesen sprechen auch von der »Energie des früheren Himmels« und der »Energie des späteren Himmels«). Wir werden später in diesem Kapitel noch einmal auf das Konzept des Qi zurückkommen, im Abschnitt über die »Drei Erwärmer«.

      

Die TCM bezieht ihre ganze Kohärenz aus der Existenz eines Konzepts jenseits der Energie, das wir als »die Seele« bezeichnen können und das für unseren materialistischen westlichen Geist schlecht fassbar ist.

      Zuvor haben wir gesehen, dass die Dualität unverzichtbar für das Leben ist. Aber vor dem Leben und nach dem Tod befinden wir uns in der Einheit. Die Seele bildet keine Ausnahme zu dieser Regel. Wenn sie »inkarniert«, wird sie dual. Wir haben eine sogenannte »spirituelle« oder »ätherische« Seele, das Hun, und eine »körperliche« Seele, das Po. Diese beiden immateriellen Entitäten sind die »ausführenden Kräfte« der Lebenskraft, auch als Shen Ming bezeichnet. In unserer sogenannten »modernen Zeit« werden diese Entitäten völlig außer Acht gelassen. Es ist ein bisschen so, als sähe man einen Film auf einem großen Bildschirm. Man sieht die Bilder, man denkt, es handle sich um die Realität, und man denkt nicht daran, dass es im Hintergrund einen Projektor gibt und die Bilder, die man sieht, von einer Kamera aufgenommen wurden. Gar nicht zu reden vom Regisseur! Professor Leung hat es so ausgedrückt: »Das Hun ist das himmlische Prinzip mit himmlischer Bestimmung. Das Po ist das himmlische Prinzip mit irdischer Bestimmung.«

       Die spirituelle Seele, das Hun

      Aus medizinischer Sicht handelt es sich um eine immaterielle Entität, die aus dem Universum kommt. Es ist die intuitive und nicht rationale Seite der menschlichen Natur. Sie hat keine Farbe, keine Form, keinen Geschmack. Sie ist unsichtbar. Sie ist nicht mit Materie verknüpft. Aus diesem Grund ordnet man sie dem Yang zu. Man sagt, das Hun sitzt in der Leber, genauer gesagt, in der Yin-Schicht der Leber.

      

Für den Erhalt unseres emotionalen Gleichgewichts spielt sie eine sehr wichtige Rolle, um die Energie der Leber gut zu regeln. Ist beispielsweise die Yin-Schicht der Leber unzureichend, nimmt sie nicht genügend Blut auf. Man sagt, das Hun verliert seine Heimat und irrt womöglich ziellos umher. Dies ist eine wesentliche Ursache für Schlaflosigkeit und schlechte Träume.

       Wenn das Blut in der Leber stagniert, entsteht ein Hindernis für die stetige Bewegung des Hun: Die Person verliert ihre Fähigkeit zu planen, sie wird desorientiert. Ein offenes Tor für die Depression.

       Ist im Gegensatz dazu das Yang der Leber überschüssig, liegt eine Hyperaktivität des Hun vor, das zu viele Informationen an das Herz sendet, das Shen. Dieses wird hyperaktiv. Dies ist der Ursprung zahlreicher geistiger und emotionaler Krankheiten, wie beispielsweise Autismus, bipolare Störung, Verhaltensstörungen und letztlich der Alzheimer-Krankheit, in der TCM »halber Tod« genannt: Das Hun, die spirituelle Seele, löst sich vom Körper.

      Das Hun existiert unabhängig vom Geist. Dort befinden sich Ideen, Hoffnungen, Kreativität, Lebensträume, Intuitionen. Die Seele weiß alles: Nicht umsonst sagt man, man lebe »im Einklang mit seiner Seele«. Die spirituelle Seele denkt nicht, aber sie empfindet und sie weiß. Das Hun ist der Ursprung der Entstehung des Geistes, des Shen, des Ego, der kognitiven Fähigkeiten, der Emotionen.

      Wenn sich der Körper in perfekter Harmonie befindet, wenn das Shen, der Geist, unser Bewusstsein, nicht permanent die Szene beherrscht, wenn wir nicht viel zu viele Gedanken denken müssen, dann kann sich das Hun uns in Form von Träumen, Intuitionen und »Geistesblitzen« offenbaren. Einer der großen Zwecke der Yang-Sheng-Fa-Methoden, die Bewahrung des Lebens in der TCM, ist es, unser Shen ruhen zu lassen, den Geist, damit unsere Seele Ausdruck finden kann. Und der Zweck des vollen Bewusstseins ist es, sich dem »Flüstern der Seele« hinzugeben.

       Die körperliche Seele, das Po

      Po bezeichnet das, was vor dem Leben nicht existiert. Es ist das Medium der lebenden Materie. Etwas, was nicht beobachtbar ist. Es ist der Mittelpunkt aller automatisierten Funktionen des Körpers, von »allem, was ohne unser Wissen und unsere Zustimmung stattfindet«.


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