Sturmgeflüster. Alexandra Walczyk

Sturmgeflüster - Alexandra Walczyk


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Horse dagegen wusste sicher alles und erzählte nichts. Offenbar war er der Meinung, dass es besser für alle Beteiligten wäre, wenn er sich nicht einmischte. Auch gut. Immerhin war er einer der gastfreundlichsten Menschen, denen Lewis je begegnet war. Andrew und er hatten die ganze Zeit über bei ihm und seiner vierköpfigen Familie gewohnt. Und das, obwohl Little Horse bis dahin keinen von ihnen gekannt hatte.

      Andrew Maclean war mittlerweile zurück in Schottland, seiner alten Heimat. Es ging ihm gut. Das stand in seinem letzten Brief, der vor zwei Wochen angekommen war. Seitdem verfügte Lewis über ein hübsches Sümmchen auf seinem Bankkonto. Sein Vater hatte ihm die Hälfte des Geldes, das der Verkauf ihrer Wohnung in New York erbracht hatte, überlassen. Er wollte, dass Lewis frei war. Frei zu entscheiden, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Andrew hatte es gut gemeint. Wenigstens war Lewis dadurch die Sorge um einen Job los. Vorerst zumindest.

      Lewis ging zu einem der Fenster und sah hinaus. Der Winter war über Nacht gekommen. Heftige Schneestürme und eisiger Frost hatten seinen Einzug begleitet. Jetzt hielt er das Land und die Menschen fest im Griff und Lewis begann sich zu fragen, wie er diesen Teil des Jahres in der trostlosen Einsamkeit seines Hauses überstehen sollte. War er frei?

      Er sah hinüber zu den Pappeln. Kahl und starr umstanden sie das Haus. Kein Flüstern der Blätter mehr, kein Rauschen. Nur noch die Äste gaben wehmütig knarzende Töne von sich, wenn die Kälte der Nacht der blassen Wärme des Tages wich oder der Sturm über die Ebene tobte. Kleine Vögel suchten Schutz im dichteren Geäst. Lewis riss den Blick von ihnen los und ging zu dem gusseisernen Ofen in der Ecke.

      Der Ofen heizte gut. Alle vier Räume des Hauses, wenn es sein musste. Der Ofen und das bereitliegende Holz waren, neben einem ausziehbaren Schlafsofa und einer Kiste mit Büchern, eine spärliche Erweiterung der restlichen Kücheneinrichtung. Im Bad gab es eine neue Dusche, ein Waschbecken und ein WC. Lewis hatte die Leitungen verlegen lassen. Wasser vom Brunnen im Hof zu holen, das hatte er sich noch vorstellen können, aber im Winter auf ein zugiges Aborthäuschen angewiesen zu sein, das überstieg dann doch seine Vorstellungskraft. Mochten die Leute denken, was sie wollten.

      Die Küche wirkte gleichsam luxuriös im Vergleich zu den übrigen Räumen. Ein nagelneuer Elektroherd prangte neben dem silberglänzenden Spülbecken und den weißen Einbauschränken. Gegenüber, unter dem zweiten Küchenfenster, standen ein großzügiger Tisch und sechs Stühle. Die nackte Glühbirne, die von der Decke baumelte, erregte noch Lewis Missfallen, aber ansonsten war er mit dem Ergebnis seiner Arbeit durchaus zufrieden. Das Schlafzimmer schließlich beherbergte ein breites Bett und ein paar Kleiderhaken. Auf dem Boden standen noch einige seiner Umzugskisten, von denen eine als Nachttisch diente, auf dem etwas verloren eine Lampe neben ein paar Büchern stand. Der vierte Raum war leer. Lewis hoffte, dass Alma die Küche gefiel. Sie hatte seine sonstigen Errungenschaften nur mit einem kurzen Nicken gewürdigt, als sie vor drei Wochen das letzte Mal vorbeigeschaut hatte, um ihn zum wiederholten Male darauf aufmerksam zu machen, dass die Küche der wichtigste Ort in einem Haus wäre. Der Ort, wo alle zusammenkommen. Alma hatte ihm auch manchmal ihre beiden halbwüchsigen Söhne vorbeigeschickt, damit sie ihm am Anfang beim Streichen und beim Verlegen der Böden halfen. Nathan und Jason hatten bereitwillig mitangefasst und Lewis war froh über ihre Hilfe gewesen, aber eine persönliche Beziehung war nicht entstanden. Lewis, der die beiden für ihre Mühe großzügig bezahlt hatte, fragte sich, ob es wohl nicht genug war. Inzwischen glaubte er aber zu wissen, dass die Bezahlung an sich ein Fehler gewesen war. Warum, wusste er allerdings nicht.

      Er bewegte sich nach wie vor in einem luftleeren Raum und hatte keine Ahnung, ob sich das je ändern würde. Wenn er jedoch wirklich bleiben wollte, konnte er nicht für den Rest seines Lebens an Almas Rockzipfel hängen oder die Gastfreundschaft der Little Horses über Gebühr in Anspruch nehmen. Er musste lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.

      Lewis legte Holz nach, betrachtete seine schwindenden Vorräte und wusste, dass er bald für Nachschub würde sorgen müssen. Natürlich könnte er auch rausgehen und ein paar Pappeln fällen, aber der Gedanke widerstrebte ihm. Außerdem gingen auch einige seiner Lebensmittel zur Neige. Er musste also ohnehin nach Rosebud oder Mission. Ihm graute bei dem Gedanken an diese Fahrt. Lewis verließ nur ungern seine selbst gewählte Einsamkeit, obwohl ihm auch davor zu grauen begann und er manchmal schweißgebadet aus irgendwelchen Albträumen hochschreckte, nur um den Rest solcher Nächte dösend auf einem Küchenstuhl zu verbringen, wo ihm die Schrecken der Vergangenheit nichts anhaben konnten.

      Er würde also fahren. Alma und Bernard hatten ihn oft genug gewarnt, im Winter niemals die Vorräte ausgehen zu lassen. Er wohnte, selbst nach den großzügigen Reservatsmaßstäben, weit draußen. Und er lebte allein. Wenn das Benzin ausging oder der Motor einfror oder die Straße unpassierbar war, musste er in der Lage sein, für eine Weile zu überleben. Ein Hund wäre nicht schlecht, dachte Lewis. Vielleicht nächstes Jahr. Falls er dann noch hier war.

      Zwei Tage später betrat Lewis das Gebäude des Rosebud Tribal Office und warf einen Blick in Almas Büro, um nachzusehen, ob sie eventuell Zeit für ihn hätte.

      Eine junge Frau, die Lewis nicht kannte, saß am Computer und sah kurz hoch, als sie merkte, dass sie nicht mehr allein im Zimmer war. Fragend hob sie die Augenbrauen.

      „Entschuldigung, die Tür war offen. Ich suche Miss Yellow Hat.“

      „Worum geht es denn? Miss Yellow Hat ist im Augenblick nicht hier, aber vielleicht kann ich Ihnen helfen?“

      „Nein, Miss …?“

      „Miller. Bernice Miller.“

      „Ja, also Miss Miller, es handelt sich eher um eine private Angelegenheit. Ich wollte nur eben vorbeischauen, da ich sowieso in Rosebud zu tun hatte.“ Lewis stand unschlüssig vor Miss Miller und ihrem Computer und überlegte. „Wissen Sie, wann sie wieder zurück sein wird? Oder wo ich sie erreichen könnte?“

      „Hm, sie besucht ihre Familie in Lower Brulé und auf dem Rückweg wollte sie über Pierre fahren. Das kann dauern. Außerdem soll das Wetter wieder schlechter werden. Warum rufen Sie sie nicht einfach an, ich könnte …“

      Bevor sich Bernice Miller für das Thema erwärmen konnte, immerhin hatte sie bereits die Finger von der Tastatur genommen und sich etwas bequemer auf ihrem Stuhl zurechtgesetzt, dankte ihr Lewis für die Auskunft und hatte das Büro so schnell wieder verlassen, dass Bernice nur noch verblüfft auf die Stelle blicken konnte, an der er eben noch gestanden hatte. Sie schüttelte den Kopf mit der sorgfältig gelegten Dauerwelle und wollte wieder an die Arbeit gehen, als ihr plötzlich etwas einfiel. Sie stieß ihren Stuhl zurück und sprang auf.

      „Hallo, warten Sie! Mr Left Hand?!“

      Lewis, der im Begriff gewesen war, das Gebäude zu verlassen, drehte sich überrascht um und wartete auf Bernice, die ihm nachgelaufen war und ihn jetzt neugierig musterte.

      „Sie sind doch Lewis Left Hand, nicht wahr?“ Ihre Augen funkelten bei dieser Frage und sie wirkte aufgeregt und nervös. Das Gegenteil von vorhin. Diesem seltsamen Verhalten begegnete Lewis nicht zum ersten Mal. Wann immer die Leute mit seiner Person und dem Namen Left Hand konfrontiert wurden, löste dies entweder pures Entzücken oder nur schlecht verhohlene Abneigung aus. Anfangs hatte Lewis verstört und verärgert reagiert, dann fand er die unterschiedlichen Reaktionen amüsant. Inzwischen ließen sie ihn gleichgültig und so nickte er nur knapp, um Miss Miller ihre Frage zu beantworten. Gleichzeitig bedeutete ihr sein Gesichtsausdruck, dass er sich in Eile befand und sie sich kurz fassen sollte. Bernice war noch jung genug, um zu erröten und sich ertappt zu fühlen. Andererseits arbeitete sie lange genug in Büros, um sich ihrer Kompetenz und Wichtigkeit durchaus bewusst zu sein. Sie hob den Kopf und sah Lewis kühl in die Augen.

      „Nun, Alma Yellow Hat lässt Ihnen etwas ausrichten. Für den Fall, dass Sie hierher kommen und sie nicht da sein sollte.“

      Lewis wartete und erwiderte ihren Blick gleichmütig. Bernices Mundwinkel zuckten und sie war jetzt deutlich verärgert über diesen jungen Mann, der ihre Zeit bereits über Gebühr in Anspruch genommen hatte, ohne dass sie einen Vorteil daraus hätte ziehen können. Unhöflich war er auch. Auf was er sich wohl etwas einbildete? Ohne Alma und dem Stammesratsmitglied Little Horse wäre er schon längst wieder


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