Verwurzelt in der Caritas. Daniela Blank
an: „Die fortschrittliche Frauenbewegung, die als nächstes Ziel die Erlangung der vollständigen politischen Gleichstellung der Frau mit dem Manne aufstellt, stößt in den Reihen der Frauen selbst noch auf viel Unverständnis und Indolenz, von direkter Gegnerschaft gar nicht zu reden.“36
Frauen und Berufstätigkeit
Sofern Frauen außerhäuslich berufstätig sind, so sind sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem als Dienstbotinnen, Fabrikarbeiterinnen, im Handel, als Beamtinnen im Post,- Bahn, Telegrafen, und Telefondienst und als Lehrerinnen beschäftigt. Vor allem der Lehrerinnenberuf wird gesellschaftlich als der „Frauennatur“ entsprechend betrachtet.37
Trotz der Errungenschaften und der Möglichkeit für Frauen, sich auch akademisch zu bilden und einem Beruf nachzugehen, ist ein Großteil der Gesellschaft der Meinung, dass die Frau nicht in Konkurrenz zum Mann treten solle. So meint der Theologe Augustin Rösler: „Auf dem politischen und wirtschaftlichen Gebiete wird dem Manne stets die Führerrolle verbleiben.“38 Keineswegs sollte eine „Frau […] ganz oder teilweise in den Wirkungskreis des Mannes eintreten.“39 Ein Beispiel stellt die Schriftstellerei dar. Für eine Frau ist es um 1900 schwierig und mit Kritik verbunden, schriftstellerisch tätig zu sein und zu publizieren. Rösler kritisiert es 1903 allerdings, „wenn von vornherein jede Schriftstellerin als Blaustrumpf und Emanzipierte verhöhnt wird.“ Er setzt sich für die Veröffentlichung von Schriften durch Schriftstellerinnen ein, sofern ihre familiären Pflichten nicht vernachlässigt werden.40
Im Bereich der Industriearbeitenden kommt es zu einer sehr hohen Frauenberufstätigkeit, damit einhergehend auch zu Konkurrenzsituationen: In den neu entstandenen Fabriken existiert seit Beginn der Industrialisierung ein erhöhter Bedarf an Arbeitskräften, sodass auch Frauen als Arbeitskräfte in Betracht gezogen werden. Diese werden geringer entlohnt als ihre männlichen Kollegen, was zu einer Konkurrenzsituation zwischen den männlichen und den weiblichen Arbeitskräften führt. Schon bald sind bereits ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung weiblichen Geschlechts: „Nach der Berufszählung von 1907 war der dritte Teil aller erwerbstätigen Bürger des Deutschen Reichs Frauen.“41
Ehe als Ziel
Selbst in den Fällen, in denen es notwendig ist, dass die Frau einem Beruf nachgeht, ist eine längere Erwerbstätigkeit der Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht vorgesehen: „Für das Mädchen ist eine Erwerbstätigkeit von vornherein nur ein Durchgangs-stadium für die Ehe, nicht ein dauernder Beruf.“ Aus diesem Grund müsse die Vorbildung für die Frauen auch nicht so intensiv betrieben werden wie für die Männer.42 Eine ökonomische Unabhängigkeit der Frau wird dabei nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern von manchen sogar befürwortet: „Daß jedes Mädchen eine solche Ausbildung anstreben soll, die ihm eine ökonomische Unabhängigkeit und Selbständigkeit sichern kann, müssen sogar jene zugeben, die mit allgemeiner Verheiratung die Frauenfrage lösen wollen. Nur sittliche und wirtschaftliche Selbständigkeit kann dem Mädchen die nötige Freiheit bei der Wahl der Ehe sichern.“43 Aus diesem Zitat wird ersichtlich, dass selbst die Berufstätigkeit der Frau letztlich auf eine Eheschließung abzielt.
Bildung für die Frau mit dem Ziel der Mutterschaft
Im Zuge der Frauenbewegung werden Frauen in Deutschland erstmals 1900 zum Studium zugelassen. Einige, sowie der bereits zitierte Rösler, sind auch der Auffassung, dass Frauen hierfür die nötige Intelligenz mitbrächten: „Ob weibliche Geistesanlage genügen, um die höheren Studien, die gewöhnlich mit dem Besuch einer Universität verbunden sind, erfolgreich zu betreiben, kann ernstlich nicht in Frage gestellt werden.“44 Solange es nicht darum geht, einen akademischen Beruf nach dem Studium auszuüben, gibt es keine Einwände gegen weibliche Studierende, aber da Frauen im Allgemeinen heiraten werden (mit dem Ziel, eine Familie zu gründen), werden sie auch ihren Mutterpflichten nachgehen müssen, und diese seien mit einem akademischen Beruf nicht vereinbar.45
Trotzdem ist Rösler der Meinung, dass Frauen generell nicht zu einem wissenschaftlichen Arbeiten fähig sind: „Eigentlich wissenschaftliches Denken und wissenschaftliche Forschung ist nicht Sache des Frauengeistes; überwiegend rezeptiver Natur sind sie viel mehr geschickt, Gegebenes sich anzueignen und bei besonderer Begabung auch selbständig zu verarbeiten.“46 Rösler verweist auf eine Studie zur Arbeitsfähigkeit der Frau, welche eindeutig nachweisen würde, dass es intellektuelle Differenzen zwischen Frau und Mann gäbe: „Die Frage, ob diese Eigentümlichkeiten in der Natur begründet oder durch die bisherige Frauenstellung in den sozialen Verhältnissen hervorgerufen seien, beantwortet Nawiasth mit Bejahung der ersteren Annahme. Nichts berechtigt zu der Behauptung, daß eine andere Erziehung oder Entwicklung diese Differenzierung ändern werde.“47 Die studierte Frau soll das Ziel der Mutterschaft verfolgen: „Die Frau sei vor allem zur Erzieherin ihrer eigenen Kinder zu erziehen.“48 Rösler fragt vor diesem Hintergrund danach, ob es im gesellschaftlichen Interesse sei, die Frau so gut wie den Mann auszubilden.49
Einige Jahrzehnte davor kritisiert Hedwig Dohm 1872 den Theologie-Professor Jacobi sowie Philipp von Nathusius, welche beide eine Schmerzverklärung als Wesenselement eines idealen Frauenbildes betrachten. Sie stellt als paradox dar, dass Frauen von geistiger Arbeit verschont bleiben müssten, wenn sie doch tagtäglich körperlich deutlich anstrengendere Arbeit im Haushalt verrichten würden. Bezugnehmend auf Stuart Mill ist sie der Auffassung, „daß die Frau […] den Zweck ihres Daseins in sich selbst habe, also nicht in den Männern.“50
Nach dem Ersten Weltkrieg erhöht sich die Anzahl weiblicher Arbeitskräfte dennoch abermals, wie aus einem Protokoll des Diözesanverbandstages der katholischen Arbeiterinnenvereine 1917 in Offenburg hervorgeht:
„Unter den 9 Millionen Industriearbeitern vor dem Kriege, befanden sich schon 1 1/2 Millionen Arbeiterinnen. Diese Zahl ist inzwischen ganz ausserordentlich gewachsen, von 34,4% im ersten Kriegsjahr auf 65% bei Krupp allein von 1200 auf 15000. In einigen Krankenkassen hat sich das Verhältnis geradezu umgekehrt, früher 1:3, jetzt 3:1.“51
Der erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 trägt durch die erhöhte Berufstätigkeit der Frauen zu einem veränderten Frauenbild in der Gesellschaft bei. Viele Frauen verrichten notgedrungen durch den Krieg so genannte Männer-Arbeiten und bewähren sich darin, was zu einem erhöhten Selbstbewusstsein und zu einer Art „Zwangsemanzipation“ führt.52
Die Demobilierungsmaß nahmen, die durch Verordnungen in den Jahren 1919 und 1920 gegen Arbeiterinnen, Angestellte und Beamtinnen durchgeführt werden, bringen die weibliche Erwerbstätigkeit allerdings wieder auf den Vorkriegsstand zurück. Den heimkehrenden Soldaten sollen ihre Arbeitsplätze zurückgegeben werden.53
Viele Ehemänner oder auch potentielle Ehemänner kehren allerdings nicht mehr zurück. Eine Berufstätigkeit als Durchgangsstadium zum Ziel der Ehe und Mutterschaft wird durch die Folgen des Ersten Weltkrieges deswegen für viele Frauen gar nicht erst möglich:
„Deutschland hat einen Kriegsverlust von rund 1 800 00 Toten gehabt. Die Zahl der als Kriegsbeschädigte erwerbsunfähigen oder nachträglich an den Kriegsfolgen zugrunde gegangenen Männer läßt sich genau nicht angeben. Schon allein aus dieser Gefallenenziffer ergibt sich einerseits ein großer Witwenüberschuß – und zwar der bis dahin im Rahmen der Frauenfrage nicht existierende Überschuß von jungen Witwen […], andererseits eine starke Verminderung der Heiratsaussichten der Mädchen der entsprechenden Jahrgänge.“54
Vielen Frauen bleibt also keine andere Wahl, als durch eine Berufstätigkeit die finanzielle Unabhängigkeit und Selbstständigkeit anzustreben.55 Sie sehen sich gezwungen, sich und ihre Familien selbst ökonomisch abzusichern.
Eine Zunahme der außerhäuslich arbeitenden Frauen findet nicht nur im Arbeiterstand statt. Auch für die Frauen, die aus höheren Schichten kommen und eine Schulbildung erhalten durften, entstehen neue Möglichkeiten, einen Beruf zu ergreifen. Neue Berufsbilder für Frauen entstehen vor allem durch den Notstand in der Fürsorge. Mit ehrenamtlicher Hilfe lässt sich die große Not nicht mehr in den Griff bekommen, was unter anderem auch zu einer Professionalisierung der Sozialen