Volk Gottes. Georg Bergner

Volk Gottes - Georg Bergner


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und neuer Gemeinschaft.17 Die Kirche, vormals vornehmlich als äußere Organisation wahrgenommen, soll sich in neuer Gemeinschaft und mit Rückbesinnung auf die Mystik erneuern.18 Die liturgische Bewegung wendet sich den antiken und frühchristlichen Quellen zu und betont den Aspekt des Kultischen als Grundvollzug religiösen Lebens neu. Die Teilnahme am Mysterium Christi in der Liturgie wird als Teilhabe am göttlichen Leben und Eingliederung in die göttlich-menschliche Lebensgemeinschaft erfahren.19 Sakramente, vor allem die Eucharistie, werden als „Mysterien“ gefeiert, in denen sich diese Teilhabe in sichtbaren Zeichen ausdrückt.20 Neben der eher binnenkirchlich orientierten Liturgischen Bewegung fällt in die 1920er und 1930er Jahre auch die Hochzeit der katholischen Aktion in Italien und Frankreich, welche die Frage des Laienapostolats und des Heiligungsdienstes der Gläubigen neu belebt.21

      In diesem Klima kommt es zu einer vertieften theologischen Reflexion über das Wesen und den Auftrag der Kirche. Jenseits von Apologetik und der als einschränkend empfundenen Theologie der Neuscholastik22 suchen Seelsorger, Philosophen und Theologen nach neuen Ausdrucksformen, um die Realität der Kirche zeitgemäß zu beschreiben und neu zugänglich zu machen.23 Die Schlagworte „Leben“, „Organismus“, „Mystik“ und „Gemeinschaft“ finden dabei besondere Berücksichtigung. 1925 erscheint als zweiter Band der „Deutschen Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit“ eine Neuauflage von Johann Adam Möhlers „Die Einheit in der Kirche“ von 1825.24 Gemeinsam mit Matthias Scheebens „Mysterien des Christentums“, dem ersten Band der Reihe, bildet dieses Werk die Referenzgröße für die aktuelle theologische Diskussion.25 Möhlers von Romantik und Idealismus beeinflusstes Frühwerk sah im Zusammenschluss der Gläubigen das Wirken des Geistes, durch das sich das „strömende göttliche Leben“ in der Kirche immer wieder neu entwickelt.26 Durch den Geist entstehen das liebende Zusammenwirken der Gläubigen und die fortwährende Lebensgemeinschaft mit Christus, die nicht zuerst individuell, sondern im Gesamt der Kirche als Gemeinschaft sichtbar werden. Alles Äußerliche der Kirche, ihre Ordnung, Hierarchie und Lehre, wird erst durch das innerliche Leben im Geist hervorgebracht.27 Scheebens Werk geht von der Inkarnation als zentralem Mysterium der Heilgeschichte aus. Die gott-menschliche Dimension Christi ist Bild für die mystisch übernatürlich belebte und sichtbar verfasste Kirche. Sie erhält ihren deutlichsten Ausdruck in der Eucharistie.28

      Das Bild einer geistgeleiteten, vom inneren Leben erfüllten Kirche, die ihr wahres, geheimnishaftes Wesen immer zugleich preisgibt und verhüllt, trifft den Nerv der Zeit. In immer neuen Variationen durchströmt und „durchpulst“29 das göttliche Leben in den theologischen Schriften der zwanziger und dreißiger Jahre den großen göttlich-menschlichen Organismus, als der die Kirche gesehen wird.30 Als zentraler Begriff der neuen Sicht auf die Kirche etabliert sich das an Paulus angelehnte Bild des „corpus Christi mysticum“, des „mystischen Leibes Christi“.31 Mit diesem Begriff findet eine ganze Generation von Theologen und Seelsorgern ihr ekklesiologisches Paradigma.32 Zugleich stellt er sie vor eine Herausforderung: Wie lassen sich im Bild des Leibes Innen und Außen, Leben und Lebensäußerungen, ideale und reale Kirche in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander bringen?33

      In den Gegensatzpaaren von Organismus und Organisation, wie auch Gemeinschaft und Gesellschaft,34 wird das innere, geheimnisvolle Wesen der Kirche im Gegensatz zu ihrer äußeren Dimension diskutiert und präferiert. Dies geht so weit, dass beispielsweise der Religionswissenschaftler Friedrich Heiler aus phänomenologischem Blickwinkel alle geschichtlich-realen Verkörperungen, insbesondere die Dogmen oder die Leitung der Kirche durch den Papst, als Fehlformen und als Verletzungen eines universalen, lebendigen und idealen Katholizismus brandmarkt, sofern sie mehr sein wollen als zeitbedingte und damit veränderbare Ausdrücke des inneren Prinzips.35 Dieser institutionskritische Ansatz zugunsten einer wahren, inneren Kirche findet 1937 in einer von Gustav Mensching herausgegebenen, anonym verfassten Schrift über das „Stirb und Werde“ des Katholizismus seine Fortsetzung.36 Hier wird die Forderung nach einem Neuaufbruch im Geist der urchristlichen, charismatischen Kirche artikuliert.37 Auf der Seite der Jugendbewegung, wie auch der Liturgischen Bewegung, droht die Begeisterung für die kirchliche Gemeinschaft und die Liturgie zuweilen in eine reine Innerlichkeit abzugleiten und die Grenzen zwischen Göttlichem und Menschlichem sowie zwischen Gemeinschaft und Individuum zu verwischen. Die äußere Seite der Kirche in Lehre, Recht und Hierarchie wird im frommen Überschwang kaum mehr beachtet.38

      Die geschilderten Entwicklungen fordern die akademische Theologie heraus. Karl Adams 1924 erschienenes Buch „Das Wesen des Katholizismus“ ist ein Manifest der kirchlichen „Leib Christi“-Ekklesiologie und wird ein internationaler Bestseller.39 Adam nimmt die Sehnsucht nach Gemeinschaft und die Hinwendung zur „strotzenden Lebenskraft, dieser ewigen Jugend der alten, uralten Kirche“40 auf und kennzeichnet sie im Anschluss an Möhler und Scheeben als Auswirkung Christi „gottmenschlichen Wesens in der Geschichte“41. Dabei verteidigt er die hierarchische Struktur der Kirche, die sich von ihrem Haupt und den Aposteln her aufbaut.42

      Mannes Kosters Lehrer, der Bonner Theologieprofessor Arnold Rademacher, reflektiert in seinem ekklesiologischen Ansatz, der vom organologischen Denken geprägt ist, die gemeinschaftliche und gesellschaftliche Dimension der Kirche.43 Ähnlich wie Möhler erkennt Rademacher in der gesellschaftlichen Dimension einen notwendigen Ausdruck des inneren Lebens. Organismus und Organisation verhalten sich zueinander wie Wesen und Erscheinung.44 In Analogie zur hypostatischen Union von Gottheit und Menschheit Christi ist die Kirche als Leib Christi der „fortlebende Christus“.45 Die irdische Erscheinung der Kirche verweist auf das Geheimnis der Gottheit, verhüllt es aber zugleich auch.46

      Joseph Ternus wendet sich gegen die übergroße Bedeutung des Begriffs „mystischer Leib Christi“ und bestreitet die Möglichkeit einer angemessenen Wesensaussage über die Kirche.47 „Leib Christi“ ist für ihn ein guter Begriff zur Bezeichnung der innerlichen Seite der Kirche.48 Zugleich warnt Ternus vor „überspannten Ganzheitsspekulationen“49 und wendet sich gegen die in der Jugendbewegung vorkommenden Vorstellungen von der Kirche als „Kollektivperson“50.

      Im Jahr 1940, in dem Kosters Schrift „Ekklesiologie im Werden“ erscheint, zeigt sich die ganze Bandbreite der ekklesiologischen Diskussion. Sie ist gekennzeichnet von der Suche nach einer „tiefen und ganzen Theologie“51, die durch die neuere Erforschung von Schrift, Vätertheologie und Scholastik bereichert wird.52

      Zum einen sorgt die Schrift „Der Christ als Christus“ des Priesters Karl Pelz für Diskussionen. In ihr wird die Differenz zwischen Christus und den Gläubigen aufgehoben, so dass beide eine einzige mystische Person bilden.53 Zum anderen erscheint unter dem Titel „Der Katholizismus der Zukunft“ eine anonyme Schrift, die in der Tradition Heilers eine reine Geistkirche gegen jede geschichtlich kontingente Form des äußeren Ausdrucks der Kirche propagiert.54

      Gegen eine solche gewagte, modische Verwendung des „Leib Christi“-Begriffs stellt Ludwig Deimel 1940 eine sachliche Kritik. Er führt das Bild des „Leibes“ auf seine ursprüngliche biblische Bedeutung zurück und bestreitet mit Blick auf die in Schrift und Tradition enthaltenen vielfältigen Ausdrücke für die Kirche dessen Monopolstellung.55 Ebenso kritisiert er den aus seiner Sicht unbiblischen Zusatz „mystisch“ als missverständlich56 und weist auf die Notwendigkeit des analogen Gebrauches biblischer Bilder hin.57 Deimel befürchtet eine Engführung der Kirche auf „Motive zum persönlichen Heiligungsstreben“, die „sakramentale Welt“ und das „liturgische Tun“.58 Die Kirche ist notwendig gesellschaftlich verfasst und durch Charismen und Hierarchie gegliedert.59 Ist „Leib Christi“ auch ein wichtiger Begriff zur Beschreibung der Kirche, weil er den Zusammenhang von innerem und äußerem Leben verdeutlicht, bedarf er doch der Ergänzung durch die Bilder der „Braut Christi“, die das Gegenüber von Christus und Kirche zum Ausdruck bringt60, sowie der „Familie Gottes“ als Kennzeichen der sozialen Realität der Kirche.61

      Yves Congar veröffentlicht im 1940 erschienenen Sammelband „Die Kirche Christi“62


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