Volk Gottes. Georg Bergner
biblisch geforderten Eingliederung in das Gesamt des „Volkes Gottes“ führt (50f).79 Dem platonischen Denken folgend interessiert sich Augustinus zudem eher für die unsichtbare, heilige Dimension der Kirche und weniger für ihre konkrete Gestalt. Die Kirche wird damit zum „unsichtbaren Leib Christi“ (57). Die Lehre vom „Leib Christi“ ist bei Augustinus somit eher Teil der Christologie (40f). In dem Maße, in dem sich spätere Theologen in der Betrachtung der Kirche auf Augustinus’ Lehre vom „Leib Christi“ beziehen, entsteht ein von Koster kritisch angemahnter Dualismus: So setzt sich die Kirche aus den „sittlich heiligen Einzelpersonen des Menschengeschlechtes“ zusammen, wohingegen die Gemeinschaft der Glieder untereinander durch die Unterordnung unter die kirchliche Hierarchie und die gegenseitige Nächstenliebe entsteht. Hier handelt es sich weniger um eine wirkliche Gemeinschaft, sondern um „bloß in Ordnung sich vollziehende ‚Solidarität‘“ (44), in Augustins Verständnis um eine „personalistische Gnadenkirche“ der Erwählten (57f). Die Taufe ist bei Augustinus eher ein äußeres Merkmal der Zugehörigkeit. Entscheidender für die Konstitution des „Volkes Gottes“ sind die individuelle Erwählung und die gegenseitige Liebe. Das Volk ist die Gemeinschaft der „Guten“ in der Kirche und somit als Begriff dem „Leib Christi“ untergeordnet (59). Die unsichtbar durch die Liebe geeinte Gemeinschaft der Gläubigen bildet die „heilige Kirche“, während das „Volk Gottes“ als bloße äußerliche Gemeinschaft der Getauften von Augustinus eher herablassend betrachtet wird (60). Das Verhältnis von ideeller und sichtbar-empirischer Seite der Kirche bleibt bei Augustinus ungeklärt (63).
Thomas von Aquin hat, so Koster, die eigentlichen ekklesiologischen Implikationen Augustins richtig interpretiert und den sakramentalen Charakter der Kirche als objektives heiligendes Prinzip wie auch die hierarchische Gliederung der Kirche stärker herausgestellt (45). Die Kirche kann paulinisch vom Priestertum Christi und der sakramentalen Teilhabe der Glieder an diesem Priestertum gedacht werden. Von hier aus konstituiert sie sich (46f). Indem vor allem die Sakramentalität als Grundvoraussetzung für die Gemeinschaft der Kirche in der nachtridentinischen Entwicklung vernachlässigt wird, halten ein „ungerechtfertigter, einseitiger Heilspersonalismus“ (45) und ein daraus folgender „ekklesiologischer Solidarismus“ Einzug in die Lehre von der Kirche (47).
Nach biblischer Lehre, so Koster weiter, werden die Menschen durch Taufe und Eucharistie in das „Volk Gottes“ eingegliedert und in einer Gemeinschaft zusammengeführt. „Volk Gottes“ und „Leib Christi“ sind bei Paulus identisch (51). Bei Augustinus kommt es daher nicht zur Unterscheidung von Eingliederung des Einzelnen in das Volk durch den sakramentalen Charakter und gnadenhafte Zugehörigkeit zu Christus (51). Hier ist für Koster der Schlüssel zu einer „wahren Ekklesiologie“ zu finden. Subjekt der Erlösung ist im biblischen Sinne weniger der einzelne Mensch, als vielmehr das Heilskollektiv (52). Dabei ist nicht die Summe der individuell Erwählten entscheidend. Vielmehr geht es um den „Leib Christi“ als Kollektivperson, das durch „die sakramentalen Charaktere begründete und durch sie gestufte und gegliederte Personenganze oder Heilskollektiv, insofern es sich nach den Weisungen des Stellvertreters Christi leiten lässt“ (54). Ohne die individuelle Heilsnotwendigkeit zu leugnen, wird es, so Koster, in Zukunft darum gehen, gemeinschaftliches und persönliches Heil zusammen zu betrachten und einzusehen, dass die diesseitige gemeinschaftliche Dimension als „Werkzeug und Mittel“ zur Erlangung des persönlichen Heils dienen soll (55f). Zudem sollte, Kosters Ansicht nach, die einseitige Rede vom nur persönlichen Heil korrigiert werden (56). Paulus bringt die verschiedenen Dimension der Kirche zur Sprache, wenn er von dem einen Leib spricht, der aus der Taufe gebildet und mit Dienstämtern versehen ist, dem einen Leib der aus der Eucharistie heraus entsteht, dem einen Leib, der aus der Sendung des Geistes Christi gebildet wird und dem Leib, der sich durch die Nächstenliebe unter dem Haupt Christi bildet. Diese Weite bringt für Koster die volle Bedeutung des Begriffes eher zum Ausdruck, als dessen einseitige Betrachtung bei Augustinus. Thomas von Aquin zeigt diese Mehrdimensionalität auf (64ff).
Koster wendet sich dann dem dritten ekklesiologischen Paradigma, der Kirche als Kultgemeinschaft zu. Das Grundproblem des Dualismus von sichtbarer (Gesellschaft) und unsichtbarer Heilsgemeinschaft wird auch mit diesem Verständnis noch nicht überwunden (67). Gleichzeitig weist das Verständnis des Kultes als gemeinschaftlichem Werk der Kirche bereits in die richtige Richtung (68f). Kritisch merkt Koster jedoch an, dass mit dem meist liturgisch verstandenen Kult immer nur ein Teil des Lebens der Kirche beschrieben wird. Wie lassen sich liturgischer und außerliturgischer Kult zusammendenken (69)? Hierbei ist besonders der sakramentale „Charakter“ der Laien, etwa als Gefirmte oder Eheleute zu bedenken. Es geht um ein tätiges christliches Handeln, das nicht auf seine liturgische Dimension verkürzt werden darf (70). Aber auch in Bezug auf die Liturgie ist das richtige Verhältnis zwischen dem Tun der Priester und dem der Laien nicht eindeutig zu bestimmen. Wenn, wie Koster mit Verweis auf Odo Casel darstellt, Priester und Laien gemeinsam am sakramentalen Handeln in der Feier der Heiligen Messe teilhaben sollen, ist diese Äußerung lehramtlich nicht gedeckt (71). Koster weist darauf hin, dass die Konsekration den Priestern vorbehalten bleibt, die damit als Glieder des ganzen Leibes eine spezifische Aufgabe für das Kollektiv übernehmen. Zugleich weist Koster die Vorstellung zurück, nach der eine Handlung der Kirche, in diesem Fall der Konsekration der Gaben in der Heiligen Messe, als gleichzeitige Tätigkeit aller Glieder zu verstehen ist (74). In der Vorstellung von „Kultgemeinschaft“ wirkt für ihn die alte, auch von der Liturgischen Bewegung kritisierte Sichtweise der subjektivistischen Heilszugehörigkeit nach (73, 76). Bei Casel und anderen Vertretern dieser Richtung sieht Koster statt einer wirklichen Gemeinschaft einen „liturgischen Solidarismus“ entstehen (81). In ihm ist der Einzelne als Eigen-, nicht aber als „Gliedperson“ des gesamten Leibes der Kirche bedacht. Damit steht diese theologische Richtung der Liturgischen Bewegung der „Leib-Christi“-Ekklesiologie nahe (81).80 Koster dagegen unterscheidet die sakramental eingeprägten Charaktere (Gefirmte, Diakone, Priester, Bischöfe) in ihrer jeweiligen Rolle für das Gesamt der Kirche (75). Sie stellen in gestufter und geteilter Form das ganze Priestertum Christi dar (79). Das Priestertum ist also als „gemeinschaftsmäßiges“ in der Kirche ausgeprägt. Die einzelnen gehören als „Gliedpersonen“ und nicht als Einzelpersonen der Gemeinschaft der Kirche an (79, 81).
Von dieser Analyse der zeitgenössischen theologischen Strömungen aus entwickelt Koster seinen Ansatz, der dem Gesamt der kirchlichen Lehrverkündigung besser entsprechen soll (82, 99). Dabei vergewissert er sich, gegen eine allzu sehr vom seelsorglichen Impetus getragene Darlegung mancher seiner Zeitgenossen (98f), zunächst seiner eigenen Rolle als Theologe, der mit dem eigenen Glaubenssinn nach größtmöglicher Objektivität und Übereinstimmung mit dem Lehramt zu suchen hat (88f). Ihm geht es um die Systematisierung und wissenschaftliche Durchdringung seines Stoffes. Im Lebensgefühl der zeitgenössischen Christen, so Koster, liegt es nicht, in einem entpersonalisierten Ganzen aufzugehen, wie die überschwängliche Rede vom „Leib Christi“ zuweilen vorgibt. Vielmehr sucht der Gläubige nach seinem Platz in der Kirche, in die er als Glied- und Eigenperson aufgenommen ist (92f). Koster möchte dabei zum einen der aus der Kanonistik entlehnten Einsicht folgen, die Mitgliedschaft in der Kirche nicht von der Gnade, sondern vom sakramentalen Charakter der Einzelnen her zu definieren (92f). Zum anderen sucht er nach Wegen, die gestufte Zugehörigkeit auch der Nichtkatholiken zur Kirche in seine Gesamtsicht zu integrieren. Koster unterscheidet zwischen der Gliedschaft Christi und der Gliedschaft der Kirche, die durch die Taufe konstituiert wird (93). Unter den Mitgliedern der Kirche führt er eine Unterscheidung in Voll- und Teilglieder ein. Erstere sind diejenigen, die ihr persönliches Heil im „Heilskollektiv“ der Kirche erreichen (93). Teilglieder sind entweder als „Verwendungsglieder“ solche, die im Sinne der Gesamtheit der Kirche tätig sind, ohne ihr anzugehören, oder als „Konstitutionsglieder“ solche, die die Taufe empfangen haben, von deren derzeitigem Gnadenstand aber abgesehen wird. Sie sind entweder „volltätig“ in dem Sinne, dass sie unter der Weisung des Papstes Aufgaben und Handlungen ausführen, die ihrem sakramentalen Charakter entsprechen oder „teiltätig“, indem sie dies ohne Weisung oder gegen die Weisung des Papstes tun. Hierzu gehören auch die Nichtkatholiken (94). Kirchenglieder sind also dort zu finden, wo im Sinne der Kirche gehandelt wird. Koster führt seine Systematik der Stufung der unterschiedlichen Gliedschaften nicht weiter aus, weist aber darauf hin, dass sie nur unter dem Leitverständnis der Kirche als „Volk Gottes“ verständlich ist, da der „Leib